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es ist gut, man spricht sich über derlei einmal aus«, sagte sie und bemühte sich, unbefangen zu lächeln. »Wir sind ja keine Kinder mehr, sondern Sie ein gereifter Mann und ich nahezu eine alte Jungfer. Warum sollen zwei erwachsene Menschen, die das Leben kennen und manches Schwere in ihm erfahren haben, nicht offen über derlei sprechen? Ich finde, das erste und die Hauptsache ist, daß man sich ganz versteht, vollkommen! Mir wenigstens liegt daran, daß Sie mich ganz kennen, wie ich bin! Darum habe ich so lange gesprochen und nicht, wie es mir der Zufall eingab, sondern wohlüberlegt, Tag und Nacht überlegt in dieser letzten Zeit.«

      »Ich danke Ihnen.« Er sprach ganz gelassen. »Sie glauben also bestimmt, daß mein Plan verfehlt wäre, mich zur Ruhe zu setzen?«

      »Ja. Das glaub' ich!«

      » ...Daß das mich unglücklich machen würde ... und andere auch?«

      »Ganz gewiß glaub' ich das!«

      »Sie glauben es! Aber Sie sind nicht sicher?«

      »Doch. Ich bin sicher!«

      Sie schwiegen eine Weile, dann machte er den letzten Versuch. »Und wenn Sie sich nun doch täuschen!« sagte er leise und eindringlich. »Wenn ich, etwa nach zehn Jahren, sagen kann: Ich bin doch glücklich gewesen. In all der engen Häuslichkeit, mit all der Verwandtschaft. Und trotz all dem Müßiggang!«

      Jetzt war das Lächeln von ihren Lippen geschwunden. Sie sah sehr ernst aus. »Dann wäre das Schlimmste geschehen, was ich mir denken kann!« sprach sie halb vor sich hin. »Dann wären Sie klein geworden in der Alltäglichkeit. Abgestumpft. Eingelullt von der Gewohnheit. Dann hätten Sie in Wahrheit Ihr eigentliches Selbst verloren. Das wäre dann zugrunde gegangen in dem ewigen Einerlei und ein Mensch wie andere übriggeblieben. Der mag ja dann in seiner Art glücklich sein. Aber es ist ein Glück, das ich für Sie nicht hoffe und nicht wünsche!«

      Er saß stumm da, das Haupt gesenkt. Vom Hause klang mahnend die Hotelglocke. Klara stand auf. »Es ist Zeit, die Abendtoilette zu machen!« sagte sie und streckte ihm die Hand hin. »Auf Wiedersehen, lieber Freund! Und seien Sie nicht so schwermütig. So möchte ich Sie gar nicht sehen. Sie sollen aufrecht dastehen und nach oben schauen! Exzelsior! Das ist Ihre Losung. Immer höher hinauf, über die anderen Menschen hinaus, sei's allein, sei's, daß Sie einmal einen Kameraden im Leben finden, der stolz auf Sie ist, der Ihnen folgt in die Weite und Größe, statt Sie an den Küchenherd und in die Gute Stube zu zerren. Das wünsch' ich Ihnen, und es kommt aus ehrlichem Herzen!«

      »Ich glaube es!« sagte er und hielt ihre Hand fest. Sie tat ihm sehr leid. Ein Wort lag auf seinen Lippen, das befreiende Wort: »Ich kann ja nicht anders. Ich bin ein gebrochener Mensch!« Gewiß, dann würde sie alles verleugnen, was sie eben gesagt, würde seine treueste Helferin und Trösterin sein.

      Aber er schämte sich, als Bettler vor ihr zu stehen. Und dahinter das Zukunftsbild, das sie ihm grau in grau gemalt und das sie nicht mehr verwischen konnte!

      Sie war von ihm gegangen. Er sah der schlanken, blonden Gestalt nach, wie sie sorglosen Schritts, von frohen Gedanken beflügelt, den Garten durcheilte und im Hotel verschwand. Dann trat er langsam auf die dämmernde Straße hinaus.

      19.

       Inhaltsverzeichnis

      Erst ging er vor dem Hotel auf und ab, wo es jetzt still und einsam wurde, dann den Kai entlang, über eine Brücke, unter der die durchsichtigen Fluten des Stromes hinschossen, an einem mit Blumenbosketts umgebenen Denkmal vorbei, in eine Straße hinein ... er wußte selbst nicht wohin, er wußte kaum mehr, in welcher Stadt er sich befand. Es war ja alles gleich. Alles vorbei. Sie hatte recht: wer die weite Welt gewohnt ist, verträgt die enge Hütte nicht mehr. Wer auf den Höhen der Erde geatmet hat, geht in der Stubenluft zugrunde.

      Aber wenn sie recht hatte – was dann? Er begriff nicht, wie die Zukunft dann werden sollte. Er sah in sie hinein wie in eine dunkle Nacht voll unheimlichen Grauens, in der alles, was bisher um ihn war, hinschwand und verschwommenen, wesenlos dräuenden Gebilden Platz machte.

      Sich totschießen? Das war leicht gesagt. Aber ein Gefühl der Kraft und des Zornes wuchs sofort mächtig dagegen in ihm auf. Es war nicht nur der Selbsterhaltungstrieb des lebenden, atmenden Wesens, es war mehr noch der Trotz des Kämpfers, der überall auf der Erde mit der Vernichtung in jeder Form Brust an Brust gerungen hatte und immer wieder ihren Krallen entschlüpft war. Und jetzt sich ihr wehrlos hingeben, sich selbst besiegt erklären und selbst das Urteil vollstrecken? Nein, ihm ekelte bei dem Gedanken. Das war feige, war klein und häßlich ...

      Er blieb stehen und sah um sich, wo er sich eigentlich befand. Zufällig fiel sein Auge auf ein Schild an der Haustür nebenan. Es war der Name eines Arztes und seine Sprechstunden.

      Ein Gedanke durchzuckte ihn. Wovon machte er denn eigentlich sein ganzes Schicksal abhängig? Von dem Ausspruch eines ihm weltfremden Doktors irgendwo da unten an der Riviera, der ihn einmal eine Viertelstunde in der Dämmerung flüchtig untersucht! Wenn er sich geirrt hatte? Unfehlbar war er doch jedenfalls sowenig wie irgendein anderer Mensch, wennschon er seiner Sache sicher zu sein schien. Denn sonst hätte er ihm wohl nicht gesagt, er möge, wenn er noch zweifle, irgendwo einen beliebigen Kollegen nochmals um Rat fragen.

      Wenn der Kollege nun lachte? Ihm sagte: »Verehrtester ... der gute Mann in Nizza ist ein Schwarzseher, an die verzärtelten Besucher der Riviera gewöhnt! Bei einem Mann wie Ihnen steht die Sache gar nicht so schlimm?« – Er dachte den Gedanken gar nicht zu Ende, sondern stieg die Treppe hinauf und ließ sich bei dem Doktor melden, als ein Durchreisender, der die übliche Sprechzeit nicht innehalten könne.

      Der Arzt empfing ihn denn auch sofort und tat seine Pflicht. Er war ein höflicher Franzose. Sein Worte klangen gefälliger und schonender als die des Schweizer Doktors in Nizza, aber ihr Sinn war derselbe, genau derselbe.

      »Es ist da wenig zu machen, mein Herr!« sagte er mit seiner einschmeichelnden, wie geölten Stimme und lächelte, daß über dem dunklen Spitzbart die Zähne blitzten. »Sie müssen sich durchaus schonen! Mein Gott ... man lebt immerhin! Man gewöhnt sich daran und bescheidet sich. Es braucht ja nicht jeder auf den Montblanc zu steigen!«

      Der Fremde sah ihn an. »Wie kommen Sie gerade auf den Montblanc?«

      »Warum nicht? Der Montblanc ist ja hier für uns das Nächstliegende! Wir leben ja gewissermaßen mit ihm! Wir sehen ihn jeden Abend, wenn das Wetter klar ist. Unsere schönste Straße ist nach ihm benannt. Er ist für uns gewissermaßen der Gipfel der Dinge. Eine Art Gleichnis! Wenn ich meinen Patienten sage:›Auf den Montblanc können Sie natürlich nicht mehr gehen!‹ so heißt das eben: ›Sie müssen jede große körperliche und geistige Anstrengung vermeiden.‹ Denn daß die Besteigung des Montblanc eine solche ist ...«

      »Ich weiß! Ich war schon zweimal oben.«

      »Nun sehen Sie ...« Der Arzt versuchte zu scherzen. »Da ist das also schon gar keine Entbehrung mehr für Sie! Denn ein drittes Mal hätten Sie es ja doch wohl nicht getan!«

      »Und wenn ich es nun doch unternehmen würde?«

      »Jetzt? So, wie sie jetzt sind?«

      »Ja.«

      Der höfliche Arzt zuckte die Achseln. »Es ist Selbstmord, mein Herr! Sie würden lebend nicht wieder herunterkommen!«

      »Woraus schließen Sie das?«

      »Mein Herr! Das Bergsteigen auf fast fünftausend Meter Höhe, zumal in jener ganz dünnen Luft, wie sie da oben herrscht, erfordert, wie Sie selbst ja wissen müssen, eine äußerste Anstrengung des Herzens. Der sind Sie nicht mehr gewachsen.«

      »Und was würde erfolgen?«

      »Mein Herr, Sie würden plötzlich niederstürzen, und in wenigen Minuten wäre durch einen innerlichen Bluterguß alles zu Ende.«

      Der Afrikaner hatte sich erhoben. »Und wenn das nun nicht geschähe?« sprach er finster lächelnd, » ...und ich käme ganz wohlbehalten

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