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»Mikado« ins Ohr, die Rosen- und Veilchenbeete prangten und blühten in einem Rausch von Duft, das Mittelmeer leuchtete weithin an der von den Lichtpunkten der Villen und Dörfer besternten Küste in einem tiefen, satten Blau wie der wolkenlose Himmel darüber, und sein kühlender Seewind koste mit den Fiedern der Palmen, dem Schwarz der Lorbeerhaine und Zypressen, dem saftigen Hellgrün der englischen Rasenflächen, hinter denen sich palastartig die Hotels um das liebliche Raubnest scharten.

      Aber seine Augen sahen die schmeichelnde Pracht ringsum nicht mehr. Sie blickten zurück, in einen regendrohenden, grauen Abend: zerrissene Felszacken rings um das einsame Hochtal und von ihnen herabfahrend heulende Sturmstöße über das zischelnde Zwergpalmengestrüpp, das Dickicht von stachligen Agavenhecken und schlanken Aloestauden am Weg. Und aus dem Dickicht war, wie von einem unsichtbaren Zügel des tückischen Zufalls geleitet, der Stier getreten und stärker gewesen als der Mensch. Der lag am Boden und das Pferd auf ihm.

      Seit diesem Sturz war die Wandlung in seinem Wesen eingetreten, das Gefühl des Krankseins, das er sonst selbst bei heftigen Fieberschauern dank seiner sich aufbäumenden Lebensenergie nie eigentlich als etwas Überwindendes, ihn wehrlos Machendes so wie jetzt empfunden, und mit ihm der Drang nach Ruhe. Wohl hatte die erste Berührung mit der Kultur, Klaras aufmunternde Worte, der Verkehr mit Europäern, die veränderte Lebensweise, die Seeluft, anfangs auf ihn erfrischend und anregend gewirkt, so daß er das Abenteuer und seine Folgen ein paar Tage ganz vergaß.

      Aber jetzt, wo er wieder allein war, wo der erste Reiz der wiedergewonnenen Zivilisation nachließ, jetzt meldeten sie sich wieder an und wurden von Tag zu Tag stärker. Zwar das Fieber hatte er, sowie er in der Apotheke frisches und gutes Chinin erhalten, sofort unterdrückt. Und kehrte es auch einmal wieder, so kannte er es ja seit vielen Jahren als seinen treuesten afrikanischen Begleiter und wußte: der war nicht mehr imstande, ihn zu erschüttern und sein eigentliches Wesen zu ändern.

      Das kam von jenem bösen Abenteuer mit dem Stier, dieser plumpen Falle des Schicksals, das ihn aus so vielen wirklichen Gefahren errettet hatte, um ihn am letzten Tag einer zweijährigen Reise diesem hirnlosen Vieh auf die Hörner zu liefern.

      Der Zorn übermannte ihn. Er stand auf und ging langsam die Promenade entlang. Es war kein Zweifel: er war krank. Und kranke Menschen fassen Entschlüsse, die sie vielleicht nachher bereuen! Diese Reise nach Genf, die über sein ganzes künftiges Leben entschied, die mußte bei kühlem, klarem Bewußtsein unternommen werden, in der vollen Sicherheit, daß ihn nicht eine vorübergehende trübe Anwandlung infolge von Körperleiden in den Hafen der Ehe und der Ruhe trieb.

      Dieses Leiden mußte ja doch nun einmal auch wieder besser werden, und dann erst hatte er die völlig freie Wahl, ob er rechts oder links gehen sollte.

      Ob er einen Arzt zu Rate zog? Sonst hielt er nicht viel von ihrer Kunst. Was hätten sie ihm auch im Herzen Afrikas helfen können, wo jeder sein eigener Doktor ist und sich mit Chinin und Selbstvertrauen kuriert? Aber jetzt kam ihm, während er, beinahe ohne es zu wissen, den Weg zum Bahnhof hinunterstieg, doch der Gedanke, auf diese Weise Sicherheit zu erlangen. Wozu sich unnütz quälen und eine Sache hinziehen? In Nizza gab es treffliche Ärzte aller Nationen. Zu dem besten von ihnen wollte er gehen und sich ein paar Tropfen oder so etwas verschreiben lassen. Dann war die Sache wohl bald abgetan, und er konnte über den ganzen kläglichen Zwischenfall und über die Beklemmung lachen, die sich ihm jetzt immer wieder um die Brust legte.

      Eben, als er in den Bahnhof trat, fuhr einer der zahlreichen Züge nach Nizza ein. Er hatte gerade noch Zeit, das Billett zu nehmen und einzusteigen. Dann trug ihn die Bahn durch die Pracht südlicher Gärten hin längs des blauschimmernden Meeres nach der nahen Fremdenstadt.

      16.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Arzt, ein alle Sprachen beherrschender Schweizer, war nur durch Zufall aus Kissingen, wo er den Sommer über praktizierte, auf ein paar Tage in Geschäften nach Nizza gekommen, und der Besuch eines Patienten war ihm unerwartet. Doch verweigerte er die Konsultation nicht, sondern vollzog gründlicher vielleicht noch als sonst, wenn ihn der Schwarm der Wartenden im Vorzimmer zur Eile drängte, die Untersuchung. Ihr Ergebnis aus dem unbeweglich ruhigen, bebrillten Gesicht zu lesen, war unmöglich. »Sie haben unregelmäßig gelebt?« fragte er, während der Patient sich Rock und Weste wieder zuknöpfte.

      Der mußte über die Frage lachen. »Wie man in Afrika und sonstwo unter den Wilden lebt!« sagte er. »Viel Sinn für Pünktlichkeit und Ordnung hat die Gesellschaft nicht.«

      »Viel Anstrengungen und Entbehrungen haben Sie auch durchgemacht?«

      »Jedenfalls mehr, als in Europa üblich ist!«

      »Und geistige Getränke genossen?«

      »Wenn ich sie hatte, mit großem Vergnügen.«

      »Nun ja.« Der Arzt nahm seine Brille ab und polierte sie sorgfältig blank, während er in der dadurch entstandenen Pause nach Worten suchte. »Und dazu kam nun, wie Sie angeben, dieser Sturz als äußerer Anlaß ...« »Ja, die Affäre mit dem Stier. Es ist kaum glaublich, daß das erst acht Tage her ist ...«

      »Nun sagen Sie, bitte ...« – der Sanitätsrat sprach langsam und bedächtig, als wollte er jede Silbe auf die Goldwage legen – »was sind, wenn ich danach fragen darf, Ihre Zukunftspläne? Ich meine, Sie sind ja ein stark bewegtes, an Abenteuern reiches Leben gewohnt. Beabsichtigen Sie, dies Leben auch in Zukunft fortzusetzen – ich meine, wieder nach Afrika zu gehen, oder ähnlichen Gegenden – oder haben Sie vielleicht mehr im Sinn, sich künftig der Ruhe und Erholung, wissenschaftlichen Studien und dergleichen zu widmen?«

      Der Angeredete schaute ihn erstaunt an. Wie kam der Arzt zu der Frage? Er konnte doch unmöglich wissen, vor welcher Entscheidung sein Patient stand, und trotzdem trafen seine Worte gerade diesen Punkt, um den sich alles für ihn drehte.

      »Gehört das eigentlich hierher?« fragte er etwas brüsk.

      »Ja. Ich möchte meine weiteren Mitteilungen bis zu Ihrer Antwort verschieben.«

      »Nun.« Der Afrikaner sah gedankenvoll vor sich hin. »Eigentlich ... ehrlich gesagt ... habe ich augenblicklich keinen besonderen Drang zu neuen Erlebnissen. Ich möchte lieber wenigstens eine Zeitlang irgendwo unterschlüpfen und mich pflegen lassen.«

      Der Arzt lächelte befriedigt. »Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde. Eben dasselbe muß ich Ihnen raten, dringend raten. Sie brauchen vollkommene Schonung.«

      »Ach, Schonung!« Der Forscher stand ärgerlich auf und trat zum Fenster. Wenn ich mich geschont hätte, wäre ich schon lange tot.«

      »Und wenn Sie sich jetzt nicht schonen, werden Sie's sein!« Die Stimme des Arztes klang plötzlich fester und bestimmter als bisher. »Ich muß es Ihnen sagen, es ist meine Pflicht!«

      »Ja, was soll ich denn tun?«

      »Ein möglichst ruhiges, eingezogenes Leben führen ... auf dem Lande, in frischer, guter Luft ... ohne viel Lärm und Zerstreuung ... in einem kleinen Kreise sympathischer Menschen ... – Darf ich mir die Frage gestatten, ob Sie verheiratet sind?«

      »Nein!«

      »Nein? Hm ... ja, wie ich sagte, in kleinem harmonischen Kreise. Geistige Tätigkeit mit Maß und Ziel. Hingegen, was körperliche Anstrengungen und Exzesse aller Art betrifft ... die sind unbedingt schädlich und müssen vermieden werden. Ein kleiner Spaziergang täglich, besser noch eine Spazierfahrt ... keine Erhitzung, kein Treppensteigen ... kein Alkohol und Tabak ... abends zeitig zu Bett ... leichte Diät ... keine Sorgen und Affekte ...«

      »Nun hören Sie aber, bitte, mal auf!« sagte der am Fenster trocken. »Was bleibt denn da noch vom Dasein übrig? Glauben Sie, daß ich solch eine Existenz auch nur vier Wochen lang aushalte?«

      »Sie werden wohl müssen!«

      »Vier Wochen lang?«

      »Nein!« Der Sanitätsrat hatte sich gleichfalls erhoben und war zu seinem Patienten

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