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Vater und Sohn lautlos, nach allen Regeln der Kunst und finsteren Gesichts mit markierten Schlägen aufeinander losboxen sehen. Zurückgekehrt, schlugen sie einen Gesang vor. Erst trällerte der junge Bursche einen Niggertanz und bemühte sich zugleich, halb in der Zerstreuung, das Holzgeländer der Galerie zwischen seinen Eisenfäusten entzweizuknacken, dann brüllte, als er sich enttäuscht abwendete, einer der Führer, ein baumlanger Zyklop, ein melancholisches Lied.

      » Amis! Partons à la conquête du fier sommet! Prenons pour grimper jusq'au faite Corde et piolet!«

      Seine Stimme klang melodisch wie der Baß eines Kettenhundes. Aber er ließ sich nicht stören.

      » Adieu Cabane! L'alpe diaphane l'Azur qui luit Tout nous séduit!«

      Die Engländer stimmten andächtig in den Kehrreim ein. Dann wurden sie nachdenklich. Man sah, wie sie über einen neuen Zeitvertreib grübelten, während sie ihre Pfeifen ausklopften und dem scherzenden Ringkampf zweier Führer folgten, die sich fluchend mit Bärengriffen umklammert hielten und wie Betrunkene hin und her taumelten.

      Der lustige Graukopf schaute indessen durch sein Fernrohr nach dem Montblanc. »Sie sind Deutscher, Herr?« fragte er den neben ihm stehenden Afrikaner. »Eben kommt Ihr Landsmann, ein Offizier, über die ›Bosses du Dromadaire‹ herunter!«

      Der andere nahm das Glas und prüfte die drei nachtschwarzen Schattengestalten, die sich riesenhaft, gleich gespenstischen Schornsteinfegern, von dem stahlblauen Himmel abzeichneten und in seltsamen, stelzbeinigen Bewegungen wie Marionetten die steile Eisschneide herabklommen.

      Es ärgerte ihn, daß so viel Menschen auf den Bergen waren! Auch der Gletscher unten belebte sich immer mehr. Es war ein förmliches Getümmel von schwarzen Punkten, die, wie Perlen an einen Faden gereiht, langsam aufwärts krochen. Vor den Gletscherspalten stauten sie sich zu Klumpen. Man konnte deutlich die zweifelnden Handbewegungen, die ermunternden Winke der Führer, das ganze Gewirtschafte erkennen, bis endlich einer nach dem anderen sich ein Herz faßte und wie ein Insekt über die Leiter krabbelte.

      Bei den Trupps, die juchzend und jodelnd die obere Schneehalde erklommen, unterschieden sich bereits die Montblancbesteiger durch die Eisaxt und das Führerpaar von den zu dritt und viert an zwei Führern angeseilten, bergstockbewehrten Hüttengästen, und bald langten die vordersten Expeditionen schwitzend, aufgeregt und glückselig bei der Felseninsel an.

      Die anderen tröpfelten im Laufe der Stunden hinterher, eine wahre Musterkarte aller Nationen. Zuerst ein holländisches Ehepaar, liebenswürdige junge Leute, die beinahe gleichzeitig nach drei Seiten hin Deutsch, Englisch und Französisch plauderten, dann ein Magyare mit bräunlichem Gesicht und dunklem Spitzbart. Das ungewohnte Bergsteigen hatte den Sohn der Pußta mehr als die beiden Niederländer erschöpft. Er setzte sich still und melancholisch in die Ecke.

      Die nächsten im Schnee aufwärts stapfenden Gesellschaften verrieten schon von weitem durch ihr keuchendes Geplapper das gallische Blut. Monsieur L'Abbé geleitete mit Hilfe einiger Führer seine Schutzbefohlenen, drei schmächtige, verlebt aussehende junge Pariser, auf der Ferienreise zu dem Hotel des Grands Mulets. Sein glattes, römisches Priestergesicht schaute wunderlich aus dem Bergkostüm, wie der Fuchs aus dem Sack. Im übrigen war er ein liebenswürdiger Weltmann und plauderte in dem engen, gestopft vollen Wirtsstübchen wie im Salon.

      Die hinter ihm waren Südfranzosen! Einer jener rundlichen, breitschulterigen Provenzalen, die einen mit ihrem schwarzen Augengefunkel zu erdolchen scheinen und mit den Gesten eines Raubmörders um das Salzfaß bitten. Dieser lebendige Mann in den Vierzigern war eine Leuchte des Touristenvereins der Dauphiné. Morgen früh stand er auf dem Montblanc – »als der erste, Monsieur! Ich schwör' es Ihnen! Es gilt die Ehre Frankreichs gegen Engländer und Preußen!« – und unten von den Grands Mulets würde die ganze Gesellschaft, die mit ihm gekommen, dem kletternden Familienhaupt ihre Grüße zuwinken: die Gattin, eine fröhliche Dame zu Mitte der Dreißig, die beiden Knaben, der Onkel und der Schwager.

      Und immer neue Trupps kamen in Sicht und krochen jodelnd auf dem Gletscher herauf. Bis zum Abend war unzweifelhaft das letzte Bett im Hause belegt. Schon jetzt war im Gastzimmer längst kein Raum mehr. In der Küche daneben, in der mit fliegendem Atem die freundliche Wirtschafterin hantierte, drängte sich die Elite der Chamonixführer, und der Platz vor dem Hause wie die Galerie daneben war dicht mit ihnen und ihren gedankenvoll rauchenden, plaudernden und gähnenden Touristen besetzt.

      Nun kam auch noch Zuwachs von oben. Auf den steilen, weißen Hängen, die vor der Hütte sich zum »Petit Plateau« emporzogen, erschien hoch oben der Montblancbesteiger zwischen seinen beiden Führern, drei dunkle sitzende Klumpen, die, rückwärts mit dem Pickel steuernd, blitzschnell über den weichen Schnee herabfuhren. Vor einer Gletscherspalte bremsten sie, standen auf und schritten wie gewöhnliche Menschen weiter. Der Tourist stürzte dabei ein paarmal ohne Veranlassung lang hin und raffte sich mit einer ungeduldigen Bewegung wieder auf.

      »Mein Gott, er ist krank!« rief die Französin. Aber ihr Gatte, die Leuchte der Dauphiné, tröstete sie. Das sei nur die Ermüdung. Da setze man den Fuß schief in den Schnee und verliere so das Gleichgewicht.

      Nicht lange dauerte es, so klomm der Mann vom Berge den kurzen Geröllpfad längs der Hüttenfelsen empor. Er nahm die Schneebrille ab und klappte die Mütze auf. Ein typisches preußisches Kavalleristengesicht mit scharfen sonnengebräunten Zügen und weißblondem Schnurrbart kam zum Vorschein. »Uff!« sprach er und ging schwer, mit krummen Knien, wie eben aus dem Sattel gestiegen, auf die Tür zu. »Höllisch steile Chose! Spür' den Montblanc förmlich in den Knochen!«

      »Sie sind müde!« sagte die holländische Dame. »Man sieht es Ihnen an.« Sie wußte nicht, daß in dem rauhen Bergsport derartige Beobachtungen bei sich und anderen verschwiegen werden. Der Leutnant zuckte denn auch die Achseln: »Gott, müde? ... nee ... das nu nicht! nur so'n bißchen dösig wie nach'm Distanzritt! War übrigens göttlich oben. Blick von Karlsruhe bis Marseille!«

      »Das haben Sie wirklich gesehen?«

      »Nee ... 's sind Wolken drüber«, lachte der andere. »Sehen tut man bloß die Berge. Na, nu werd' ich mich doch ein Viertelstündchen in die Klappe legen.« Der deutsche Tourist verschwand in einer der Kammern, in die ihm die Wirtin einen großen Krug Selterswasser brachte.

      Viel schlafen konnte er wohl nicht! Das ganze Haus zitterte vor Lärm. Die krachenden Tritte der Nägelschuhe auf den dünnen Dielen des Oberstocks, das Gepolter auf den Treppen und Fluren, das Lachen und Schwatzen der Führer in der Küche, die aufgeregten Stimmen der Südfranzosen, das Pfeifen der gelangweilten Engländer, das Juchzen und Jodeln auf der Galerie, das alles klang wirr ineinander und paßte so wenig zu den Bergen umher.

      Die schwiegen in ihrer stillen Größe. Und in diesem kleinen Stall, der wie ein verlorenes Sandkorn in der unermeßlichen Gletscherwelt lag, da schrie und wirtschaftete diese Handvoll winziger Menschlein, rannte durcheinander, gestikulierte, beratschlagte und gebärdete sich, als seien sie und ihr Dasein in dieser weißen Ewigkeit von irgendwelcher Bedeutung.

      Allmählich war jetzt schon die Dämmerung hereingebrochen. Die Sonne stand als eine blutleere Dunstscheibe zwischen den violetten Schattenrissen der Berge im Westen. Bunte Farbentöne zitterten von dort aus gegen den im Grau ersterbenden Osten. Die Montblancspitze hoch oben und die ragenden Eisnadeln glühten im Gold zu dem blaßblauen, sonnenwärts seegrün leuchtenden Himmel, und ein rosenroter Schein belebte plötzlich weithin die Schneefelder, über denen, noch kaum erkennbar, die Planeten als Vorläufer des Sternenheeres im Flimmerglanze aus dem Weltall traten. Unten, jenseit der Schneegrenze, war schon vollständige Nacht. Nur die Gletscherzungen schimmerten noch matt, wie aus der Tiefe eines schwarzen, langsam steigenden Ozeans herauf, und noch weiter unter ihnen blinkten, gleich einem feurigen am Meeresboden festgekrallten Seestern, die strahlenförmig auslaufenden Laternenadern von Chamonix.

      Über der lautlos schwellenden Flut der Nacht glühte noch ein Sonnenglanz wie ein Streifen geschmolzenes Erz auf der breiten Schulter des Dome du Gouter. In seinem Schein sah man deutlich die Schneewirbel dort oben stäuben und tanzen und in sturmgeblähten Schleiern zu Tale wehen. Dahinter war der Himmel schmierig und trübe, von blauschwarzen Dunststreifen durchsetzt, von denen, wie riesige Fledermäuse,

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