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dass in den Vereinigten Staaten, den trockenen, der böse Staatsanwalt darauf aus ist, Damenbriefe in einem schwarzen Kabinett zu entsiegeln, ob darin vielleicht gar was von Hjalmar Sverdrups „Alkohotek“ geschrieben steht, der altnordisch dekorierten Trinkstube in seinem Haus, in das er manchmal nächtliche Gäste mitbringt, um ihnen seine berühmte Schnäpsesammlung sachgemäss zu erklären, und dass die gletscherhafte Frau Sverdrup dort die unerhörtesten schwedischen Pünsche direkt an ihrer Seele gefrieren lässt.)

      Nur an eine der drei Freundinnen, an die diskreteste, schreibt Claire Pauer (die Clara Dara gewesen ist, aber jetzt Paul Pauers Frau ist) noch etwas Geheimeres und Gefährlicheres als diese vorsichtige Andeutung auf den wirklichen Alkohol, den man gegen Ende dieser Hollywooder Nacht im Hause Sverdrup noch rasch geschluckt hat, polizeiwidrigerweise.

      „Weisst du,“ schreibt Claire Pauer, „was ein ganz berühmter Filmregisseur, einer der allerersten, gleich am ersten Abend in Hollywood zu mir gesagt hat? Wenn Paul eine Ahnung hätte! Dass er noch nie eine Frau mit einem besseren Photographiergesicht gesehen hat, und dass er darauf brennt, mir eine grosse Rolle in seinem nächsten Film zu geben! Um Gottes willen, sage es niemandem, es ist doch alles nur so Unsinn, aber wenn Paul davon nur die leiseste Ahnung hätte — —“

      Die diskreteste von Claires drei besten Freundinnen erzählt darauf den beiden anderen und, in der Tat, der halben Bevölkerung von Berlin, dass Ernst Lubitsch der Claire ein Engagement angeboten hat, mit einer unermesslichen Dollargage. Ernst Lubitsch ist in Claires Brief dreimal vorgekommen, aber Gabriel Garisch nicht ein einziges Mal. Dennoch hat er zu Claire von ihrem Photographiergesicht gesprochen, in einer Ecke des Sverdrupschen Hauses, mit seinem kalten und herablassenden Lächeln. Und er hat gesagt: „Ich weiss, dass Sie eine gute Schauspielerin sein müssen.“ — „Woher wissen Sie das?“ hat Claire gesagt, so froh, und am ganzen Leibe zitternd. „Aus der ,Sentimentalen Geschichte‘!“ hat er geantwortet.

      V.

      Am nächsten Morgen steht Paul auf, ohne Claire zu wecken, die selig unter ihrer blauen Satindecke liegt und nur ein bisschen blinzelt, als er beim Waschen ein Geräusch nicht vermeiden kann. Als er auf den Zehenspitzen das Zimmer verlässt, liegt sie auf der anderen Seite und schläft wieder fest, mit einem Lächeln, das er gern küssen möchte.

      Paul Pauer geht in die Lobby hinunter, steht einen Augenblick draussen auf der umblühten Terrasse in einem unerhörten duftigen Sonnenschein, und sucht dann sein Frühstück, dort wo es am billigsten ist, er hat innerhalb des Hotels eine grosse Auswahl an Lokalen. Im offiziellen Speisesaal beginnt man das Frühstück mit geeisten Grapefruits, so gross wie blonde Kinderköpfe, oder mit kostspieligen Cantaloupe-Melonen, und beendet es lange nicht. Hier kann man sechs oder acht Mark für das Frühstück bezahlen, Paul denkt nicht daran. Vor der „Cafeteria“ zögert er, hier ist es schon billiger. Schliesslich geht er spartanisch in den Drug-Store des Hotels, der alles zugleich ist, Apotheke, Parfümeriegeschäft, Buchhandlung, Sodawasserfontäne; hier kann man, auf einem hohen, runden Postament sitzend, mit schlenkernden Beinen, eine Tasse vortrefflichen Kaffees schon für zehn Cents bekommen, und dazu geröstete warme Sandwiches, belegt mit Eiern und Tomaten und Käse und Salatblättern, es kostet nicht viel. Nachdem er gegessen hat, geht Paul eine Stunde lang im Garten spazieren, weil es noch zu früh ist, um die Filmgesellschaft anzutelephonieren, die seinen Sketch „Erpressung“ verfilmen soll. Der nächste und bisher einzige praktische Zweck seiner Reise nach Hollywood besteht doch darin, bei den Aufnahmen dieses Films dabei zu sein, vielleicht bei der Abfassung des Drehbuchs mitzutun. In seinem Herzen weiss freilich Paul, dass das nur der äussere Anlass der Reise ist, der Vorwand — — Er will — — Er weiss nicht so genau, was er will, er weiss nur, dass er mit Claire so lange hier bleiben wird, als ihr Geld reicht, und lernen, lernen, alles von der Technik und den Ausdrucksmöglichkeiten der Kinematographie lernen, was er den Hollywoodern abgucken kann. Vielleicht wird er ein Buch schreiben. Vielleicht ― ― In ihm steckt seit zwei Tagen, seitdem er vom Zug aus den müden Strolch durch die Wüste stapfen gesehen hat, ein Samenkorn, das anfängt zu keimen und Würzelchen herauszustrecken, eine beginnende Idee ― ― Vorläufig ist er froh und beglückt, obwohl auch eine dunkle Sorge im Hintergrund da ist, eine unbestimmte ― ―

      Der Reporter des „Film Spectator“, der ins Hotel gekommen ist, um den deutschen Preisdichter zu interviewen, findet ihn erst nach langem Suchen in einem Winkel des Hotelparks, hinter dem kobaltblauen Schwimmbassin.

      Er steht, mit einer dünnen Zigarre im Mund, breitbeinig vor einem Gebüsch, das scharlachrote Sternblüten trägt, jede Blüte grösser als eine menschliche Hand. Aber das, was er beobachtet, sind nicht die Blüten, sondern ist ein Kolibripärchen, das zwischen ihnen herumflattert, zwei winzige Stückchen lebendiger Farbe, regenbogenbunt, über alle Massen entzückend. Der Reporter stört eines Dichters kindliche Freude mit einem „Hello!“ und „How do you do?“ — und beginnt sein Geschäft mit der wichtigen Frage, wie also dem Dr. Power das kalifornische Klima gefällt, ist es, denkt er nicht, das beste der Welt, some climate? — Paul Pauer, in seinem nicht sehr geläufigen Englisch, antwortet dem vierschrötigen, amerikanischen Jungen das Übliche und Konventionelle; im Grunde ist er geschmeichelt, da er sich auch weiterhin als eine interessante Persönlichkeit beachtet findet und von der Presse umworben sieht. Der Reporter, ein Mister Harris, vertritt eine Wochenschrift, die in den Filmateliers ein wenig gefürchtet ist, wegen einer grossen Unabhängigkeit in ihrem Urteil; Paul kann das nicht wissen, sagt aber, zum Glück vielleicht, nichts Kompromittierendes über den amerikanischen Film, da Harris ihn gierig befragt: er weiss noch nicht, er will sich seine Meinung erst bilden, der europäische Film ist auch erst in seinem Beginn, die Amerikaner haben doch wenigstens die grossen Mittel voraus, und so prächtige, junge Menschen — —. Dann ist Charlie Chaplin da, so ein grosses Genie! Der Reporter Harris denkt unter seinem etwas schief aufgesetzten grauen Hut an eine fette „Head-Line“, die man jedenfalls über dieses Inverview schreiben könnte: „Preisgekrönter deutscher Romanschreiber sagt: Charlie grösstes Filmgenie“ — und notiert sich’s sogleich, nebst einem Schlagwort, betreffend das kalifornische Klima: „Bestes in der Welt, some climate!“ — Das ergibt doch ein bisschen Copy für die dieswöchige Nummer des „Film-Spectator“, und „Dr. Power“ verspricht, sich wieder zu äussern, sobald er mehr von Hollywood weiss. Nächste Woche? Nein, vielleicht wird Dr. Power selbst in der nächsten Woche noch nicht alles von Hollywood wissen, aber er verspricht, Triumph, der Konkurrenz nichts anzuvertrauen, sobald er eine wirkliche Story hat, soll Harris sie als erster drucken. Der höfliche Paul begleitet den Mr. Harris bis in die Lobby zur Drehtür und gibt ihm die Hand, auf Wiedersehen also, und während Harris, im ganzen nicht unzufrieden, in seinem kleinen, zweisitzigen Oldsmobile davonfährt, geht Paul zum Telephon und ruft das Direktionsbureau der Fantoma Film Company an: „Hier bin ich, Dr. Pauer aus Berlin, wir haben korrespondiert, und — —“ Eine weibliche Stimme am anderen Ende des Drahtes verspricht, sich zu erkundigen, ob Mr. Parker Brown, der Generalmanager, für den Gentleman eine Nachricht zurückgelassen habe, er ist jetzt nicht da. Die Stimme verstummt und nach einer Weile spricht eine andere Dame: hier die Sekretärin des Mr. Parker Brown, ja, Mr. Brown kommt heute nicht in sein Office, es ist Sonnabend, da pflegt er nach Lake Arrowhead zu fahren, über den Sonntag. — Gewiss, sie weiss, Dr. Power; sie hat die Briefe an ihn getippt. Am Montag findet er den Generalmanager sicher, er soll sich solange gedulden. Montag, um elf, Sunset Boulevard, Ecke Accacia Avenue. Da kann man nichts machen! Paul, ein bisschen verstimmt, weil er Dinge liebt, die glatt anfangen, ohne kleine Hindernisse, geht nachsehen, ob Claire bereits aufgestanden ist.

      *

      Dieser Tag vergeht mit der Wohnungssuche. Paul, der keine Ahnung hat, wie lange sie hier bleiben werden, oder vielmehr eine wenig günstige Ahnung, es ist doch alles so teuer, wenn man es nach Mark und Pfennigen rechnet, Paul hat daran gedacht, ein billiges, kleines Apartment House zu finden, irgendwo im Zentrum; aber Georg Lupu, den er um die Mittagsstunde anruft, um sich beraten zu lassen, kommt gleich mit seinem Auto herüber, er hat heute nichts zu tun, und stellt sich ganz zur Verfügung, mitsamt dem Auto; nie war noch ein professioneller Bösewicht so nett und freundlich. Sie lassen Claire zu Hause, die erst heute die Müdigkeit wirklich spürt; oder in der ein unterbewusster Widerstand gegen die neue, billige Wohnung strebt: man wird sie abholen, wenn die Männer denken, dass sie etwas halbwegs Passendes gefunden haben, zum Besehen

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