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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Und wer war der erste Mensch, der dir nach deinem Unfall begegnete, wer pflegte dich in Tetuan und richtete dich mit heiteren Worten auf, wer stand geduldig, mit tapfer hinuntergeschluckten Tränen deiner wartend da, als du enttäuscht und ärgerlich von dem weißen Schiff zurückkamst?
Immer wieder der treue, blonde, ehrliche Kamerad. Einen besseren findest du nicht. Sieh um dich! Was du in der Ferne suchst, wofür du dort soviel Leid und Ungemach erlitten hast, wofür du zum Krüppel geworden bist, das Glück, das steht da still und schweigend neben dir wie eine Blume am Weg und wartet, daß du es pflückst.
Und wenn du es pflückst, bringt es dir Ruhe. Mag auch in dir die wilde Abenteurerlust hinschwinden, dafür wirst du zufrieden. Das warst du bisher nie, in deinem unsteten Sehnen und Jagen. Vielleicht kommt einmal der Tag, wo du lächelst, wenn du an die Vergangenheit denkst. Du hast es ja neulich schon in Tetuan gedacht: Wir werden alt und grau, Frau Aventiure! Die Zeit schwindet hin. Der Herbst ist nahe. Jetzt war er da! Eine bittere Wehmut beschlich ihn, als er in seinem Hotelzimmer träumend saß und von der Vergangenheit Abschied nahm. Sie war bunt genug, und doch – jetzt schien sie ihm leer und öde. So zwecklos erschien ihm plötzlich alles, was er errungen und erstrebt, so wertlos alle seine wissenschaftlichen Taten, so arm und ohne Inhalt das ganze Menschenleben, daß er sich heiß nach einem neuen sehnte.
Er wußte wohl, warum diese rätselhafte Stimmung über ihn gekommen war. Der Tod hatte bei ihm angepocht – nicht von außen her; da kannte er ihn, und sein Anblick verdoppelte seinen Trotz – nein, da innen saß er und klopfte und mahnte: Es ist Zeit, von dem großen Maskenball nach Hause zu gehen. Bunt genug und lärmend war er ja. Viel Menschen in allen Trachten der Welt. Kaiser und Könige, fratzenhafte Wilde und schöne Frauen, ein ganzer Karneval voll Jubel und Trubel. Aber wenn man den Mantel umschlägt und in den grauen, grämlichen Morgen hinaustritt, da kommt die Ernüchterung. Die Sehnsucht nach Schlaf. Die Sehnsucht nach einem Menschengesicht, das uns freundlich lächelnd im Sonnenschein zu Hause empfängt, nach all den kichernden, wesenlosen Masken der buntscheckigen Nacht, nach dem verräterischen, silberhellen Lachen, das durch das Dunkel klingt und zu immer neuen Abenteuern und zum Tode lockt.
Dort aus der Ferne grüßte es blond und heiter herüber und nickte ihm unbefangen zu wie einem alten Freund. Er stand auf und klingelte. »Ich reise morgen früh nach Marseille«, befahl er dem eintretenden Kellner. »Von da gleich weiter bis Genf. Hier ist die Depesche, in der ich meine Ankunft anzeige.«
17.
Es war ziemlich spät nachmittags, als der Afrikaforscher, nach langer Reise in Genf eingetroffen, in den Hotelgarten trat.
Der lag am Quai du Montblanc. Hart vor ihm spülte die Rhone ihre grasgrünen Wellen eilig unter den Brücken hindurch, jenseits standen neue Häuserreihen und Baumgruppen, und dahinter schlossen weißliche Abendwolken den Blick in jene Ferne ab, aus der bei ganz klarem Wetter der Montblanc herübergrüßt.
Rings im Garten die internationale Reisewelt der schon beginnenden Hauptverkehrszeit – weißbärtige, bewegliche Franzosen mit dem roten Bändchen im Knopfloch und lächelnde Yankees in Schaukelstühlen, graziöse Pariser Damenwelt, Briten in Masse, streng nach der zwanglosen Mode des Sommernachmittags gekleidet, und dort – waren das nicht alte Bekannte?
Richtig – da stand der alte Herr mit dem eisgrauen Schnauzbart auf, reckte seine hagere, in einem zu kurzen Sommerjäckchen und ganz engen Beinkleidern steckende Gestalt und winkte ihm zu. Und auch die neben ihm kerzengerade dasitzende, schwarz gekleidete Dame wurde lebendig. Der Major und die Gouvernante! Das Paar hatte er am wenigsten gesucht. Aber es half nun nichts. Er mußte hin und sie begrüßen.
Die beiden ältlichen Menschen waren wie ausgewechselt in ihrem herbstlichen Zug von Herz zu Herzen. Über ihrem Gesicht lag ein geradezu sanftes, wehmütiges Lächeln an Stelle der früheren Düsterkeit, und er hatte sich – ganz im Gegensatz zu seinen wilden Auftritten mit Cook und Sohn – ein völlig feierliches Wesen, eine Art altfränkischer Sanftmut beigelegt, die seine verwitterten Züge verklärte. Jedenfalls waren die beiden vollkommen glücklich und kümmerten sich wenig darum – wenn sie es überhaupt merkten –, daß sie unter dieser blasierten, medisanten Touristenwelt wie die Dohlen zwischen den Ziervögeln saßen.
Er nahm bei ihnen Platz, und unaufgefordert, als ob sich das von selbst verstände, erzählten ihm die beiden zugleich von Klara. Die Reise sei ohne Zwischenfälle verlaufen, und gestern früh habe man die Kleine in ihre neue Stellung gebracht. Aber heute schon sei ein flehender Brief von ihr gekommen, die Schwester möge sie doch umgehend besuchen. So sei Klara eilends dorthin gegangen und müsse nun wohl bald zurückkommen.
Den Afrikaner, der zerstreut zuhörte, interessierte nur das letztere. Was lag ihm an all diesen verwandtschaftlichen Abenteuern? Am liebsten wäre es ihm gewesen, hätte die blonde Malerin ganz ohne Anhang auf der Welt dagestanden. Denn diese Philister – gewiß, es waren ja treffliche, gute Menschen, aber er paßte so gar nicht zu ihnen, und sie verstimmten ihn, ohne es zu wissen und zu wollen, in ihrer Sprache, ihrer Haltung, ihren Kleidern – in allem.
Die beiden Damen, die jetzt in den Garten traten, fielen auch durch ihre Schlichtheit und Anspruchslosigkeit auf. Zwischen dem raffinierten Luxus der Amerikanerinnen und Pariserinnen ringsumher sahen sie in ihrer einfachen Reisegarderobe wie Kammerfrauen oder Gouvernanten aus.
Nun natürlich – es waren ja doch auch Gouvernanten, die älteste, die da neben ihm saß, und die jüngste, die da trotzigen Gesichts herankam. Und die hübsche Blondine neben ihr konnte sich doch nicht anders kleiden wie ihre Schwestern.
Es dauerte einen Augenblick, bis er sich überzeugt hatte, daß es Klara war, und fast zugleich schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, einen wie großen Unterschied es doch macht, ob man ein Mädchen allein mitten in der dämmernden Wüste, in kleidsamem Reitkostüm, als die erste Europäerin seit Jahren erblickt, oder wie hier in einem Kreise glänzender, selbstbewußter und unmerklich spöttisch lächelnder Frauen.
Gleich darauf zürnte er sich wegen dieser Regung. Er ging raschen Schrittes auf Klara zu und drückte ihr herzlich beide Hände. Sie erwiderte leise den Druck und schaute ihm heiter ins Gesicht. Eine seine Röte durchleuchtete ihre freundlichen offenen Züge, aber sie sprach kein Wort.
Statt ihrer fing die Kleine an. Sie befand sich in höchster Aufregung und wartete gar nicht ab, daß man sie nach dem Grund der Rückkehr fragte. Sie müsse eben zurückkommen! Sie habe Klara gebeten, sie nur gleich wieder fortzunehmen, und das habe die nach einer gütlichen Aussprache mit der Familie denn auch glücklich getan. Und da sei sie nun wieder. Um eine traurige Erfahrung reicher! Aber das mache nichts! Es sei schon besser so!
»Ja, was hat es eigentlich gegeben?« fragte die älteste streng.
»Gar nichts. Gestern abend, wie ich mich eben eingerichtet hatte und es mir so recht schwer ums Herz war, da klingelte es, und er ist da! Ihr könnt euch denken, wie mir da das Herz geklopft hat. Er war direkt von Gibraltar durchgefahren und wollte sich in Genf eben nur die paar Stunden aufhalten, um mich zu sehen – dann gleich weiter!«
»Ja, wer denn?«
»Wer?« Die Kleine schien höchst erstaunt, daß nicht alle Welt das sofort wußte. »Nun, Herr Steffen doch natürlich. Ich erkannte ihn doch auch gleich, obwohl es dämmerte, an dem großen blonden Vollbart und war so froh ...«
»Aber die Familie wohl nicht?«
»Nein. Der Hausherr, dieser langweilige alte Mucker – aber so soll es viele hier in