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das ginge nicht. Ich wagte ja auch gar nichts zu sagen und fing nur an zu weinen. Da wurde Herr Steffen auf einmal so furchtbar grob und fing in einem so greulichen Französisch zu wettern an, wie ich es nie zuvor gehört hab'! Mir wurde ganz angst und bang!«

      »Was hat er denn gesagt?«

      Die Kleine hob ihr blasses Gesichtchen und sah sehr stolz und ernst aus. »Das verbäte er sich, hat er gesagt, daß man seine Braut so behandle! Das dulde er nicht!«

      »Seine Braut?« Die Gouvernante und der Major riefen es gleichzeitig und ziemlich erschrocken.

      Auch Hilda war etwas beklommen. »Ja, jetzt bin ich es! Der alte Frömmler hat mich auch gleich gefragt, warum ich denn gar nichts davon gesagt hätte, daß ich verlobt sei. Und ich hab' ihm erwidert: ›Ich bin es ja auch seit eben erst, und jetzt bleib' ich's!‹ Da hat er gemeint, dann sei es wohl besser, wir trennten uns wieder, und ich habe geantwortet: ›Das glaub' ich auch!‹ und hab' an Klara geschrieben. Und da bin ich nun, und es ist alles gut!«

      Das schienen die anderen nicht anzunehmen. Wenigstens legte sich ein gedankenvolles Schweigen über die Gesellschaft.

      »Hm ...,« sagte endlich der Major und räusperte sich ... »Hm ... aber ... liebes Kind ... wenn Sie mir gestatten, daß ich mich einmische ... erwägen Sie doch nur ... ein Mann, der, mit Blutegeln und Honig feilschend, in der Wildnis herumreitet ... hin und her ... wir kennen ja alle dies Land ... jräßlich ...« Unwillkürlich kam ihm ein früheres Lieblingswort über die Lippen: »jräßlich ist es dort. Sie haben ja selbst am meisten darunter gelitten. Wie wollen Sie ihm dahin folgen?«

      »Wenn es sein muß, folge ich ihm bis ans Ende der Welt«, erklärte die Kleine trotzig. »Aber wahrscheinlich kehrt er ja gar nicht mehr nach Marokko zurück. Er ist ja doch gleich gestern abend weiter von Genf, nach Chamonix, zu dem Herrn Rey, der die schöne Jacht hat. Der hat ihn eingeladen, ihn zu besuchen, und der ist furchtbar reich! Nicht wahr?« Sie wandte sich zu dem Afrikaner. »Er ist ja doch Ihr Freund, und Sie wissen, wieviel Geld er hat.«

      »Mein Freund ist er nun eigentlich wohl nicht! Aber ich kenne ihn gut und weiß, daß er viele Millionen besitzt.«

      »Und davon wird er wohl nun deinem Herrn Steffen eine schenken?« bemerkte die Gouvernante spitz.

      Die Kleine geriet in Zorn. »Schenken natürlich nicht! Aber eine Stellung wird er ihm verschaffen, eine Lebensstellung. Was wißt ihr denn überhaupt vom Seebad Tanger und all unseren Plänen, bei denen der Herr Rey uns hilft? Er ist gewiß ein guter Mensch! Nicht wahr?« Wieder rief sie den Forschungsreisenden zu Hilfe. »Mit seiner Tochter, der schönen Frau, die wir in Tanger gesehen haben – mit der sind Sie doch befreundet? Sie haben es ja selbst uns gesagt. Wenn Sie die vielleicht bitten, daß sie uns hilft ... sie ist mit ihren beiden Reisebegleitern auch in Chamonix ... wenn Sie ihr ein paar Zeilen schreiben ...«

      »Ich glaube nicht, daß das etwas nützen würde.« Er mußte unwillkürlich lächeln. »Und Herzensgüte scheint mir gerade nicht ein hervorstechender Charakterzug bei Nikolai Augustus Rey zu sein. Aber wenn bei einer Sache Geld zu verdienen ist ...«

      »Viel Geld!« rief die Kleine hochrot vor Aufregung und so laut, daß die Umsitzenden die Köpfe nach ihr wandten. »Millionen! Wir haben alles ausgerechnet! Es ist gar kein Fehlschlag möglich! Nur das Kapital zum Anfang brauchen wir! Das muß uns Herr Rey geben! Er muß! Er muß!«

      »Hoffen wir!« meinte der Afrikaner trocken. Es verstimmte ihn, daß er mitten in all dieses Verwandtentreiben hineingeraten war und schon wie zur Familie gehörig betrachtet und zu Rat und Tat herangezogen wurde. Seit Jahren gewohnt, allein zu stehen, allein zu handeln, begriff er dies den anderen offenbar so selbstverständliche Gefühl der Verwandtschaft nicht, dies Zusammenfließen einander vielleicht ganz fremder, innerlich grundverschiedener und nur zufällig angeheirateter und verschwägerter Menschen zu einer kleinen Herde, zu einem nach außen geschlossenen Bunde im übrigen Weltgetriebe.

      Da mußte man sich doch wenigstens gleich sein, so viel empfangen, wie man gab! Aber was konnten ihm diese unbedeutenden Existenzen sein, die sich jetzt schon vertrauensvoll an ihn hängten? Was gingen sie ihn an? Er heiratete eine Frau, nicht eine ganze weitgegliederte Sippe, von der ein Hauch der Kleinlichkeit und Alltäglichkeit über sein ganzes Leben wehen mußte! Hing dieses Bleigewicht an ihr, dann konnte er nicht die Künstlerin in Klara zu sich, in seine freie Welt emporziehen und zu dem machen, was er wollte. Zu dicht herum lauerte das Philistertum in Gestalt von Onkeln und Tanten, Schwägerinnen und Schwägern.

      Die Kleine hatte unbekümmert, daß er nicht mehr zuhörte, den anderen leuchtenden Auges weiter die Vorzüge des Seebades Tanger gepriesen und es ihnen ausgemalt, wie schön es sein würde, wenn erst einmal die englischen Lords zu Dutzenden dort am Strande galoppierten und die amerikanischen Millionärinnen zu Hunderten nebenan in den Wellen plätscherten – jetzt brach sie plötzlich ab und starrte nach dem Eingang des Gartens.

      Eine breitschulterige, blondbärtige Gestalt, unmodern, aber in auffallender Weise gekleidet, war dort erschienen und steuerte, ohne allzuviel Rücksicht auf die Nebenmenschen zu nehmen, quer durch die Gruppen auf die drei Schwestern zu.

      »Hurra!« rief Albrecht Steffen schon von weitem, zwar, so gut er konnte, gedämpft, aber immer noch mit einem Bärenbaß, der ein flüsterndes Echo, ein leises » shocking« und Achselzucken im Garten weckte. »Hurra!« wiederholte er, die dargebotenen Hände schüttelnd. »Guten Tag, Hilda! Habe die Ehre, den berühmten Afrikareisenden ...? Freut mich, Herr! Hab' schon neulich mit Ihnen in Tetuan übernachtet und bringe Ihnen Grüße von Herrn Rey. Sie möchten doch bald einmal hinüberkommen! Er erwartet Sie! Seine Tochter auch und ihre Freunde! Hören Sie mal: das sind zwei tolle Knöpfe ... Kennen Sie sie näher?«

      »Nein«, sagte der Afrikareisende kurz. Es verdroß ihn, daß der Handlungsreisende ihm eben jetzt, mitten im Philistertum, die Erinnerung an jene freien, kraftstrotzenden Wesen da drüben wachrief, wie sie gleichmütig auf den Höhen der Berge und der Menschheit wandelten. Plötzlich begriff er, wie einem Vogel im Käfig zumute ist, der den weiten Himmel schaut und in die blaue Unendlichkeit hinaus möchte, trotz aller Pflege, Sicherheit und Ruhe zwischen den Gitterstäben. Und wie ein Freundesgruß aus altewiger Zeit stieg plötzlich vor seinem Geist ein lachendes Gesicht empor, mit wogenden Locken und geheimnisvoll leuchtenden blauen Augen, und ein übermütiges Lachen verhallte in seinem Ohr, ein Widerklang ferner Tage, da er an Angelas Seite durch den ewigen Schnee und über die Riesenstufen der Pyramiden wie mit einem lang vertrauten Freunde emporgestiegen.

      Wer dich vergessen könnte, Frau Aventiure! Er wußte es wohl: er konnte es nie und nimmer. Die Erinnerung blieb. Und jetzt stärker denn je, wo sie ihm so nahe und doch für immer verloren war. Denn jetzt trennte sie die unüberbrückbare Kluft: sie wandelte in lachender Gesundheit, und er war zu Tode siech. Er wußte, welche Scheu sie vor kranken und unglücklichen Menschen hatte! Sie wich ihnen aus, wo sie nur konnte, und empfand als echte Tochter Nikolai Augustus Reys viel weniger Mitleid als Angst und Ärger, wenn sie dem Anblick menschlichen Leidens einmal doch nicht zu entrinnen vermochte.

      Wo es ging, kaufte sie sich dann wohl mit einer reichen Spende von ihrem eigenen Gewissen frei. Wie sie den blinden Bettlern im Orient, den klagenden Krüppeln in Rußland, abgewandten Gesichtes und ihre Schritte beschleunigend, eine Handvoll Münzen hinwarf, so fand sie gewiß auch für den einstigen Freund einige äußerliche Zeichen der Teilnahme und des Trostes. Aber die begehrte er nicht. Fester denn je war er jetzt entschlossen, sie niemals wiederzusehen. Eine zornige Sehnsucht rang sich dabei in ihm empor, aber der Handlungsreisende ließ ihn, weiterplaudernd, nicht mehr zur Besinnung kommen.

      »Ein famoser Mensch, dieser Rey!« sagte er. »Zu solch einem Freund können Sie sich gratulieren! Ich weiß ja – Sie waren neulich erst bei ihm auf der ›Liberty‹ in Gibraltar und haben mit ihm zu Abend gegessen. Na, das hab' ich ja freilich nun nicht. Aus einem sehr einfachen Grund: er hat mich nicht eingeladen! Und das war mir eigentlich lieb. Denn unter solch pikfeinen Leuten, einem wirklichen Prinzen und Gott weiß was für Millionären in Frack und weißer Binde – da fühle ich mich nun einmal durchaus nicht behaglich ...«

      »Kann ich mir denken«, brummte der Major. »Ich kann solches Volk auch in den Tod nicht leiden!«

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