Скачать книгу

fassen Sie das so prosaisch auf! Das arme Maultier ist doch nur ein blindes Werkzeug!«

      »Ein Werkzeug wofür?«

      »Für das, was die ganze Welt lenkt. Frivole Menschen wie ich nennen es Zufall. Fromme Gemüter Vorsehung. In der Sache ist's dasselbe: was geschehen soll, das geschieht! Und es ist offenbar im Rate des Schicksals beschlossen, daß wir heute nachmittag zusammen durch dieses Tal pilgern sollen!«

      »Sie sind also richtiger Fatalist!«

      »Das wird jeder, der sich viel in der Welt herumgetrieben hat. Je mehr er erfährt und erlebt, desto deutlicher sieht er, daß nicht das geschieht, was er will oder meint oder fürchtet, sondern daß eine ganz fremde Gewalt ihn aufhebt und da- und dorthin stellt, wie die Schachfigur auf dem Brett. Uns stellt diese Hand heute eben nebeneinander. Da müssen wir uns schon darein finden.«

      Die Malerin lächelte. »Wenn mir nichts Schlimmeres passiert,« sagte sie, »als hier in Afrika ein paar Stunden von Ihnen beschützt zu werden ...«

      »Zwei Stunden höchstens noch. Dann sind wir in Tanger und Sie der Freiheit zurückgegeben. Bis dahin müssen Sie mir schon erlauben, daß ich vor Ihnen reite. Dann geht es besser!«

      »Ja, zeigen Sie mir nur den Weg!« Ein glückliches Lächeln verklärte, sowie er den Rücken wandte, ihr Gesicht. »Ich folge Ihnen gern.«

      Viel sprechen konnte man auf diese Weise nicht mehr, und wieder ritten sie stumm und gedankenvoll dahin durch die glühende Steppe, deren würziger, herber Hauch sie im Wehen des Windes umfing und emporstieg zu dem sonnenwarmen, unergründlich blauen Weltraum über ihnen. Ringsum die lachende Reife des vollen Sommers, Stille und Größe um die beiden, die, da das Maultier mit dem rascheren Hufschlag des Pferdes gleichen Schritt hielt, bald weit vor den anderen voraus waren.

      Hilda blickte ihnen sehnsüchtig, beinahe neidisch nach, Ihre Schwestern hatten es wahrhaftig besser als sie! Die eine hatte da vorne schon einen Freund und Begleiter gefunden, die andere, die älteste, ritt mit einem seltsamen, düsteren und siegesgewissen Lächeln den Dingen entgegen, die sich in Tanger bei der Ankunft der Cookschen Reisegesellschaft entwickeln sollten – aber sie? Sie war einsam und verlassen, und ihre ganze Hoffnung ruhte jetzt auf Gibraltar ...

      Ein kräftigerer, kälterer Wind fegte über das Land, die Hügel verloren ihre bisherige Gestalt und verwandelten sich mehr und mehr zu kahlen, nur von spärlichen Grasbüscheln durchsetzten und von Kaninchen belebten Sanddünen, ganze Haufen wilder Hunde von jeder Farbe, Größe und Rasse saßen, schläfrig sich sonnend, vor ihren Erdlöchern, oder schleppten, an den Hängen hinstreichend, allerhand genießbare und ungenießbare Stoffe, die angeschwemmte Beute des Meeres, mit sich fort, und da hob sich plötzlich, ein tief azurblauer Streifen, der Atlantische Ozean über den zitternden Riedgräsern der nächsten Düne empor. Bald breitete er sich unermeßlich zur Linken aus und geradeaus, jenseit der schmalen, in weißen Wogenkämmen an der andalusischen Küste brandenden Wasserstraße, grüßte, ein Nebelgebilde, das Kap Trafalgar hinüber zu der kaum sichtbar dämmernden anderen Stätte englischer Größe, dem trotzigen Felsen von Gibraltar.

      Blau ringsumher. Das tiefe satte Blau des Himmels und der Wellen. Und, scharf, beinahe blendend sich von ihm abhebend, die weiße, hoch am Berge aufgetürmte Stadt. Auf dem weichen Strand, am Rande des Meeres ritten sie auf Tanger zu. Ringsum war volles Leben. Vorbeigaloppierende Europäer auf mutigen Rossen, im Sonnenschein faulenzende Spanier, in Ziegenschläuchen das Trinkwasser schleppende Negersklaven, welche mehr mächtigen schwarzen Halbaffen als etwas anderem ähnelten, berberische Bauern mit ihren Weibern auf der Rückkehr aus der Stadt, die ledigen Esel vor sich her treibend, und, näher zu den Kaimauern hin, die üblichen Hafenbummler aller Nationen, Viehhändler, Agenten, maurische Kaufleute, bebrillte, würdevolle Turbanträger als Steuerbeamte, jüdische Geldwechsler und Briefmarkenhändler, Angestellte der drei europäischen Postämter, die ganze bunte menschliche Mustersammlung einer orientalischen Seestadt.

      Auf der stark besetzten Reede, aus der jetzt bei Ebbe sich die Trümmer der von den Engländern bei ihrem Abzug im siebzehnten Jahrhundert zerstörten steinernen Mole erhoben, schwankte ein Dampfer auf und ab. Ein Schwarm nußschalengroß erscheinender Boote umgab ihn wie die Küchlein die Henne oder fuhr zwischen dem Schiff und dem Landungsplatz hin und her.

      Die Gouvernante warf einen befriedigten Blick auf dies Schauspiel. »Cook und Sohn sind da!« verkündete sie. »Sie sind schon an Land!«

      »Und das freut Sie auch noch?« Der Forscher, der mit Klara am Eingang der steil aufsteigenden Straße auf die anderen gewartet hatte, sah sie erstaunt an. »Cook und Sohn sind ja ein wahres Unglück für andere Reisende! Der reine Heuschreckenschwarm. Wer kann, ergreift die Flucht!«

      »Der Geschmack ist verschieden!« Die schwarz gekleidete Dame lächelte streng. »Ich für meine Person fürchte mich vor Cook und Sohn nicht. Im Gegenteil ... ich hoffe sogar, daß wenigstens ein Teil der Gesellschaft in unserem Hotel abgestiegen ist. Das wird mir eine angenehme Gelegenheit geben, mein Englisch wieder einmal zu üben!«

      10.

       Inhaltsverzeichnis

      Auf dem schräg abfallenden Außenmarkt von Tanger zwischen dem oberen Stadttor und dem hoch gelegenen Hotel herrschte jetzt im Abenddämmern das ganze Jahrmarktstreiben des Donnerstags. Die Feuerfresser und Zauberkünstler heulten, die dumpfe Pauke der Schlangenbändiger klang dazwischen, in dem elektrischen Licht, das von der deutschen Gesandtschaft her bis hinauf zu den letzten Häusern flammte, tanzten in einem Ring von Zuschauern die weißflatternden Mäntel der Schaukämpfer in tollen Sprüngen auf und nieder, knieten die Kamelkarawanen stumpfsinnig im Schlamm und schoben sich zwischen den zu Hunderten gefesselt dastehenden jungen Stieren die weißen, tiefverschleierten Gestalten der Araberinnen behende zu dem seitlichen Gewimmel des Fisch- und Gemüsemarktes.

      Auch in dem burgartig hoch und frei gelegenen Hotel war ungewohnt geräuschvolles Leben. Cook und Sohn hielten ihren Einzug. In ganzen Haufen türmten sich, von den maurischen Lastträgern aus dem Hafen herbeigeschleppt, die Gepäckstücke mit den angehängten Pappnummern, suchend und spähend wandelte Albion in jeder Erscheinungsform zwischen ihnen auf und ab und an drei Orten zugleich, in sieben Sprachen mit aller Welt verhandelnd, waltete der Impresario, ein breitschultriger Italiener, seines Amtes.

      Nur Deutsch verstand er nicht und entschlüpfte behend den Klagen eines älteren, hageren und straffen Herrn, dessen an sich schon rötliches Gesicht mit dem grauen Schnauzbart nun infolge des Zornes beinahe purpurfarben erschien. Da ihm der Leiter der Herde entgangen war, wandte er seinen vollen Grimm wieder dem ersten Opfer, einem maurischen Träger, zu.

      »Du Jauner!« stöhnte er atemlos. »Kerl ... wo haste mein Jepäck? Der Teufel soll dich lotweise frikassieren, wenn du es nicht auf der Stelle beischaffst!«

      Der Maure verstand kein Wort. Aber um sich der Situation gewachsen zu zeigen, raffte er seinen ganzen aus vier Worten bestehenden deutschen Sprachschatz zusammen.

      »Gutten Tag, mein 'Err!« verkündete er verbindlich, und ein Lächeln erschien auf seinem schwermütigen Gesicht.

      »Ich jlaube, der Kerl macht sich noch über mich lustig. Das ist ein jemeinjefährliches Individuum! Wo mein Jepäck ist, will ich wissen! Hast du's heraufjeschleppt oder ein anderer von euch Halunken?«

      »Gutten Tag, mein 'Err!« bestätigte der Maure lächelnd.

      »Mein Jepäck ...« Der alte Herr schnappte, kirschrot im Gesicht, nach Luft und wies auf die herumstehenden Koffer.

      »Oh, Sir want luggage?« triumphierte der braune Geselle, der jetzt begriffen hatte. »Luggage is coming, Sir!«

      »Ich verstehe kein Englisch, du Hundesohn!« Der zornige Tourist ließ die Augen im Kreise rollen. »Mein Jepäck will ich!«

       »Yes, Sir! Luggage is coming just now from the port!«

      »› Yes, Sir! Yes, Sir!‹ Was soll mir das? Verrückt werde ich noch in diesem Land!«

Скачать книгу