Скачать книгу

die, gefaßt auf diese neue Wendung ihrer Erholungsreise, gottergeben dalag.

      Die blonde Malerin saß etwas abseits. Auch ihr hübsches Gesicht war bleich. Aber sie lächelte dem Freunde tapfer zu. »Gott sei Dank, daß Sie endlich kommen!« rief sie. »Ich fürchtete schon, Sie würden die Abfahrt versäumen!«

      Er sah sie erstaunt an. Sie schien keine Ahnung zu haben, daß er gar nicht an die Abfahrt dachte.

      »Aber Ihr Gepäck ist schon da!« fuhr sie eifrig fort. »Man hat es vom Hotel aus besorgt. Und da ist auch der Hotelkurier mit der Rechnung!«

      »Wie kommt denn der Mann dazu?«

      Sie blickte betroffen auf. »Ich weiß nicht. Ich hab' mich nicht hineingemischt. Die Leute im Hotel sagten, Sie würden auch reisen!«

      In der Tat, da lagen, sich scharf von den üblichen Gepäckstücken ringsum abhebend, seine bunt bestickte und mit Lederschnüren verzierte Reittasche aus Maroquin, wie man sie im Innern Marokkos trägt, und daneben die Maultierlast mit seinen Habseligkeiten, zwei von dem scharlachroten Tuch der Eingeborenen umhüllte Walzen.

      »Wer, zum Teufel, hat Ihnen denn gesagt, daß ich reise?« fragte er den Kurier halblaut, so daß es Klara nicht hören konnte.

      Der bräunliche Elegant lächelte. Die Ladys hätten gesagt, sie wollten zum Steamer. Und da der Herr doch zu den Ladys gehöre und sie nicht allein würde fahren lassen ...

      Genug! Er winkte ihm, zu schweigen, und bezahlte. Eigentlich hatte der Mann ja ganz recht: wenn jemand mit drei Damen ankommt, so reist er natürlich auch mit ihnen weiter. Jetzt wieder mit Sack und Pack den Dampfer verlassen, das ging nicht an. Es hätte der Malerin, die blaß und ahnungslos dasaß, zu weh getan.

      Er lachte ärgerlich und trat wieder zu ihr. »Ein netter Aufenthalt!« sagte er. »Der Menschheit ganzer Jammer packt einen an. Der Katzenjammer natürlich. Das ist nun der Herr der Schöpfung – diese Pakete da in allen Winkeln!«

      Sie sah zu ihm auf. »Werden Sie denn nicht seekrank?« fragte sie mit schwacher Stimme.

      »Nein. Und Sie?«

      »Ach, ich bin's schon! Mir ist schrecklich zumute!«

      »Dann legen Sie sich beizeiten hin«, befahl er und machte ihr, ohne eine Antwort abzuwarten, ein Lager zurecht. »Besser wird's doch nicht, ehe Sie nicht wieder festen Boden unter den Füßen haben. Also wozu sich unnütz abquälen?«

      Sie gehorchte mit einem geduldigen Lächeln ihrer blassen Lippen und ließ sich fügsam von ihm zudecken. Dann schloß sie ermattet die Augen. Er war nun ganz sich selbst überlassen.

      Er schaute umher. Das Bild wurde immer trostloser. Der Major war jetzt ganz abgefallen, um ihn herum lagen die anderen Opfer der See, und dazwischen saß düster die schwarze Rachegöttin. Aber auch ihre Zeit schien zu kommen, nach dem gelblichen Ton zu schließen, der allmählich ihr Antlitz überzog.

      Und nirgends ein Eckchen, ein Winkel, um dem Greuel zu entfliehen! Wenn er nun doch das Schiff verließ?

      Aber da, weit am Ufer, tanzte schon sein Boot auf den Wellen und überhaupt ... Nein. Nun war er gefangen!

      Gefangen in diesem dichtgefüllten, schwimmenden Philisterkäfig. Er wickelte sich zornig in seinen Mantel und trat ganz nach vorn, an die Ankerwinde des Dampfers.

      Zu töricht! Das kam davon, daß er sich in das Spiel eingelassen. Nun hielt es ihn fest mit der Tücke des Zufalls und fester noch da innen. Er fühlte es wohl, daß er, in Tanger zurückgeblieben, mehr Reue empfunden hätte als jetzt Ärger über die unselige Fahrt. Oder vielmehr über das Stilliegen auf der Reede. Denn eine Stunde verstrich und eine zweite, ohne daß sich der Anker hob. Von unten, aus dem Maschinenraum, tönten Hammerschläge und zorniges Stimmengewirr.

      Er ging wieder zurück, um nach Klara zu sehen, und berührte leicht ihre schlaff herabhängende Hand. Sie öffnete die Augen. »Gott sei Dank!« hauchte sie. »Sind wir in Gibraltar?«

      »Nein. Wir liegen immer noch vor Tanger!«

      Da drehte sie sich mit einem ganz verzweifelten Ruck herum, und er sah nur noch ihr blondes Haar durch die Lücken des Mantels schimmern. Mißmutig kehrte er auf seinen Platz neben der Winde zurück, die jetzt, von zwei Matrosen gedreht, die triefende Kette aufnahm und den Anker schlammüberzogen an das Tageslicht beförderte. Die Maschine begann zu arbeiten und trieb das Schiff in die schwere Dünung hinaus, die auch bei ruhigem Wetter stets hier in dem Zusammenfluß des Atlantischen Ozeans und des Mittelmeers zwischen den Säulen des Herkules zu stehen pflegt, zwischen dem leuchtturmgekrönten Kap Spartel in Afrika und der Punta Marroqui gegenüber, der Südspitze Europas, wo als ein Haufen weißer Pünktchen Tarifa, einst das letzte Maurenbollwerk in Europa, herüberschimmert.

      Wenige Reisende sahen die Pracht dieser blauen Wasserstraße zwischen der niederen Küste Andalusiens und den hochgezackten, dräuenden Felsen des Rif. Die anderen lagen klagend da, mochte die Sonne noch so golden Land und Meer verklären und die Delphine noch so lustig im weißen Kielwasser schnalzen. Es war wie ein schwimmendes Lazarett. Es erzeugte geradezu Ekel und Arger. Man kam sich wie ein Gefangener vor.

      Du bist ja auch auf dem besten Weg, ein Gefangener zu werden, ging es dem einsamen Mann durch den Kopf, der vorn, an den nassen Anker gestützt, in den Tanz der Wellen hinaussah. Ein Gefangener aus freiem Willen. Oder vielmehr: dein Wille, der starke und freie, ist durch Krankheit und Ermattung gebrochen. Du sehnst dich nach Ruhe! Das beweist schon, daß andere Mächte in dir mehr zu sagen haben als du selbst, Mächte von außen, die dich schmeichelnd bei der Hand fassen und hinabführen ins Philisterland, in diese schwächliche, gleichgültige Menschheit hier ringsherum, mit der du nichts gemein hast!

      Nein, wahrlich nichts! Sein Trotz wurde immer stärker. Wer spielte eigentlich hier mit ihm, lockte ihn auf dies Jammerschiff und weiter in die bekannte kleinste Hütte, die Raum für ein liebendes Paar bietet? War er der Mann, so mit sich schalten und walten zu lassen, er, der der allmächtigen Natur selbst seinen Willen aufgezwungen, ihre unnahbarsten Berghöhen erklommen, ihre fernsten, im Schleier des Urwaldes verborgenen Geheimnisse enthüllt hatte? Er wußte, sowie er sein »Ich will nicht!« sagte – da war er wieder frei, und immer deutlicher lag das Wort auf seinen Lippen.

      Es gab ein Dichterwort:

      »Der weite Himmel ist des Adlers Bahn,

       Die weite Welt des Edlen Vaterland.«

      Jawohl, die weite Welt! Da grüßte sie ihn wieder, hier, wo Europa und Afrika sich einen, im Brausen der Brandung, im Lachen des Sturms, im Trotze sonnengebadeter, zum blauen Himmel aufsteigender Steinkolosse. Dort hinten wuchs es gewaltig aus der blauen See. Dreifach gezackt schaute der Felsen von Gibraltar gebieterisch über die Länder und Meere, die Stadt schmiegte sich, in grüne Gärten gebettet, an seinen Fuß, und davor flimmerte es von dem Gewirr der Rahen und Masten, dampfte es aus Dutzenden von Schloten, und ankerten weithin die Schiffe aller Völker im Hafen von Gibraltar.

      Als der verspätete Dampfer das andalusische Ufer mit seinen öden Weidesteppen und zerfallenen Wachttürmen erreicht hatte und in die mächtige Bucht einfuhr, dämmerte es schon stark. Die am Eingang ankernden britischen Panzer, die mehr wie unwahrscheinlich große, mit allerhand Buckeln und Auswüchsen behaftete Bügeleisen als wie wirkliche Schiffe auf dem Wasser lagen, waren noch deutlich zu erkennen. Aber der Mastenwald des Handelshafens dahinter verschwamm schon in dem Dunkel, das wie der Schatten des darüber ragenden Bergkegels vom Himmel niedersank, und drüben überm Meer ließ nur noch ein unbestimmter Schein, die Hafenlichter von Ceuta, die Nähe Afrikas erraten.

      Er blickte zurück. Dort lag der schwarze Erdteil, der ihn wiederum zwei lange Jahre festgehalten hatte. Noch einmal war er seiner tödlichen Umarmung entgangen. Würde er ihn wiedersehen? Die Kraft finden, wieder hinauszupilgern in das Reich der Abenteuer und Gefahren, in das Leben voll seltsamer Buntheit, in das es den Jüngling unwiderstehlich zog, das der gereifte Mann mitten in allem Glück und aller Ruhe nicht mehr entbehren konnte?

      Die Sehnsucht ward stark in ihm. Er schaute finsteren Gesichts nach rückwärts, in die Nacht hinaus, die Afrika verhüllte.

      Und

Скачать книгу