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kleiner Schritt näher zum „Ding an sich“, verstehen Sie, zur Befreiung vom sinnlichen Schein, doch konservativ und ohne die Welt der Natur zu negieren; der Äther ist auch Natur, ist die Wirklichkeit, und die Farben sind wirklich in ihm, sie müssen im Äther sein, bevor sie ins Auge gelangen, eben durch die Schwingung des Äthers. Das alles bedeutet, sagt Kreshna, gemalte Theosophie, den ersten Versuch einer neuen Kunst, die der Weltepoche des Krishnamurti entspricht, des wiederverfleischlichten Christus. Verstehen Sie?

      Nicht ganz, Paul Pauer versteht diese neue Kunst noch nicht ganz, noch ihre theosophische Basis; aber es gibt keine neue Kunsttheorie, die ihn in Erstaunen versetzen könnte. Dafür hat man ihn schon im Romanischen Café geschätzt, er ist keiner, der seinem Bruder so leicht sagt: Du Narr! oder Racha! — Der Äthermaler spricht immer wärmer, persönlicher. Bald weiss Paul Pauer, was dieser Mann hier in Hollywood macht: er ist ganz einfach ein Extra, Statist beim Film. Vom Äthermalen allein kann man leider nicht leben; die Kunst ist noch unverkäuflich. Statt Kitschbilder für den Rahmenhändler zu malen, als Broterwerb, zieht Christian Kreshna es seufzend vor, in den Filmateliers seine Künstlermähne und seinen Kinnbart photographieren zu lassen, wenn ein Film, das passiert, auf dem Montmartre spielt und der Regisseur einen Künstlertypus an Kaffeehaustische setzen möchte; auch an biblischen Filmen hat Kreshna schon mitgewirkt. Das war die Glanzzeit, man hat ihm einmal, zwei Wochen hindurch, für seinen Christusbart fünfundzwanzig tägliche Dollars gezahlt; er nimmt auch fünf und ist froh, wenn er sie bekommt; doch manchmal gibt’s gar nichts, hungrige Monate lang.

      „Verstehen Sie,“ sagt Kreshna, „ich will nichts vom Film als das bisschen Brot, ich filme, um nicht Steine zu klopfen. Ich hasse den Film, wie er ist, obgleich — — Was ist der Film? Zwischen die Wirklichkeit, die Ätherschwingung, und das lebende Menschenauge schiebt man den Apparat ein, die Maschine, die stupide, glotzende Linse, die das Auge fast teuflisch nachäfft — —“

      „Verstehen Sie,“ sagt Christian Kreshna, und soweit sein anglo-französisches Klangkauderwelsch zu erfassen ist, versteht ihn Paul Pauer jetzt wirklich, „das war noch nie da, diese Spiegelverehrung, der Kulttanz vor der gläsernen Linse; sie ist das Auge des Molochs! Die bescheidenste Kunst, vorher, und der letzte, der dümmste Kitsch noch hat es versucht, den Spiegelschein der Dinge ein wenig zu deuten: so siehst du mit deinem Auge den Baum, — natürlich, das ist nur Betrug und Konvention deiner Sinne und mangelnde Schulung des noch halb tierischen Menschenauges. Sieh her, dieses Bild zeigt etwas mehr als den Baum, es zeigt den Baum und einen Gedanken an einen Baum! — —“

      „Verstehen Sie?“ sagt Kreshna, „da kommt der Photograph und sagt zu dem nach Erlösung ringenden Menschenvolk: In deiner Pupille spiegelt sich ein Baum? Lass mich, mit meiner Maschine, mit der Pupille in meiner Maschine, den Baum für dich sehen, sie sieht ihn genau so wie du! — Aber es ist nicht wahr, die Pupille im Menschenauge lebt, und man kann sie belehren, sie kann doch einmal vom Trug und Schein erlöst werden, wie alles Lebende; die Linse der Kamera ist tot, sie ist das Auge des Todes selbst, denn der Tod, das ist ja der grosse Moloch — — Die Lüge, der Tod, das Spiegelbild, in der kalten Maschine so lange gewirbelt, bis es wie Leben erscheint — und daraus wird dann der Film. Er predigt die Welt, wie sie scheint; jede Kunst, eine jede, hat bisher die Welt gepredigt, wie sie ist, für die Ahnung der menschlichen Seele ist. Dabei fälscht er das Falsche, der Film; er lügt in die grosse Lüge noch etwas hinein, das Spiegelabbild des plumpen Scheins. Und einer lebendigen Menschenwelt, in der doch immer noch eine Ahnung war, ein Hang zur göttlichen Echtheit hinter dem Augenschein; der hält er den teuflischen Spiegel vor, das Abbild, das Gottes zweites Gebot verboten hat. Du sollst dir kein Bildnis machen! Das ist ein grosses Gebot! Ich weiss, was es bedeutet: das Abbild im Spiegel, in der photographischen Linse, das ist der Antichrist!“

      „Das Bild im Spiegel“, sagt Christian Kreshna, „und der Film, der es aufbewahrt, diese Grimasse des geistlosen Scheins, ist die Bibel des Antichrists! Das Menschenantlitz, das eine Parabel des Geistes ist, die Maske des Göttlichen, tötet der Film. Er sagt den Männern und mehr noch den Frauen: das bist du! Kniee nieder vor deinem Spiegel und bete, das bist du. — Es ist natürlich nicht wahr, das eben bist du ja nicht, du bist es, minus der Seele und minus des Lebens, der Hoffnung!“

      Der Äthermaler rollt sein Blatt zusammen, auf das er in wilden Farbenflecken die wirkliche Welt zu malen versucht hat, das Schwingen über den Dingen — und seufzt: „Sehen Sie, das alles weiss ich, und bin ein Extra in Hollywood, und diene selbst dem Moloch, und werde heute im Studio des Misters Cecil De Mille ängstlich warten, ob der dritte Hilfsregisseur zufällig dorthin blickt, wo ich stehe, unter hundert anderen, die ebenfalls hungrig sind, und ob er findet, dass ich vielleicht aussehe wie ein jüdischer Jüngling; er sucht, ich habe es erfahren, einen jüdischen Jüngling für eine Volksszene in dem grossen Christus-Film, den sie drehen; mindestens fünfzehn Dollars täglich durch eine Woche, es ist eine Art kleiner Rolle und wird besonders bezahlt. — Ja, Moloch hat mich beim Schopf, selbst mich, der ich ihn kenne; ich bin ein grosser Sünder!“

      Er sagt es so kindlich zerknirscht und posiert dabei doch ein bisschen die christlich-kreshnasche Demut, dass Pauer sich vornimmt, ein wenig mehr von dem närrisch-gescheiten Menschen zu sehen, vielleicht kann man ihm gelegentlich helfen. Vor allem, denkt Paul, muss die Claire ihn manchmal ein bisschen vernünftig füttern, das braucht er. Er gibt ihm seine Adresse und lädt ihn ein, bald zu kommen.

      VII.

      Am Nachmittag dieses Sonntags wird Claire Pauer von Lotto Heller und Ilona Lupu zu einer Spazierfahrt abgeholt, in dem grösseren von den beiden Hellerschen Autos; der asiatische Diener des Haushalts fungiert als Chauffeur, es sieht so feudal aus, der schlanke, exotische Mensch in einer Livree. Zwischen Claire und Lotto und Ilona ist über Nacht eine heisse Freundschaft entstanden, obwohl die rundliche Ilona nicht ohne Eifersucht ist; sie und Lotto waren bisher wie leibliche Schwestern, nun ist eine Dritte da. Arme Ilona, der kleinen berlinischen Lotto bedeutet die Zugereiste aus Steglitz sofort so viel mehr! Schon während der Spazierfahrt zur Beach fühlt Frau Lupu sich manchmal wie ausgeschaltet und höflichst zur Seite gedrängt; dann später am Nachmittag, in Lottos Haus, tuscheln die beiden schon, Claire und Lotto, intimst in einem gemütlichen Winkel, und Ilona ist, irgendwie, nicht dabei und spricht im Salon mit den Männern! Frau Claire ist glücklich, sehr. Sie ist auf der Santa Monica Beach spazieren gefahren worden, wie eine Prinzessin, am Palmenstrand des Ozeans (sie sagt sich, selig, obgleich es kaum stimmt: „der Südsee!“), auf einer Strandpromenade mit herrlichen Villen und fürstlichen Badeklubs; so, denkt sie, muss die französische Riviera sein!

      Und in Venice waren sie, auf dem grossen Vergnügungsplatz, der krampfhaft Venedig spielt, Canal Grande, und Markuslöwe, und Gondeln und alles (und eine Berg- und Talbahn, und Automaten, und Austern-Cafeterias und Photographiermaschinen, in die man Nickelmünzen einwirft, gleich kommt eine runde, blecherne Photographie heraus) und jetzt sitzt sie mit einer wirklichen Freundin in einer so schönen Villa; wie gut hat es diese glückliche Lotto! Das heisst, sie ist nicht so glücklich; sie jammert ja furchtbar. Sie hat so ein Heimweh! Sie hält es in Hollywood gar nicht aus. Warum klagen die Frauen alle, auch Ilona? Was fehlt ihnen hier? Es ist alles himmlisch! Sie haben die prachtvollsten Autos und wohnen in wahren Palästen, und nie ist es Winter — —.

      Claire sagt nichts und hört sich Lottos Klagen geduldig an: man ist fast immer allein, die Männer fahren am Morgen ins Studio und kommen am Abend sehr müde heim, mit keinem anderen Gedanken im Kopf als an dumme Filme; dann sitzt man in irgendeinem Hause beisammen, in einem von den fünf, sechs befreundeten Häusern, und säuft schlechten Alkohol, das muss man, weil es verboten ist, und redet den nämlichen Klatsch von gestern, unter den Frauen, während die Männer fachsimpeln, der Film wird gut, der Regisseur kann nichts, bei Metro Goldwyn drehen sie nächstens das, bei Paramount soll Erich Pommers Situation jetzt ein wenig unsicher sein. — —. Dann setzt man, vielleicht, das Grammophon in Bewegung und tanzt ein bisschen; oder man geht ins Montmartre tanzen, wie grauenhaft öde!

      All das, sie kann sich nicht helfen, kommt nach den grauen Jahren in Steglitz der Claire keineswegs trostlos vor; sie fühlt vielmehr, dass dies hier das Wasser ist, nach dem sie auf dem Trockenen lange verzweifelt gejapst hat. Vielleicht, denkt sie sich, stelle ich mich deswegen anders zu Hollywood, weil ich ja doch eine Schauspielerin bin, Clara Dara — —.

      In

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