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dahinter. Eine glänzende Außenseite und innen Frivolität der Gesinnung, Gleichgültigkeit gegen alles Höhere und Edlere ...«

      »Ach, nun laßt doch mal diese Leute!« Die Kleine starb fast vor Ungeduld. »Was liegt denn an denen? Wie es mit Herrn Rey ausgegangen ist, will ich wissen! Was hat er denn zu dem Seebad Tanger gesagt? Er muß doch begeistert gewesen sein!«

      »Na, das gerade nicht!« meinte der junge Kaufmann etwas gedämpfteren Tones als bisher. »Wie ich fünf Minuten gesprochen hab', lächelt er mich plötzlich ganz spitzbübisch an, schiebt sich seine strohblonde Perücke zurecht, fährt sich mit der Hand um sein Kinn wie ein Prediger, dem nichts einfällt, und murmelt mit ganz Heller Stimme vor sich hin: ›Das ist Unsinn, lieber Herr ... Unsinn ... Unsinn ... Unsinn ...‹«

      »O weh!« rief Hilda und schloß schmerzlich die Augen.

      Die Gouvernante und der Major tauschten einen Blick trüben Einverständnisses. Es war doch wirklich unverantwortlich von dem Menschen, das Kind um seine Stellung zu bringen und dann mit leeren Händen des Wegs zu kommen.

      Und dabei noch zu lächeln! Denn Albrecht Steffen war ganz guter Dinge. »Ja, also ... Unsinn!« fuhr er fort. »Sowie ich den Mund öffnen wollte, sagte der alte Herr ganz hell und bestimmt wie ein Papagei: ›Unsinn!‹ Wie ich dann endlich ganz still bin, geht er durchs Zimmer und stößt ab und zu ein paar abgerissene Worte heraus: ›Weltverkehr läßt sich nicht zwingen! ... Unsicherheit der Zustände in Marokko ... Widerstand der Behörden ... verpestender Schmutz in der Stadt, den man nicht beseitigen kann ... überhaupt ein wildes, unabhängiges Land. Muß erst wieder annektiert werden wie im siebzehnten Jahrhundert, bis sich das große Kapital hinwagt. Bis dahin: Unsinn!‹

      »Na, nun kannst du ja gehen! denke ich und will mich empfehlen. Da sieht er mich ganz eisig an und sagt halblaut: ›Ich kann mich nicht erinnern. Sie schon entlassen zu haben!‹ Ich werde ärgerlich. ›Bin ich denn in Ihren Diensten, Herr?‹ frage ich, und er sagt: ›Ja! Leute wie Sie kann ich brauchen! Keine Arbeitsmaschinen, sondern Menschen, denen zuweilen etwas einfällt. Wenn es diesmal auch ein Unsinn war, so kann es doch ein anderes Mal etwas Vernünftiges sein!‹ Und kurz und gut, ein Wort gab das andere, und ich bin fester Angestellter des Welthauses Nikolai A. Rey in Petersburg und Baku.

      Das Nähere wird dieser Tage erledigt. Aber jedenfalls kommt dabei so viel heraus, daß zwei bequem davon leben können. Und wahrscheinlich bleibe ich sogar in Deutschland. Wir bleiben alle beisammen! Ach, Kinders ... es ist ja fast zu schön, als daß es wahr wäre! Was meinst du, Hilda?«

      Die legte statt jeder Antwort den Kopf auf den Tisch und brach in ein glückseliges, befreiendes Schluchzen aus. Auch in den Augen Klaras und der Gouvernante schimmerte es feucht, und der Major wischte sich hüstelnd mit dem Taschentuch an den Wimpern herum, während rings sich Blicke voll spöttischer Neugier auf das ungewohnte Bild richteten.

      Der Afrikaner sah das wohl, und es erfüllte ihn mit Beklemmung, daß er, statt sich über die Herzlosigkeit der Fremden zu empören, ihnen eigentlich recht gab. Solche Rührszenen waren wirklich hier nicht am Platz. Wenn sie schon sein mußten, gehörten sie in das Innere des Familienlebens, in jene Welt von kleinen Sorgen, Nöten und Freuden, Eifersüchteleien und Zwistigkeiten, gekränktem Schmollen und weichherzigem Mitempfinden, das da erschreckend plötzlich vor ihm aufwuchs, den Blick in die Weite hemmend.

      Es war, als ob Klara seine Gedanken erriete. Sie warf ihm einen bittenden Blick zu und schlug dann nach all diesen Gemütsbewegungen einen Spaziergang in der Abendkühle vor. Die anderen waren gleich bereit. Oder besser noch eine Spazierfahrt! In einen Wagen gingen freilich nur vier Personen! Aber man könne ja einen Kahn mieten und auf dem See fahren. In dem Kahn hätten sie alle sechs bequem Platz.

      Die Malerin lächelte. »Fahrt nur allein!« sagte sie. »Unserem berühmten afrikanischen Gast machen solche bescheidene Zerstreuungen keinen Spaß. Oder teilt euch besser nochmals zu je zwei und zwei. Bei der Table d'hôte sehen wir uns dann wieder!«

      »Ach, und du bleibst inzwischen hier?« Die Kleine hob das von Freudentränen verwaschene Gesichtchen und nickte verständnisinnig. Sie bejahte. – »Ich bleibe hier oder gehe spazieren ... wie es unser Gast wünscht.«

      Der sah über den See in die Weite. »Wenn Sie gestatten, bleiben wir hier sitzen«, sagte er langsam. »Ich befinde mich gar nicht wohl. Auf Wiedersehen inzwischen, meine Herrschaften!«

      Die beiden Brautpaare, das alte und das junge, empfahlen sich. Sie waren allein.

      18.

       Inhaltsverzeichnis

      Sie wartete gar nicht, bis er zu sprechen anhub, sondern begann selbst die Unterhaltung. »Also wieder die alte Melancholie!« sagte sie, halb lachend, halb besorgt. » ... ›Ich befinde mich gar nicht wohl‹ ... Das haben Sie mir schon in Tetuan erklärt, und ich hab' Sie mit meiner Gardinenpredigt, wie Sie es nannten, kuriert! Nun sollt' es doch gut sein! Oder muß ich noch einmal von vorne anfangen?«

      »Nein!« Er sah sie trübe an. Natürlich ... sie konnte ja nicht wissen, wie es um ihn stand! War es doch ihm selbst bis zu jenem Abend in Nizza nur eine dunkle Ahnung gewesen. »Nein, Fräulein Klara ... es hilft nichts!«

      Die Malerin schüttelte den Blondkopf und lachte hellauf. »Wenn Sie Ihr Gesicht sehen könnten ... seien Sie nicht böse ... aber daß ein Afrikadurchquerer eine so sorgenvolle Miene aufstecken könnte, das hätte ich nicht geglaubt. Und das alles wegen ein bißchen Nerven!«

      »Es sind keine Nerven!«

      »Was denn sonst? Ihr Fieber sind Sie los – das haben Sie selbst schon in Gibraltar zugegeben. Und wenn Ihnen sonst etwas Wirkliches, etwas Ernstes fehlte, das sieht man einem Menschen doch an. Dann reist man doch nicht vierzig Stunden im Schnellzug und geht und ißt und trinkt wie andere Leute. Also was sollte es denn sein?«

      Er schwieg. Er hatte nicht den Mut, ihr sofort und unumwunden die Wahrheit zu gestehen. Es war ihm, als würde er dadurch klein vor ihr, ein armer, schutzsuchender, hilfsbedürftiger Mensch statt des Herrn und Gebieters, den ihr Auge jetzt in ihm sah. Wie die meisten kräftigen und an körperliche Strapazen gewöhnten Männer betrachtete er unbewußt jeden Zweifel an seiner Gesundheit als eine Art Beleidigung. Und hier war ja kein Zweifel mehr. Hier war die Gewißheit.

      Für ihn. Die blonde Freundin neben ihm mußte ja das Gegenteil glauben! Er sah, wie sie sich zusammennahm, um recht unbefangen zu erscheinen und ihn zu erheitern. »Was sollte es denn sein?« wiederholte sie und zerpflückte spielend die Rose an ihrer Brust. »Nerven ...nichts als Nerven! Das ist durchaus nicht nur unser Vorrecht! Die größten Männer sind davor nicht sicher. Und wenn man das hinter sich hat, was Sie getan haben ... Sie brauchen bloß Ruhe. Vier Wochen vegetieren. Hier oder anderswo. Dann werden Sie sehen, was Sie für ein anderer Mensch geworden sind!«

      Vier Wochen! Er mußte lächeln. Gerade den Zeitpunkt hatte er zufällig auch dem Arzt in Nizza genannt und der ihm geantwortet: »Nein, Verehrtester, nicht einen Monat, sondern Ihr ganzes Leben!«

      Ein vielleicht noch langes Menschenleben vegetieren. Ihr absichtslos gewähltes Wort klang schmerzhaft in seinem Ohr nach. Aber es gab ihm wenigstens den Anlaß, vorsichtig mit seiner Beichte zu beginnen. »Sie haben ganz recht!« sagte er. »Vegetieren! Es kommt eine Zeit, wo man Ruhe braucht. Mögen dann jüngere Leute sich draußen in Afrika vergiftete Pfeile und Malaria holen und irgendein Engländer vom »Alpine Club« statt meiner mit einer Lawine rascher, als ihm recht ist, zu Tale gelangen. Ich hab' jetzt diese Dinge satt. Ich will jetzt meinen Kohl bauen und mich um nichts weiter kümmern!«

      Sie sah ihn schweigend an. Er las eine Art Erstaunen in ihren blauen Augen.

      »Natürlich ...«, fuhr er etwas stockend fort. »Allein ... das geht nicht. Für jeden Menschen gibt es im Leben einen ganz bestimmten Zeitpunkt, wo er entschlossen zugreifen und sich einen eigenen Herd gründen muß. Nicht zu früh. Ich glaube, daß sonst bei vielen Männern das Beste unentwickelt bleibt, daß die rechte, rauhe, zähe Kraft, die man erst in reiferen Jahren gewinnt, durch das Familienleben,

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