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Abend war klar und heiter, in seinem frisch von den Höhen niederwehenden Hauch schönes Wetter versprechend. Und klar und froh war es auch in seinem Innern. Der Anblick der Größe hatte ihn befreit. Er war ruhig, wie schon lange nicht mehr, erfrischt und geläutert wie nach einem Bad in kaltem Bergquell.

      Die Straße war jetzt, zur Zeit der großen Fütterung in allen Hotels, wenig belebt. Nur die Führer standen noch da und dort beisammen, und manche von ihnen griffen, den Alpenforscher erkennend, an ihre Schlapphüte. Er machte halt und reichte einem von ihnen, dessen Greisenantlitz fast in einem weißen Urwald von Bart verschwand, die Rechte.

      »Wie geht's, Vater Baptiste?« fragte er freundlich auf französisch seinen einstigen Bergbegleiter. »Was macht der Montblanc?«

      Der Patriarch lächelte schmerzlich. »Ach, Monsieur! Ich habe dem Montblanc adieu sagen müssen. Vor drei Jahren. Es geht nicht mehr mit der dünnen Luft. Nun führe ich nur noch Reisegesellschaften über den Glacier des Bossens, allenfalls auf den Jardin.«

      »Das ist freilich traurig. Ein Führer wie Sie, Baptiste!«

      »Ja, Monsieur! Und was könnte ich diesen Sommer verdienen! Er ist so gut wie selten einer. Sehr viel Fremde. Man macht nicht nur den Montblanc, sondern auch die seltenen Spitzen. Sehen Monsieur nur da!« Und er wies hinaus auf den Nachthimmel, an dem in halber Höhe ein winziges, rotes Feuerpünktchen schimmerte.

      »Ein Biwak?«

      »Ja, Monsieur! Zwei Herren, die mit vier Führern und vielen Trägern die Aiguille du Diable machen wollen! Ein vornehmer deutscher Herr und ein Herr aus Amerika oder Afrika ... ich weiß nicht recht!«

      »Vielleicht ein ganz großer Mann, mit langem, rotem Schnurrbart, und ein ganz kleiner, glatter?«

      »Richtig, Monsieur! Monsieur ist wohl mit Ihnen befreundet?«

      »Ja. Ziemlich!« Er stockte. »Sagen Sie ... ist niemand anders mit den Herrschaften?«

      »Doch. Ein alter Herr mit seiner Tochter!«

      »Sind sie unten?«

      »Ja, Monsieur! Sie wohnen in dem Hotel hier drüben – gleich neben dem Führerbureau. Der alte Herr ist nicht gut zu Fuß.«

      Also war sie hier, in seiner Nähe! Jeder Schritt aufwärts entfernte ihn von ihr und führte ihn zur vollen Freiheit. Und da sie jedenfalls nicht ohne ihre beiden Freunde eine Montblanctour unternahm, so war er vollkommen sicher, ihr morgen nicht auf seinem Wege zu begegnen.

      »Adieu, Baptiste!« sagte er. »Morgen geht's auf die ›Calotte‹!«

      Der Alte sah ihn neidisch an. »Welche Führer nimmt Monsieur denn mit?«

      »Keine!«

      »Das ist aber sehr gefährlich, Monsieur!«

      »Ach ja, Vater Baptiste!« Der Afrikaner wandte sich zum Gehen. »Das ganze Leben ist gefährlich. Schließlich stirbt jeder daran.« Er drückte dem Alten, der ihn kopfschüttelnd ansah, die Hand und schlenderte die Gasse weiter.

      Da war die Straßenecke mit dem von vereinzelten Hochtouristen, Führern und Trägern umstandenen »Bureau des Guides« und dicht daneben das Hotel.

      Ein plötzliches, unbezwingliches Verlangen kam über ihn, die paar Dutzend Schritte bis zu dem Portal zurückzulegen und in den hellerleuchteten Speisesaal einzutreten.

      Wenn die Weltwanderer wirklich da waren, wenn nicht wieder wie jüngst in Gibraltar die Enttäuschung an der einsamen Tafel mit Nikolai Ney zu Gaste saß, so würden sie ihn jedenfalls freudig empfangen! Er war wieder unter seinesgleichen, statt unter den Philistern von Genf, und er konnte von ihr Abschied nehmen ...

      Er stand noch immer an der Ecke, ohne einen Schritt gegen das Hotel zu tun. Sein Gesicht wurde finster. »Nein« sagte er plötzlich ganz laut und mit fester Stimme und ging geradeaus weiter, das lockende Portal im Rücken lassend.

      Nein! Ihr Mitleid mit dem Kranken begehrte er nicht. Es war vorbei und überwunden. »Nein!« wiederholte er noch einmal und schritt rascher in das Dunkel hinein.

      21.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Lichtpunkt, der hoch von oben aus dem nächtigen Grauen der Schneefelder in das Tal hinableuchtete, war, in der Nähe gesehen, ein kleiner, knisternder und lodernder Scheiterhaufen unter einer überhängenden und auf der einen Seite wie ein Windmantel schirmend vorspringenden Felswand. Die vermummten Gestalten, die um die Feuerstätte kauerten, schauderten trotzdem alle Augenblicke vor Frost auf, wenn ein neugierig um die Ecke fahrender Windstoß mit seinem Eishauch die Flammenzungen platt zu Boden drückte und die Rauchfunken weit über den Gletscher hinstieben ließ. Sobald die Flamme sich wieder aufrichtete, warf sie einen halbkreisförmigen Glutschein hinaus in die Nacht. Sie übergoß mit ihrem Zitterlicht die fröstelnden Männer, denen der Reif in den Bärten hing und der Atem wie eine Wolke von den Lippen dampfte – daneben die mannigfache Ausrüstung einer verwegenen Hochtour, eine kleine Klappleiter, Schlafsäcke, Steigeisen, Laternen, Proviant und Seile in Menge, Wein in großen flachen, auf dem Rücken festzuschnallenden Blechscheiben, alles im Durcheinander des Biwaks – darüber die hellbestrahlte Felswand, an der sich die Umrisse der Firnwanderer in riesigen Schatten abzeichneten, und im Umkreis endlich, so weit der Brandschein reichte, die Spukgestalten der Gletscherwildnis.

      Wie Vorposten des Todes standen reglos, weißleuchtend die abenteuerlichen Eiskegel da, einer den anderen überhöhend, bis ihr Gewimmel sich in der Nacht verlor, und glotzten in stummem Grimm auf die Eindringlinge herüber. Ihr erstarrender, aus unerforschten Schlünden atmender Frosthauch wehte um das lustige kleine Feuer, und wie ein warnendes Knurren lief zuweilen eine Luftwelle zwischen ihren Schlünden hin.

      Eine Weile war dann wieder alles still. Nichts als die Takte des Yankee-doodle, die Franklin Moore leise vor sich hinpfiff, das gedankenvolle Räuspern eines Führers oder Trägers, das Summen des Schneewassers in dem über der Glut hängenden Kessel. Dann plötzlich ein wüster Lärm da draußen in der Nacht, ein Krachen und Klirren, ein lang hingezogenes Rollen, ein paar kurze, knallende Töne wie Flintenschüsse hinterher ...

      Die Führer schauten sich ernst an und nickten, überzeugt, daß sie alle das gleiche dachten, stumm mit den Köpfen. Der kleine Amerikaner zog die Uhr heraus und gähnte. » I say!« sprach er zu dem hünenhaften Gesellen, der, den Rücken an die Felswand gepreßt, neben ihm saß und seine langen Beine bis beinahe in das Feuer geschoben hatte. »Die Lawine ist durch unser Couloir gegangen!«

      »Durch das wir hinauf müssen?«

      »Ich denke so! Es war Eis und Stein durcheinander.«

      »Ja.«

      Sie schwiegen wieder. Der Kraftmensch gähnte hinter der hohlen Riesenhand, und Franklin hüllte fröstelnd seinen mageren Leib, die Miniaturausgabe eines Athleten, fester in den Mantel.

      Wieder polterte es oben dräuend in der Nacht.

      »Wenn uns so was morgen faßt ...« Franklin Moore war nachdenklich geworden und holte sich aus der Innentasche seines Rockes ein Portefeuille heraus.

      »Still, Franklin!« sagte der blonde Hüne phlegmatisch. »Was wissen Sie davon? In den Bergen sind Sie ein Kind!«

      Franklin Moore hatte stirnrunzelnd und den Bleistift mit den Lippen feuchtend in seinem Notizbuch zu rechnen begonnen. »Hoho!« sprach er in Gedanken. »Ist die Traversierung des Matterhorns nichts? Ist der Monte Rosa nichts? Oder Jungfrau und Mönch an einem Tag und ...«

      »Gott ja!« Der andere streckte gähnend die Beine. »Sie machen die Sachen ja! ... Aber als ein Dilettant! Als ein Mensch, der in Europa 'rumbummelt, weil in Transvaal eben nicht viel los ist und drüben in den Staaten Ihr geschätzter Vater alles selber besorgt. Sie machen eben die ›europäischen Einrichtungen‹, wie Sie das nennen, geduldig mit. Kommen Sie nach Bayreuth, so gehen Sie in die ›Götterdämmerung‹, kommen Sie nach Zermatt, so gehen Sie aufs

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