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und unter ihnen dampfenden Wolken ein. Sie erhellten sich mehr und mehr. Ein seltsames, gelbliches Dämmerlicht, wie man es nie in den Tälern schaut, schien, die Nacht vertilgend, aus den Poren des ewigen Firns selbst herauszuströmen, und im Osten flossen langgestreckte, rote Dunststreifen zu einer blutigen Lohe zusammen, die, gleich dem Widerschein einer ungeheuren Feuersbrunst, stumm und feierlich immer höher und höher am Himmel aufstieg.

      Tiefer unten, wo sich der Firnpfad längs des Doms zum Großen Plateau hinabzog, lag noch tiefe Nacht. Aber auch in ihr sahen, als er dorthin den Blick wendete, seine erstaunten Augen etwas Fremdes, Lebendiges. Ein Lichtpünktchen, das, wie ein aus dem Tal verirrtes Johanniswürmchen, steil und beharrlich in dem weißlichen Dunkel aufwärts pendelnd, über den Schnee emporschaukelte.

      Die Laterne einer Montblancexpedition! Er furchte die Stirn und stieg von der Hütte zu der beinahe ebenen, windumpfiffenen Firnfläche des Sattels nieder, auf dessen anderer Seite sich der Aufstieg zum eigentlichen Montblanc, die Eisleiter der Grandes Bosses du Dromadaire, emporbäumte.

      Zu dreiviertel senkrecht aufgerichtet und kaum einen Fuß breit, lief die von Axthieben gekerbte, bläulich blitzende Firnschneide zwischen zwei riesigen Glasdächern in die Höhe, die jäh und spiegelnd unter ihr rechts und links Tausende von Fuß in das Tal, nach Frankreich und Italien abschlossen.

      Es war eigentlich noch etwas zu dämmerig, um jetzt schon die glitschrigen Sprossen dieser Himmelsleiter zu erklimmen, die, obwohl für den erfahrenen und schwindelfreien Bergsteiger gut gangbar, doch für jeden unbedachten Tritt eines Einzelgängers sein Leben heimfordert. Und zudem konnte der heulende Wind alles vereiteln. Ließ er auch wohl bei Tagesanbruch nach, so war doch die Gefahr, durch einen jähen Sturmstoß aus den Stufen geschleudert und in das Nichts hinausgefegt zu werden, während der ganzen Wanderung vorhanden.

      Zum Glück konnte die Bezwingung des Dromedar-Höckers kaum fünfundzwanzig bis dreißig Minuten dauern, da er sich keine Eistritte auszukerben brauchte. Die am vorigen Tag geschlagenen Stufen des Leutnants waren – das sah sein geübter Blick – noch zu benutzen. Und wartete er nur noch kurze Zeit, so kamen die da hinten und holten ihn ein. Hörte er doch im Morgennebel undeutliche Stimmen aus der Ferne.

      Er warf seine Eisaxt über die Schulter wie der Soldat das Gewehr und ging im Sturmwind mit langen Schlitten quer über den Firnsattel dem Montblanc zu.

      24.

       Inhaltsverzeichnis

      Die anderen, die am schwanken Seil aus den Schneekesseln des Plateaus heraufstiegen, konnten ihn nicht erkennen. Der Wind fuhr ihnen zu schneidend in die Augen und umwirbelte sie mit seinen eiskalten Stacheln, daß sie blinzelnd und schauernd sich zusammenduckten. Und als sie dann die Hütte erreicht hatten, war die Gestalt ihres Vorgängers schon in den Nebelschwaden verschwunden, die, vom Föhn aus ihren warmen Talnestern heraufgejagt und in unstetem Spiel auf und nieder schwimmend, die Firnleiter umhüllten.

      Auf den bleichen Gesichtern der Touristen lag die Morgenstimmung, wie sie Übernächtigkeit und Erschöpfung in der letzten Hälfte einer großen Besteigung zu erzeugen pflegt. Und für die beiden Männer war dies die zweite Besteigung innerhalb vierundzwanzig Stunden. Gestern um diese Zeit auf die Aiguille du diable, heute auf den Montblanc – es war ja wahrscheinlich, daß sie ihre Wette mit den aus den Grands Mulets ihnen nachfolgenden Mitgliedern des Londoner Alpine Club gewinnen und, die beiden Gipfel hintereinander machen würden –, aber im stillen ärgerte es sie doch, daß sie, gereizt durch die Ruhmredigkeit der Briten, von denen der eine, der lustige Graukopf, schon zwölfmal auf dem Montblanc gewesen war, sich des Wagstücks vermessen hatten. Sie fühlten doch das Biwak und die schwere Tagesarbeit von gestern in allen Knochen und saßen stumm und verdrießlich in der Vallot-Hütte. Draußen strömten, während der Sturm mit sich mindernder Heftigkeit die Eisluft erschütterte, immer neue Nebelmassen von der italienischen Seite herauf, ganze Wolkenzüge, die dampfend, dicht geballt in raschem, lautlosem Fluge dahinstrichen wie eine endlose Herde seltsamer Zugvögel, die sich eilt, ein fernes Ziel zu erreichen. Im wachsenden Tageslicht wurden sie immer heller und durchsichtiger, und von oben her leuchteten schon die zitternden Frühstrahlen des auf den höchsten Gipfeln erwachenden Morgens hinein.

      Franklin gähnte, lang ausgestreckt, und starrte zur Decke.

      »Was machen die Nebel, Prinz?« fragte er stumpfsinnig. »Können wir nicht bald weiter?«

      Ein Sturmstoß gab ihm die Antwort, der wie ein zorniges Aufbrüllen über die Wetterscharte hinfegte. Die Wolkenherde schwamm geängstigt und gescheucht vor ihm her und senkte sich in rascherem Flug auf der anderen Seite zum Plateau herab. Und in der grauenden Winterlandschaft, die sie enthüllte, lief, wieder sichtbar geworden, die schmale Stufenbahn auf der Schneide der Grandes Bosses du Dromadaire in die Höhe.

      »Da geht's hinauf!« sagte der Prinz aufstehend und holte das Seil hervor. »Was wir nicht brauchen, lassen wir hier unten. Noch 'nen Schluck Wein! Sie müssen, Frau Angela! Sonst werden Sie am Ende schwindlig. Die Promenade ist ein bißchen luftig. Rechts nichts, links nichts, über sich nichts, nur unter sich das bißchen Eis ... Sie müssen ganz langsam und beschaulich gehen – nie einen Fuß heben, ehe nicht der andere feststeht. Und wenn Sie doch ausgleiten, so tun Sie das, bitte, nicht schweigend, sondern sagen Sie es mir, wenn irgend möglich, beiläufig im Lauf des Gesprächs vorher, damit ich Sie rechtzeitig halten kann!«

      Er tat selbst einen kräftigen Schluck. »Brrr! ist das Zeug kalt!« murmelte er, sich den roten Schnurrbart wischend. »Es könnte ebensogut Tinte sein wie Rheinwein! Na, nun los! Was haben Sie, Frau Angela?«

      Die weiße Schleiergestalt antwortete nicht, sondern wies nur stumm mit der Hand in die Höhe. Da, wo ihre in unförmlichen Stulpen verhüllte Rechte hindeutete, klomm eine dunkle Erscheinung rüstig die letzten Tritte des schmalen Firnwegs empor. Elastisch von Stufe zu Stufe steigend, vom Sturm umbrandet und auf die jenseits schräggestellte Eisaxt gestützt, sich weit zur Rechten über den Abgrund beugend, um im Anprall der Luftwellen das Gleichgewicht zu bewahren, ging der einsame Wanderer, nach gutem Gletscherbrauch frei aufgerichtet, fortwährend schwankend und doch unerschüttert, seinen Weg. Jetzt setzte er den Fuß in die letzte Eiskerbe, jetzt war er oben auf dem Dromedarhöcker und verschwand hinter den Schneehügeln, die sich darübertürmten.

      Der Prinz nickte befriedigt. »Ein gutes Stück Arbeit!« sagte er. »Allein auf den Montblanc! Und ohne Training. Dazu gehören Nerven. Hoffentlich holen wir ihn noch ein.«

      »Ich glaub's nicht!« Der kleine Yankee schüttelte den Kopf. »Sehen Sie nur ... da kommt er wieder heraus ... wie er losstürmt. Es ist gerade, als ob er die dünne Luft gar nicht spürte!«

      »Oder als ob er vor uns flüchtete.« Der Hüne lachte grimmig. »Er will nichts mehr von Ihnen wissen, Frau Angela!«

      Die weiße Frau zuckte die schmalen Schultern und sah dem Höhenwanderer nach, solange seine dort oben im Frührot scheinbar riesig wachsende Gestalt sichtbar blieb.

      Der Yankee aber wurde ungeduldig. »Los!« rief er. »Bringen Sie ihre Schneeschleier in Ordnung, Frau Angela, der Wind geht scharf, und die Sonne ist nahe. Wenn Sie sich wieder als Berggespenst gekleidet haben, können wir aufbrechen!«

      Die vermummten Menschen schritten über den Sattel dahin, der sich lässig in den Schultern wiegende Riese voraus, der Zwerg am Schluß und zwischen ihnen, gesenkten Kopfes, die stumme weiße Begleiterin.

      Der Wind hatte sich jetzt ziemlich gelegt. Nur vereinzelte Stöße umpfiffen noch die drei, während sie langsam, mit pedantischer Vorsicht die fußbreite, zu beiden Seiten von freier Luft begrenzte Firnschneide emporstiegen, erst mäßig steil, wie auf einer gutbürgerlichen Treppe, dann immer jäher hinauf wie auf einer im Winkel von etwa siebzig Grad an eine Wand gelehnte Leiter. Die Sprossen dieser Leiter, blankes, graublaues und mit einer dünnen Schicht von Firnkörnern bedecktes Eis, knirschten unter den Kopfnägeln ihrer Schuhsohlen.

      Die dünnen Eisenkettchen, welche die Schneegamaschen am Stiefel festhielten, klirrten leise dazu im Takt, und regelmäßig ging der schwere Atem der drei Bergsteiger, denen

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