ТОП просматриваемых книг сайта:
Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays
Год выпуска 0
isbn 9788075830760
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ja, ich habe auch Angst vor dem fremden Land und den fremden Menschen!« seufzte die Kleine. »Aber was hilft's? Wir sind Waisen. Geld haben wir keins; also müssen wir auf eigenen Füßen stehen. Das hat mir Klara so oft gepredigt und vor allem durch ihr Beispiel bewiesen, daß ich mich damit vertraut gemacht hab' ... Sehen Sie ... da kommt sie herunter, all ihre Sachen unter dem Arm. Es geht nicht mit dem Malen!«
Auf dem Gesicht der jungen Künstlerin lag ein unverhohlener Ärger, während sie die zerfallenen Steinstufen mehr herabsprang als ging, ein Haufen neugierig gaffenden und gurgelnden braunen Volkes im Trab hinterher.
»Wir wollen in die Fonda zurück!« sagte sie heftig. »Man kommt sich hier ganz dumm vor. Am Ende tun uns die Leute noch was! Auf die Soldaten ist doch kein Verlaß!«
Die Gouvernante stand auf. »Am besten wär' es,« sprach sie knapp und düster, »wir ließen die Maultiere gesattelt und ritten gleich nach Tanger weiter. Jetzt ist das Wetter schön. Morgen abend können wir dort sein!«
»Ach ja, nach Tanger! Bitte, bitte!« wiederholte die Kleine und hob flehend die Hände.
Ihre hübsche Schwester stand unschlüssig da und blickte zu Boden. »Ja, sollen wir denn etwa den Kranken allein lassen?« fragte sie, ohne die beiden anderen anzuschauen, in ungewohnt heftigem Ton. »Das wäre doch wirklich unverantwortlich!«
»Ach. Er ist gar nicht mehr so krank. Heute morgen war ihm doch schon viel besser!«
»Er wollte ja aufstehen!« setzte die Gouvernante in ihrem Baß dazu. »Fieber hat er ja auch keines. Da ist doch keine Gefahr. Aber freilich ... du mußt es ja besser wissen. Du pflegst ihn ja. Das geht allem anderen vor.«
»Ich habe nur eine Menschenpflicht erfüllt!« sagte Klara heftig und schaute auf. »Also wenn es ihm wirklich besser geht und er außer Gefahr ist – aber auch nur dann – wollen wir gleich aufbrechen!«
»Hurra!« rief Hilda und wollte die Malerin in ihrer überströmenden Freude umarmen. Aber zugleich fast hielt sie erschrocken inne. Sie hatte den traurigen Blick aufgefangen, mit dem der verschlagene Korpsstudent sie musterte.
»Nun müssen wir uns adieu sagen, Herr Steffen!« sprach sie und wandte, während sie ihm die Hand reichte, halb den Kopf zur Seite. »So geht's auf der Welt. Kaum kennt man sich, so muß man auseinander.«
»Ich hoffe, wir sehen uns doch noch in nächster Zeit einmal!« Der Handlungsreisende hatte seinen Zwicker abgenommen und polierte ihn umständlich mit seinem Taschentuch. »In Gibraltar.«
»Ach, kommen Sie hinüber?«
»Es wird dieser Tage hier ein Schiff erwartet, das hinüber fährt. Der ›Piélago‹. Solch eine Gelegenheit muß man ausnutzen!«
»Natürlich!« sagte Hilda eifrig. »Sie haben doch gewiß dringende Geschäfte drüben!«
»Und wie! ... das Leder ... und dann vor allem meine Blutegel ... und überhaupt ...«
»Und der Pesetakurs!«
»Richtig. An den Pesetakurs habe ich gar nicht gedacht. Also Sie sehen: es ist viel zu tun! Ich muß hin!«
Die Kleine nickte ernsthaft. »Das glaub' ich! Übrigens, damit Sie das in Ihren Geschäften nicht vergessen: wir wohnen im ›Hotel Bristol‹.«
»Das trifft sich gut. Ich steige nicht weit davon im ›Grand Hotel‹ ab.«
»Und da werden Sie uns besuchen?«
»Ich hoffe bestimmt, daß meine Zeit es mir ermöglicht«, sprach der abenteuernde Kaufmann und drückte zum Abschied ihre Hand.
Vor der Fonda d'España stand, als sich die Damen näherten, der Afrikaner, von Zigarettendunst umweht und auf einen Stock gestützt. Bei seinem Anblick hellten sich Marthas und Hildas Mienen auf. Gottlob – der Fremde hatte sich wirklich erhoben und brauchte keine Hilfe mehr! Der Weg nach Tanger war frei.
Auch auf dem hübschen Gesicht der Malerin erschien ein Lächeln, das freilich einen beinahe schmerzlichen Zug hatte. »Sehen Sie wohl!« rief sie mit ihrer hellen Stimme, »es kommt, wie ich Ihnen gestern gesagt hab'! Ein bißchen angegriffen schauen Sie ja noch aus ...«
»Es ist mir auch noch recht flau zumute!« sagte der Forschungsreisende. »Aber die Nerven sind wenigstens wieder da. Nach dem kalten Sturzbad Ihrer Gardinenpredigt gestern. Die hat gewirkt!«
»Das wüßt' ich ja!« Klara hob sich an der Hand des Hotelkuriers aus dem Sattel. »Sonst hätte ich es mir wahrhaftig nicht herausgenommen.«
»Zeit und Umstände waren aber auch wirklich günstig!« sagte er, wie um sich zu verteidigen. »Sie können eigentlich stolz sein. Es ist lange her, daß irgendein Mensch auf mich Einfluß gehabt hat! Da draußen in der Wildnis verlernt man's, nach fremdem Rat zu fragen. Da ist das Ich das einzige, was man hat!«
Er sah nachdenklich in die Weite. In herben, kühnen Linien zeichnete sich sein herrisches Profil in der durchsonnten Luft ab.
Von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, nestelte sie an ihrem Malgerät. »Bleiben Sie nur kurze Zeit so stehen!« sprach sie rasch. »Bitte! Mir zuliebe!«
»Was soll es denn, mein Fräulein?«
Sie lachte etwas befangen und klappte ihr Skizzenbuch auf. »Mit meiner Malerei hier ist es nichts geworden! Nun müssen Sie mich entschädigen. Sie stehen gerade so charakteristisch da. Wie beim Photographen!«
»Soll ich auch ein freundliches Gesicht machen?« fragte er, ohne sich zu regen.
»Um Gottes willen ... nein! Das würde alles verderben. Geradeso, wie Sie sind. Und die Umgebung ... die niedrige Mauer ... die Palme darüber. Das stimmt alles. Im Augenblick bin ich fertig. – Wissen Sie, woran Ihr Kopf mich erinnert?« fuhr sie fort, mit ihren prüfenden Blicken zwischen ihm und ihrer Skizze wechselnd »An die Leute, die man bei Partenkirchen sieht. Um die Zugspitze herum und in der Gegend!«
»Da bin ich auch zu Hause.«
»Eben diese Bergführer und Wildschützen und was es alles für Menschen sind – die haben einen verwandten Zug mit Ihnen – namentlich in den Augen. Dieser weite, suchende, unstete Blick. Nur natürlich ist bei Ihnen alles vergeistigt. Der Gelehrte schaut hindurch.«
»Ja, leider!« sagte er, ohne seine halb von ihr abgewandte Stellung zu ändern. »Mein Leben hat der Wissenschaft gehört. So heißt es wenigstens, und halb mit Recht. Denn es gibt wenige Winkel der Erde, wo ich nicht Schädel gemessen und Trigonometrie getrieben und meinen Hypsothermometer ausgepackt hab'. Aber glauben Sie mir: schließlich ist die Wissenschaft doch nur ein Mantel für mich und viele meinesgleichen. Wir werfen ihn um, weil wir uns schämen, uns und der Welt einzugestehen, daß wir eigentlich nur aus reiner, unbezwinglicher Abenteurerlust, aus Freude an einem ganz ungebundenen Dasein uns unser Leben um die Ohren schlagen. Da liegt die Verwandtschaft mit Gemsenjägern, Wildschützen und derlei. Die haben es meist auch nicht nötig. Es ist nur die Lust am Wagnis, an der Gefahr, was sie hinaustreibt. Mich auch. Wie ich Ihnen schon gesagt hab', ich bin eigentlich ein halber Wilder. Und wann darf ich mich denn nun endlich rühren?«
»Jetzt!« sagte sie und reichte ihm das Blatt. »Da sind Sie!«
»Aber geschmeichelt!« Er schüttelte den Kopf. »Daran merkt man die weibliche Hand.«
»Sie sehen ja auch nicht immer so schlecht aus wie jetzt, sondern hoffentlich besser, wenn wir uns einmal im Leben wieder treffen. Denn für jetzt,« sie wies auf die Mauren, die das Gepäck der drei Schwestern aus der Herberge zu den bereitstehenden Maultieren trugen, » ... für jetzt trennen sich unsere Wege. Wir gehen nach Tanger zurück!«
»Oh, wirklich?« sagte er in gleichmütigem Ton. »Und bald?«
»Jetzt gleich! Sie brauchen mich ja nicht mehr und der Aufenthalt hier ...«
»Ich glaube gar, Sie wollen sich noch entschuldigen!« Er sah sie erstaunt an. »An mir ist es, Ihnen zu danken. Für alles. So bald ich kann, reite ich auch nach Tanger. Aber ich fürchte, das