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zu wissen warum, empfand Klara deutlich, daß sie nicht allein war. Sie fühlte, wer hinter ihr stand.

      Und da hörte sie auch schon seine Stimme. »So einsam und in Gedanken?« fragte er. »Was ist Ihnen, Fräulein Klara?«

      »Traurig bin ich!« sagte sie und drehte sich nach ihm um. »Traurig?« Er nahm neben ihr Platz. »Weshalb? Sie haben doch wirklich keinen Grund dazu! Ja – wenn ich das sagte ... Sie lachen ... aber mir ist's Ernst ... seit wenigen Tagen ... seit dem Abend, als wir uns neulich zum erstenmal in der Karawanserei gesehen haben.«

      »Was ist Ihnen denn da passiert? Ein Fall mit dem Pferde! Das läßt sich doch schließlich verschmerzen.«

      »Ein Fall aus allen Wolken ...«, sagte er neben ihr gleichgültigen Tons. »Aus all den Luftschlössern, die man sich so als einsamer Mann baut – fern in der Wüste, wenn nachts um einen alles still ist und man in seinen Mantel gewickelt daliegt und zum Sternenhimmel aufschaut. Dann denkt man sich: wann endlich fängt das eigentliche Leben an? Wann bekommst du das, was du so lange suchst? Nun – und sehen Sie, als ich da neulich von der Karawanserei in das Dunkel hinausritt und vor das Tor von Tetuan kam – da war ich plötzlich ganz ruhig und zufrieden – ganz überzeugt davon, daß ich am nächsten Morgen nur zuzugreifen brauchte, um reich zu werden und das zu haben, was ich wollte. Aber wie der nächste Morgen kam, war alles weg und verflogen wie ein Traum. Das war ein dummes Erwachen und war der Grund, daß Sie mich in solch einem trostlosen Zustand in Tetuan gefunden haben! Darum erzähle ich es Ihnen. Vielleicht halten Sie mich trotzdem für einen Schwächling ... oder gerade deswegen ... ich kann es nicht ändern ...«

      Er brach ab. Auch Klara fand nicht gleich eine Erwiderung. »Ist sie dann ohne allen Abschied von Ihnen fort?« fragte sie endlich.

      Er lachte. »Es ist nicht das erstemal! So war sie eines Morgens mit ihrer Dahabieh verschwunden, als wir zu den Nilkatarakten aufwärts fuhren, und ein andermal aus ihrem Hause in Petersburg, nachmittags, während die Schlitten zur Ausfahrt vor der Tür hielten. Damals war sie nach Paris gegangen, und ich habe sie dort im ›Grand Hotel‹ wiedergefunden. Aber gewöhnlich verlieren sich ihre Spuren in der weiten Welt.«

      »Und dabei kennen Sie sie doch schon so lange?«

      »Viele Jahre. Kurz vor dem Tode ihres Mannes haben wir uns zuerst auf dem Montblanc gesehen. Und nun lassen wir's! Sagen Sie mir lieber: warum sind Sie traurig?«

      »Der alte Major tut mir leid. So sein ganzes Leben lang unter Menschen und in voller Tätigkeit und nun aus einmal verlassen und ohne Ziel und Zweck auf der Welt – das muß schrecklich sein!«

      »Was geht aber das Schicksal des Majors Sie an?«

      »Weil meines ungefähr ebenso ist ...« ihre Stimme klang gepreßt, »oder vielmehr so wird ... in nächster Zeit ...«

      »Ihr Schicksal, Fräulein Klara?«

      »Nun ja. Sehen Sie denn nicht, wie es zwischen meiner Schwester und dem Major steht? Die beiden treffen sich doch nicht durch Zufall hier, und ich gönne es ihr ja von Herzen. Aber wenn es dazu kommt, dann geht sie eben fort, und unser Nesthäkchen, die Kleine bringen wir schon vorher nach Genf, zu fremden Leuten; mit blutendem Herzen, aber es geht nicht anders: sie muß sich eben auf eigene Füße stellen. Nun, und dann bin ich eben ganz allein. Die ganze Zeit haben wir Schwestern so traulich miteinander gelebt und uns dazwischen mal gezankt und für die Kleine gesorgt und einander geholfen, so manche schwere Stunde zu tragen, denn allzu leicht haben wir's wahrhaftig nicht im Leben gehabt. Und trotzdem waren wir immer zufrieden. Aber wie das jetzt mit mir werden soll, wenn ich in Dresden auf einmal allein in unserer Wohnung stehe, und niemand um mich, und vor mir ein langer, kalter Winterabend – ich glaube, ich setze mich hin und fange einfach an zu weinen, obwohl das sonst gar nicht meine Art ist.«

      »Ich bin die Einsamkeit gewohnt,« sagte die Stimme aus dem Schatten neben ihr, »aber allerdings die Einsamkeit der Wildnis. Die ist groß. Unter Menschen mag sie schwerer zu ertragen sein.«

      »Ein Mann kann das überhaupt nicht verstehen. Der hat so vielfache Beziehungen zum Leben, seinen Beruf und ...«

      »Und Ihre Kunst? Hebt die Sie nicht über alles andere hinweg?«

      »Meine Kunst?« Sie lächelte schmerzlich. »Nun ja, meine Bilder sind ja ganz nett, und ich verkaufe sie, wenn ich Glück hab', zu leidlichen Preisen. Aber das Eigentliche, das Große ist das nicht. Das werde ich nicht erreichen und kann es nicht erreichen. Aus einem sehr einfachen Grunde: ich muß illustrieren und malen, um nicht Hunger zu leiden – und so, wie es der Geschmack des Publikums verlangt. Und der ist in Kunstsachen – ach, reden wir nicht drüber! Der Abend ist so schön.«

      »Das hätte ich nie geglaubt, daß Sie so verbittert sind.«

      Sie stützte den Blondkopf in die Hand und sah in die Ferne hinaus, wo in der Nacht Meer und Himmel in ein einziges Grau zusammenflossen. »Es tut schon weh, sein bißchen Talent so zu Markte zu tragen«, sagte sie langsam. »Und das schlimmste ist: man verliert dabei den Respekt vor sich selbst ... vor dem eigenen Können, mein' ich, indem man es erniedrigt. Aber anderseits muß ich doch froh sein, daß ich das bißchen Talent habe. Damals, als das große Unglück über uns kam, da war ich noch fast ein Backfisch mit meinen sechzehn Jahren und bildete mich halb aus Spielerei zur Malerin aus. Das ist mir nun zugute gekommen – mir und meinen Schwestern, in den elf langen Jahren, die seitdem verflossen sind. Hilda hat es eigentlich noch am besten getroffen. Sie war damals noch ein Kind und hat den Wandel vom Reichtum zur Armut durchgemacht, ohne etwas davon zu empfinden.«

      »Also das war das große Unglück, das Sie traf?«

      »Mein Vater machte Bankerott!« sagte sie traurig. »Und er starb in derselben Nacht. Mehr brauch' ich Ihnen wohl nicht zu erzählen. Er war schon Witwer, seit Jahren. Da standen wir nun, meine Schwestern und ich.«

      »Da haben Sie wirklich viel durchgemacht!«

      Sie schaute mit halb geschlossenen Augen vor sich hin. »Ach ... wenn's bloß das wäre!« sagte sie halblaut.

      »Also noch mehr?«

      »Genug!« Sie stand auf und lachte. »Sie sitzen da wie ein Beichtvater im Dunkeln und wollen mir alle Geheimnisse herauslocken!«

      »Ich habe Ihnen ja vorhin auch gebeichtet ... und auch im Dunkeln.«

      »Ja, das ist wahr. Aber von mir wird jetzt nicht mehr gesprochen!«

      »Von mir auch nicht. Also von was?«

      »Man braucht ja nicht immer zu reden!« sagte sie. »Man kann ja auch einfach dasitzen. Die Seeluft tut so wohl!«

      Sie hatte sich wieder ihren Stuhl herangezogen. Es war still zwischen den beiden. Über ihnen glitzerte durch das im Nachtwind rauschende Laub der südliche Himmel, und als ein Hauch aus weiter Ferne umfächelte das Wehen des Ozeans ihre Wangen.

      »Wer das jetzt malen könnte!« sagte sie nach einer Weile, scheinbar mehr zu sich als zu ihrem Freunde. »Der weiße Schimmer der Stadt da unten, die violette Nacht überm Meer und überall, im Vordergrund die schwarzen Umrisse der Bäume, und über dem Ganzen der große, kalte, weite Sternenhimmel ...«

      »Malen Sie es doch!«

      »Ich kann's nicht. Es wird nichts Rechtes draus. Nacht und Sonnenschein haben wir nicht auf der Palette.

      Das muß von innen kommen. Vom Kopf durch die Hand!«

      »Und in dem armen Blondkopf steckt's nicht drin?«

      Sie lachte. »Da steckt überhaupt viel weniger darin, als Sie glauben!«

      »Nun ... wenn Sie das so vergnügt sagen,« er rückte ihr etwas näher, »dann ist es eher ein Beweis für das Gegenteil!«

      Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, so daß er die blassen, hübschen Züge deutlich im Dämmerschein erkennen konnte.

      »Was hilft es denn schließlich, traurig zu sein?« sagte sie. »Ich kann mir das große Talent nicht herbeizaubern! Und wenn ich's hätte, wer weiß, ob ich dann glücklicher wäre! Ich meine, es steckt in jedem Menschen, wie

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