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der Ferne klangen die Hammerschläge, mit denen der Schmied beim Feuerschein der Esse den Pferden neue Eisen auflegte und die wackelig gewordenen Räder für die Strapazen des nächsten Tages ausbesserte.

      Wie braune Felsblöcke im Strom standen überall in dem Gewühl die wenig beweglichen Gruppen der Bergführer. Es mochten ihrer hundert oder mehr sein, die auf dem Platz zwischen der Poststation und der Kirche vor dem Bureau des Guides sich scharten. Doch waren es meist nur die Kleineren ihrer Gilde. Die großen Gletschermänner, die eigentlichen Montblancführer, deren Namen alle Reisehandbücher nennen, hielten sich, soweit sie nicht »draußen« waren, eher in ihren Häusern und Kantinen auf. Sie wußten, daß der Hochtourist diejenigen von ihnen, die er sich aus der ihm wohlbekannten Schar gewählt hatte, schon rufen lassen würde.

      Augenblicklich herrschte in den Gruppen dieser blasiert dastehenden, unansehnlich gekleideten Gestalten etwas mehr Leben als sonst. Eine Montblancexpedition kehrte zurück. Aus den Dachluken des Hotels vor ihnen knallten die Schüsse der Hausknechte, und eine Menge Gäste – Engländer und Amerikaner – stand erwartungsvoll im Eingang, um den jungen Burschen zu begrüßen, der, die Stummelpfeife im Mund, die Eisaxt geschultert, zwischen zwei verwetterten alten Führern über die Arvebrücke daherkam. Er schien gar nicht ermüdet und lächelte kindlich vergnügt, als oben in den Fensterchen die Pulverwölkchen sich kräuselten und unten ihn ein Trupp befreundeter Herren und Damen aus Boston mit einem begeisterten »Hip! Hip! Hurra!« empfing.

      Der ganze Schwarm der Neugierigen zog mit ihm bis vor die Pforte des Hotels. Auf der Gasse wurde es licht. Sie lag frei vor dem einsamen, sonnengebräunten Wanderer, und er verdoppelte seine Schritte, um bald das Freie zu erreichen.

      Gottlob – nun hatte er Chamonix hinter sich und stand allein.

      Vor ihm lag im Abenddämmern das grüne Wiesental, mit steinbeschwerten Hütten übersät und eingerahmt von düsteren, blauschwarzen Tannenhängen, durch die sich in blendendem Weiß die Gletscherströme niederwälzten. Oben, über der Grenze des Waldwuchses flossen sie ineinander und bildeten ungeheuere Eismeere, die dann wieder, wo noch weiter hinauf das Reich des ewigen Schnees begann, in blendende Firnfelder übergingen. Die weißen Schneedächer wölbten sich, eines das andere überhöhend, unermeßlich zum Himmel empor und begrenzten, beinahe senkrecht über den schwindelnden Augen unten, dessen unergründliches Blau mit ihren stäubenden Kämmen. Dort oben war die Spitze des Montblanc. Es kostete Mühe, sie herauszufinden – schien doch der Dome du Gouter in der Verkürzung ebenso hoch – aber es war auch nicht die einzelne kleine, über den Abendwolken verlorene Schneekuppe, die so gewaltig wirkte, sondern der ganze Anblick dieser blendendweißen, sonnenüberglühten, sich stumm über die Erde aufreckenden Riesenwelt, vor der alles im Tal zusammenschrumpfte und nichtig erschien.

      Sonnenuntergang auf dem Gipfel des Montblanc! Er kannte das Schauspiel wohl. Es lebte vor seinem inneren Auge, als lebe er selbst oben auf jener Höhe.

      Unten in einem Dämmern von Nacht, Nebel und Wolken ging ganz Europa zur Ruhe. Aber die Berge waren noch wach. Sie standen noch im Licht. In siebenfach flammender Gipfelpracht wölbte sich da oben, frei vor dem Montblanc hingelagert, der herrlichste aller Höhenzüge, die Monte-Rosa-Gruppe. Mit ihrer goldglänzenden Dufourspitze überragte sie die ganze Schweiz. Das Matterhorn, der böse Feind, hockte ganz verkümmert und zerknirscht links daneben. Wohl stand auch sein trotzig zurückgekrümmter Gipfel noch in lichten Abendflammen, aber seine Gestalt war, von hier betrachtet, unschön, ganz anders, als wenn man umgekehrt von der Spitze des Monte Rosa aus die Felspyramide gerade vor dem Montblanc stehen sieht. Jetzt trug sie deutlich einen Höcker und war in sich zusammengesunken, ein buckliger Teufel, der aus der Ferne wenigstens keinen mehr schreckt.

      Auch das Berner Oberland schien klein gegen die Monte-Rosa-Pracht. Seine Giganten standen zu dicht beisammen. Rot überstrahlt drängten sich Jungfrau, Mönch und Eiger Hand in Hand, und an sie wieder preßte sich die zackige Riesenwand der Ebenefluh, das gigantische Dreieck des Breithorns und die Tschingelkette, wie gegenüber, Mann neben Mann zur Mauer gereiht, die Aar- und Schreckhörner mit funkelnden Eiskronen standen und über ihre Schulter weg aus der Wetterhorngruppe die Rivalin der Berner Königin, die schöne Hasli-Jungfrau, im Abendgold blitzte.

      Hier im Norden und Osten sank rasch die Nacht auch über die Hochgipfel. Von den Eistürmen des Engadins war nichts mehr zu sehen, der Tödi versunken, vom Schwarzwald her lag es finster auf Deutschland und der Schweiz. Aber nach der anderen Seite hin wollte das Licht noch nicht weichen. In Italien war es noch hell. Ein düster ragender violetter Riesenklotz, bewachte da der Monte Viso sein Reich. Grivola und Paradies standen da vor dem Gewimmel der italienischen Seealpen, hinter denen in unsichtbaren Fernen das Mittelländische Meer rauschte, und blickte der Montblanc dorthin, in sein Heimatland nach Frankreich hinüber, so schimmerten da noch deutlich unter ihm die zerrissenen Schneeflächen, die zackigen Felsengipfel und wilden Schluchten der Dauphiné. Tiefer und tiefer sank zwischen ihnen der rote Sonnenball, und in dieser Spanne weniger Minuten, in denen das Licht zur Nacht sich wandelt, ging plötzlich eine wundersame Bewegung durch die Firnwelt. Es schien, als seien auf einmal die weiten Schneefelder von innen belebt. Sie leuchteten in warmen, fleischfarbenen Tönen, und ihre über Mulden und Kesseln lagernden Schatten gewannen einen hellen, grünlichen Glanz, gleich dem Widerschein des Abendhimmels, an dem das verschwimmende, von Rosenwölkchen durchsetzte Blaßblau in durchsichtigen, seegrünen Schimmer überging.

      Nur eine kurze Frist – dann war auch für die Spitze des Montblanc der Sonnenball geschwunden, und fast im selben Augenblick kleideten sich Schnee und Eis umher bei sofort unheimlich steigender Kälte in ein stumpfes, totes Weiß. Aber der Beschauer unten im Tale wußte es wohl: die Nacht war noch nicht da. An Stelle der kleinen roten Scheibe, vor der jetzt schwarze, wie zackig mit der Schere ausgeschnittene Riesenkonturen die Berge standen, lief rechts und links ein breites, rotes Feuerband über den Horizont. Es dehnte sich mehr und mehr aus, es spannte sich nach Frankreich und Italien und bildete einen flammenden Hintergrund, von dem die Schattenrisse der Berge sich gigantisch in unwahrscheinlichen, bei Tage nie geschauten Gespenstergestalten abzeichneten.

      Im Halbkreis um den Montblanc lohte Europa. Ein Weltbrand, eine jener Farbenorgien, in denen sich, unbekümmert um Menschenaugen, die schweigende Natur berauscht, wenn sie in der Polarnacht die regenbogenbunt zitternden Bänder des Nordlichts über den Himmel wirft, wenn sie das tiefblaue, von weißen Schaumspritzern gekrönte Eismeer in den blutigen Dunst der Mitternachtssonne kleidet oder dem Monarchen der Montblanckette einmal noch seine Lande im Feuerschein zeigt, ehe die Nacht ihre grämlichen Hüllen darüberwirft.

      Denn nun kam die Nacht wirklich. Das Flammenband am Horizont ward blasser und blasser, ein kränklicher, violetter Hauch legte sich darüberhin und ging rasch in volles Schwarz über. Die Dunkelheit war da, die Dunkelheit der Hochwelt, in der nur noch das letzte ersterbende Schneegeriesel und, wenn auch das zu Ende, zuweilen ein langgezogenes Sturmgestöhne das Todesschweigen unterbricht, indessen am Himmel, strahlend und glitzernd, wie man es nie in den Tälern schaut, die stumme Sternenpracht sich wölbt.

      Aber nicht lange dauerte die Dunkelheit. Hinter der Aiguille du Moine stieg ein bläulicher, unbestimmt nach allen Seiten sich verteilender Schein rasch empor. Er wurde stärker und stärker, und plötzlich schwamm, grell leuchtend und gewaltig wie die Sonnenscheibe, scharf von dem fern dahinterliegenden Sternengewimmel abgegrenzt und scheinbar in unheimlicher Größe dicht über der Erde schwebend, der Vollmond am Himmel.

      Es wurde beinahe taghell ringsumher. Weithin traten silberübergossen die Montblancspitzen aus der Nacht, die Schneefelder schimmerten in bläulichem, von schwarzen Schattenflecken durchbrochenem Glanz, und auf den zerklüftet und zerrissen in die Nacht der Tannenwälder und Täler hinabrollenden Gletschern spiegelte sich wie auf den Schuppen eines Fisches das silberne Licht.

      Der Mond stand still am Himmel. Die Berge schliefen. Ringsum war Ruhe. Nur ihr schweres Atmen ging zuweilen als ein Sturmhauch durch die Öde. Dann stöhnte es unten in den Schrunden, und oben auf den Kämmen wehten, vom Himmel her bläulich durchleuchtet, die aufgefegten Eisschleier schweigend im Geistertanz dahin ...

      Er blickte noch einmal zu den Höhen empor. Dann ging er still im Dunkel nach dem Städtchen zurück. Der heutige Nachmittag war ihm mit der Vorbereitung der Tour, der Beschaffung all der Kleinigkeiten verstrichen, die

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