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      »Aiguille du diable und Gipfel des Montblanc an zwei Tagen hintereinander zu machen? Das werde ich nicht vergessen!«

      »Und glauben Sie, daß wir's zwingen werden?«

      »Natürlich! Auf den Montblanc wollte ich mich noch verpflichten, Angela führerlos mitzunehmen! Das wäre eigentlich eine Idee! Das gibt dem Ganzen noch so einen ... wie nennt man das ... so einen ästhetischen Anstrich!«

      »Schlagen Sie es ihr doch vor! Die kommt gleich mit!«

      »Das werde ich auch!« sagte der Prinz vergnügt und deutete nach vorn: »Jetzt werden wir naß, Franklin! Naß bis zum Sattel! Jetzt geht's in die Sümpfe!«

      Das Meer hing an dieser Stelle weithin mit den in das Innere des Landes sich erstreckenden Morästen auch bei der Ebbe zusammen. Es gab keinen Weg als quer durch den Wasserspiegel, dessen Ausdehnung die rings darin verstreuten Gebüschgruppen kaum erraten ließen.

      Zuerst lenkte der Araber, den sie gestern in Tetuan als Führer angenommen, sein Roß hinab in die Flut, die dem geduldig vorwärts schreitenden Tier bald bis an den halben Leib reichte. Wie ein großer bunter Wasservogel schwamm sein Reiter in seinem weißen Burnus und dem roten Turban auf der blauen Flut und gab durch ein Schwenken der hoch über den Kopf gehaltenen Flinte das Zeichen, ihm zu folgen.

      Das Wasser, das kristallklar über den seinen Sandgrund hin dem Meere zurann, umspülte unangenehm kalt die Steigbügel und stieg rasch bis zum Knie der Reiter empor. Die fröstelten anfangs etwas unbehaglich. Aber bald gewöhnte man sich an die feuchte Straße, auf der man, vor sich nur den Pferdehals, rechts und links und überall weithin unter sich nur das strömende Wasser, beim Niederblicken fast schwindlig wurde.

      Dann tauchten die triefenden Pferdeleiber wieder an das Sonnenlicht empor. Durch gurgelnden gras- und buschbewachsenen Schlamm ging es nun, das Haff, das hier zu tief wurde, zur Rechten lassend, landeinwärts in die Wirrnis von Sumpf und Sand. Wieder stiegen die Rosse plätschernd von dem Ufer hiernieder, aber diesmal war es lauwarmer Morast, der sie umgab, eine trübe, reglose Flut, über deren Schilf und schmutzig schillerndem Spiegel zu Tausenden die Stechmücken summten.

      Im Kampf mit diesen kleinen Blutsaugern schlug man sich langsam vorwärts, durch Buschwerk und Dünen von dem freien Hauch des Meeres geschieden, unter sich das faulig dünstende Schlammwasser, durch das die Steigbügel und die Beine darin plätschernd schleiften. Eine Rinderherde belebte allein die ausgestorbene Gegend. Mitten aus dem Sumpf hoben sich die gehörnten Schädel stumpfsinnig empor.

      Am anderen Ende der Tümpel konnte man endlich auf leidlichem Geröllpfad galoppieren. Blitzschnell flog die Landschaft vorbei, rechts die tiefe Bläue des Meeres, links das stumpfe Braun der Klippen. Die Gegend belebte sich allmählich. Düster blickende bezopfte Rifkabylen schlichen, die Flinte in der Hand, den bepackten Esel vor sich, lautlos an den Hängen dahin; vom Markte kommende Berberhirten, beritten und von frei laufenden Maultieren umgeben, halbnackte braune Fischer am Strande wurden immer häufiger, und in der Ferne stieg, eine malerisch über die Klippen hingegossene Masse von alten Mauern, flachen Dächern und vereinzelt nickenden Palmen, die Feste Ceuta empor.

      Sie rückte rasch näher, denn der Weg verbesserte sich zusehends. Da war schon der erste spanische Soldat, als Vorposten der Kultur, dann ein Holzschuppen mit Bänken, auf denen ein ganzer Haufen von Rothosen sich träge sonnte, rings von den Höhen ragten die Wachttürme, die Bollwerke Spaniens im Marokkanerkrieg und jetzt noch ein Schutzgürtel gegen den unabhängigen und selbst dem Kaiser von Marokko nicht unterworfenen Stamm der Adorrakabylen, der in den Schluchten des hochaufgetürmten Dschib-El-Musagebirges als Nachkomme der alten Rifpiraten haust.

      Aber die wilden braunen Kerle am Wege begannen sich zu verlieren. Statt ihrer knieten da und dort spanische Soldatenweiber an den Rinnsalen und klopften auf Steinen ihre Wäsche, weiße Kinder stimmten, neben den Pferden mit erhobenen Händen laufend, ihr » cinque centimos, Señor!« die unerträgliche spanische Bettlerweise an, und der holperige Saumpfad verwandelte sich plötzlich in eine breite, baumbepflanzte Chaussee, die in vielen Windungen hinab zu den Festungswerken führte.

      Dort wurden von der Wache die Pässe abgenommen. Scheinbar endlos ging es dahin über Zugbrücken und durch Tunnels, in denen die Hufe der Rosse widerhallten, längs der Wallgräben und über weite, mit Pyramiden von rostigen Kanonenkugeln geschmückte Kasernenhöfe bis in die eigentliche Stadt.

      Die europäischen Straßen und Läden, die europäisch gekleidete Menschheit, der Trommelwirbel des Militärs, der Anblick der massenhaften, an der Festung bauenden Strafgefangenen mit ihrem Völkergemisch von Weißhäuten, Chinesen und vielen Negern erschreckte die aus dem Innern kommenden Pferde. Zitternd und scheuend tanzten sie über das Pflaster, bald auf die Spiegelscheiben einer Kramhandlung zu, bald gegen einen Laternenpfahl und andere unbekannte Dinge, bis endlich das Gasthaus am Hafen erreicht war.

      Einige Dampfer, ein paar spanische Torpedoboote, ein englisches Kohlenschiff und das Kurierfahrzeug der Regierung schaukelten auf der offenen, stark bewegten Reede. Stundenweit rauschten weiter hinaus die Wellen. Dahinter aber stieg im Mittagsglanz ein unwahrscheinlicher, düster ragender Bergkoloß gebieterisch am Horizont empor. In violetten, verschwommenen Tönen von dem tiefblauen Himmel abgegrenzt, stand der Felsen von Gibraltar wie die Verkörperung der Macht an dieser Grenzscheide zweier Welten, an der Pforte zweier Meere da. Die beiden Abenteurer sahen ihn sich an, gähnten und traten in die Fonda.

      6.

       Inhaltsverzeichnis

      Während über Tetuan die Regenwolken sich schon mählich lichteten, strömte es noch unablässig, in feuchten Nebeln aus allen Klüften und Rissen des Atlas heranwallend, über den einsamen Bergkessel nieder, an dessen Rand das düstere Mauerviereck der Karawanserei El-Fondak tronte. Bis zum Mittag hatten die drei Schwestern gewartet, ob es nicht besser würde. Aber als auch dann noch die Welt grau in grau, naß und frostig dalag, mußte man sich entscheiden: entweder sofortiger Aufbruch nach Tetuan oder noch eine Nacht in El-Fondak.

      Eine Nacht in El-Fondak! Die drei Damen sahen sich stumm an. Ihre Mienen sagten genug. Diese acht Stunden zwischen Abendgrauen und Morgendämmern, dies trostlose Nicken auf harten Holzschemeln bei flackerndem Stearinlicht, diese Nachbarschaft all der zweifelhaften braunen Viehtreiber und sonstigen Eingeborenen im Raum nebenan, dies Wasserrauschen und Sturmstöhnen draußen blieb ihnen in unverlöschlicher, schauernder Erinnerung. Nein, lieber in den Regen hinaus! Schlimmer konnte es schon nicht kommen.

      Aber es kam doch noch schlimmer. Als man vor dem Abmarsch frühstückte, erschien der braune Hotelkurier mit einem leeren Napf und der lakonischen Meldung: » Soldiers want wine!« Die beiden Turbanreiter hatten sich entschlossen, das Gebot des Propheten sträflich zu mißachten und auch ihren Anteil an den europäischen Genüssen zu fordern, und der Maure, der trotz seiner weit höheren Zivilisation keinen Tropfen Wein in den Mund nahm, trug den beiden Kerlen den berauschenden Trank in dem Napf hinüber.

      Die Folgen blieben nicht aus. Als man nun endlich aufbrach, waren die beiden gestern so gleichgültigen und schweigsamen Soldaten wie umgewandelt. Sie überhäuften verbindlich lächelnd die Damen mit Aufmerksamkeiten, zwangen ihnen Muscheln und Blumen, die sie am Wege fanden, als Geschenk auf und fingen mit allen daherkommenden Eingeborenen Händel an. Das gurgelnde Geschrei und Gezanke erhob sich, solange man sich in Seh- und Hörweite befand, immer wieder von neuem. Dazwischen galoppierte das trunkene Paar im Wettlauf weite Strecken davon, kam, was die Pferde nur rennen konnten, von irgendeinem Seitenhang wieder zurück und ließ in überströmendem Tatendrang die Ladung der langen Entenflinten krachend zum Himmel aufgehen.

      Natürlich scheuten dabei die Maultiere alle Augenblicke und schlugen nach hinten aus, wenn die Soldaten unvermutet mit ihrem heiseren »Ärra!« und einem Gertenhieb zum Traben bringen wollten. Den drei Damen, die angstvoll im Sattel saßen, war das Weinen näher als das Lachen. Anfangs hatte die düstere Gouvernante, die an den Verkehr mit wilden Völkern gewöhnt war, versucht, den Kerlen in fließendem Sächsisch eine Strafpredigt zu halten. Da dies aber den Übermut der beiden grauhaarigen Burschen

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