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den zweitausendfünfhundert Dollars anzunehmen; die Finanzen stehen im Augenblick nicht so ungünstig. Paul Pauer plant, der kleinen Frau einen behaglichen Abend und eine gesicherte, gute Nachtruhe zu geben, ehe sie, das muss freilich sein, morgen irgendein bescheidenes Quartier suchen. Claire macht grosse und frohe Augen, da er ein Taxi herbeiwinkt und dem Chauffeur mit affektierter Lässigkeit sagt: „Hotel Ambassador, please!“ Das „Ambassador“ ist doch das berühmte Luxushotel, in dem die Filmmillionäre absteigen! Claire remonstriert, ohne Überzeugung, aber Paul sagt, eine Nacht im „Ambassador“ werde noch zu erschwingen sein.

      Jetzt fahren sie, erst durch menschenwimmelnde Geschäftsstrassen; selbst in New-York haben sie nicht so viele Autos beieinander gesehen. Dann werden die Strassen stiller und schöner, es sind lauter kleine Villen da, mit smaragdgrünen Rasenstreifen vor der phantastisch gegliederten Fassade; weisse Villen und tabakbraune mit gestreiften Leinwandmarkisen, Häuser, die spanisch aussehen, und welche, die italienisch sein wollen, an endlosen Strassen, lauter Asphalt und Palmenalleen und Märchenblumen in Vorgärten und kein einziger Fussgänger weit und breit, lauter Autos, in deren lackierten Dächern sich die Sonne spiegelt. Hören die Strassen nie auf? Es ist eine ganze Reise in das Hotel, weit, weit, auf hohe Hügel hinauf, und wieder Strassen und Villen und Autos; mit einem angenehmen Gruseln in ihrem Gewissen schaut Claire immer auf den Taxameter; die blosse Autofahrt kostet so ein Vermögen! Endlich fährt der Wagen durch ein feierliches Gittertor in einen gewaltigen Park, in dem eine mächtige Hausfront sich erhebt, inmitten vieler, kleiner Häuschen, die dazu gehören; das ist ja kein Hotel, sondern eine ganze Stadt! Claire, obwohl in ihren Träumen mondän gesonnen, möchte am liebsten ausreissen, anderswohin, aber Paul hat, nun verrät es ein lächelnder Portier, sogar telegraphisch ein Zimmer bestellt, vom Zuge aus. Es ist ein sehr kleines Zimmer im vierten Stock; aber vom Fenster aus sieht man den unwahrscheinlichsten Garten, mit einem märchenblauen Schwimmbassin in seiner Mitte; plantsch! werfen sich fortwährend sonnengebräunte Schwimmer vom Sprungbrett ins Wasser. Das gefällt der Claire, und auch die faulen, bunten Liegestühle und die an Seilen hängenden Doppelsitze für Pärchen, jeder mit einem grell gestreiften, leinenen Schattendach, und zum Schaukeln; und die wunderbar breiten, exotischen Blätter der Bananenstauden gefallen ihr, und die Palmen, Mimosen, die beblühten Sträucher, deren Namen man nicht wissen kann. Mit beiden Handflächen stützt sich Claire aufs Fensterbrett und denkt nicht mehr an Müdigkeit. Das alles ist so, so — — Sie weiss nicht wie: anders! Auf einmal tut sie einen kleinen Schrei des Entzückens und packt Paul, der sich zu waschen beginnt, am Hemdärmel und zieht ihn rasch auch zum Fenster; und auch er erkennt, vom vierten Stock aus, in der hell gekleideten Dame, die dort unten mit zwei Herren auf und ab geht, die lebendige und leibhaftige Pola Negri!

      Dann ist Claire wieder sehr müde, aber auf eine andere Art, ohne Ärger, glücklich müde, und legt sich ein bisschen auf den Diwan, neben dem offenen Fenster, und die Schwimmer von ihrem Sprungbrett plumpsen: plantsch! in ihren beginnenden Schlaf.

      Da sie aufwacht, ist der Abend da, ein sommerlich warmer Abend, aber früh hereingebrochen, nach dem Oktoberfahrplan. Das elektrische Licht in dem Zimmer brennt und ihr Mann, mit einer langen, dünnen Zigarre, sitzt ihrem Diwan gegenüber in dem Schaukelstuhl. Er hat, sagt er, unterdessen das Hotel besichtigt, das wirklich eine Stadt für sich ist, mit Kaufläden jeglicher Art und einem eigenen Kino und ganzen Villenvierteln von kleinen Bungalows, im Park verstreut und unschwer im ganzen zu mieten, wenn man viel Geld hat. Es gibt Restaurants ohne Zahl, berichtet er; man könnte in der Cafeteria essen, ohne sich umzuziehen. Wenn Claire so müde ist — — Da erkennt er die Bitte in ihrem Blick. Natürlich, umziehen! Um nichts in der Welt würde Claire sich das jetzt entgehen lassen: ihr Abendkleid anziehen (sie hat ein Abendkleid, eins, aber gar nicht so schlecht), und so tun, als gehörte sie, als gehörten sie beide wirklich zu diesem Hotel!

      Müde? Claire ist nicht müde. Sie war noch nie so frisch. Es muss die kalifornische Luft sein, oder was — —

      Ein wenig später sieht sie sich durch die „Lobby“ gehen, durch die ungeheure Halle des schönen Hotels, an der Seite eines präsentablen Gatten im Smoking, und weiss mit dem sechsten Sinn einer Frau, dass man ihr nachblickt. Dieses Abendkleid, keine grosse Affaire und billig genug, ein seidiges, graues Ding, weil grau zu ihren rotbraunen Haaren passt, das Abendkleid, hartnäckig errungen in ehelichen Finanzdebatten, von einer Frau, die doch einst Clara Dara war und ein Abendkleid haben muss. Es steht ihr; die meisten Dinge kleiden Claire Pauer. Sie geht durch die Lobby, nein, schreitet, sie weiss, dass sie immer „schreitet“, sie kann sich nicht helfen. Obwohl sie nicht hinblickt, weiss sie auch, dass ein Herr herübersieht, ein interessantes Gesicht, nicht jung und eher bärtig, aber — — Auf einmal steht der Mensch vor Paul Pauer und sagt lustig: „Hallo! Wer tommerlt denn da! Ja, da schau’ ich und schau’ ich — —“

      Dann ist es ein Maler, ein Wiener, Poldi Bergmann, den Dr. Pauer gut kennt, aus dem Romanischen Café, vom gemeinsamen Stammtisch her. Wieso in Los Angeles? fragt Paul. Poldi Bergmann lacht: „Bin ich in Los Angeles, bitt’ Sie? Ich bin in Hollywood! Lubitsch hat mich herübergeholt, damit ich an den Dekorationen zu „Altheidelberg“ mitarbeite, die Amerikaner haben doch keine Idee, wie so etwas ausschaut!“ Paul stellt den Bekannten seiner Frau vor, die ihn noch nicht kennt; Paul hat sie in Berlin nie ins Romanische Café mitnehmen wollen und fast nie zu Schwannecke; sie sagt: weil er eifersüchtig ist; sie weiss: weil er sie immer von Schauspielern fernhalten will, von Theatermenschen.

      Poldi Bergmann, der Maler, tut nicht einen einzigen Augenblick fein oder reserviert oder sonst was; dass ihm dieser rotbraune Frauenkopf imponiert, ach was, dass er ihn erfreut und beglückt, das verbirgt er hinter keinerlei Redensarten. Er ist ein Herr von fünfzig und hat Onkelprivilegien, gleich nützt er die schamlos aus. Nach zwei Minuten, während derer sie in der Lobby gestanden haben, sagt er schon „Kinderl“ zu Claire. Aber natürlich, das Kinderl muss gleich mit in die Cocoa-Nut Grove, heute ist der Donnerstag, an dem die meisten Filmleute da zu sein pflegen, unsere Bande hat einen grossen Tisch reserviert, alle werden sich freuen!

      Einen Augenblick wundert sich Claire: der Maler trägt kurze Golfhosen und einen weichen Kragen. Aber wie sie dann in das grosse Festlokal des Hotel Ambassador kommt, findet sie, dass dort die meisten Gentlemen nicht minder summarisch gekleidet sind. Aber die Frauen, oh — —

      Die Cocoa-Nut Grove, der berühmte Palmenhain des Ambassador, ist ein enormer gedeckter Wintergarten, dessen Säulen und Pfeiler tote und konservierte Kokospalmen sind, mit den Nüssen daran. Von Palme zu Palme schlingen sich Girlanden und farbige Lampen sind überall; auf den Tischen stehen Lampen mit farbigen Schirmen, ein grosser Tanzboden ist in der Mitte, und eine Jazzband spielt ununterbrochen. Das Ganze sieht bunt aus und nicht wenig kitschig; Paul Pauer, in der Tür stehen bleibend, macht erst ein unglückliches Gesicht, dann fasziniert das Bild ihn doch. Claire, zwischen ihm und dem massiven Bergmann, sieht glücklich aus, wie ein Kind, das ins Weihnachtszimmer darf, zu dem funkelnden Christbaum. Gleich sieht sie die Toiletten der Damen, vergleicht sie mit der ihrigen. Oh, und sie ist auf ihr unschätzbares Abendkleid ein bisschen stolz gewesen! Hier sind die Kleider aus Paris, und die Juwelen von Tiffany. Claire Pauer, ganz hingerissen, sieht diese Frauen an, die so schön sind, und sie tut, halb unbewusst, etwas ganz Revolutionäres. Wie sie da so stehen, nahe dem Eingang, zieht sie, vor ihrem Mann, einen kleinen Behälter aus ihrem Handtäschchen, das Geheimnis, den Apparat, von dem Paul nichts wissen will und nichts wissen darf, Puderquaste, Spiegelchen und Lippenstift, und fährt sich, nie hat sie es noch vor Leuten gewagt, mit dem roten Stift über ihre Lippen. Paul sieht es und sagt kein Wort und lächelt weiter.

      Dennoch, es ist ein förmliches Pronunciamiento gewesen, ein Akt der ehelichen Rebellion, gerade hier, an der Schwelle eines neuen Lebens, und Paul hat es gesehen und hat es verstanden.

      Poldi Bergmann hat jetzt am anderen Ende der lichterfüllten Halle den Tisch seiner Freunde gefunden und hat dort einigen Leuten etwas gesagt, jetzt kommt er zurück, mit einem breiten Onkellachen, und steuert das Ehepaar hinüber, sie sind sehr willkommen, gewiss doch!

      Der lebhafte Poldi geht voran, die beiden anderen folgen, durch den Gang zwischen den Tischen, nicht ohne ein klein bisschen Feierlichkeit. Die Musik spielt „Valencia“, und Paul Pauer ertappt sich dabei, lächerlicherweise, wie er im Tanzrhythmus dieser Melodie einhergeht, Claire auch, natürlich, es versteht sich bei ihr irgendwie von selbst. Sie gehen,

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