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Mark anfangen sollen, ob ich die Hosen schon unbedingt brauche, oder unser kleiner Junge die Schuhe! Scheusslich, kann ich dir sagen. Man will doch — —“.

      Paul Pauer hat eine lange, dünne, holländische Zigarre im Mund und beisst mit trockenen Zähnen hinein, wie immer, wenn ihm etwas nicht recht ist. Die Geschichte von seiner jungen Ehe mit Claire, die er dem Freund jetzt anvertrauen müsste, kommt ihm nicht über die Lippen; zu lange haben die beiden einander formelle Briefe geschrieben: „Es geht mir gut.“ Paul Pauer runzelt die Stirn und ärgert sich über sich selbst und beisst die arme Zigarre entzwei und macht dann doch einen schmählichen Bogen um seine und Claires intime Geschichte herum. „Man will doch“, sagt er, von Wort zu Wort vorsichtig schreitend, „einer jungen Frau, die man gern hat, ein weniger ärmliches Leben bieten. — Schau, wo doch die Claire erst Schauspielerin war und es aufgegeben hat, meinetwegen — —“.

      Hier liegt die Geschichte begraben, und Josef Matelian wäre nicht, der er immer gewesen ist, der feine Instinktmensch, vor allem in Frauensachen, wenn er nicht irgend etwas merkte; allein er schweigt, wird gewiss nichts fragen. — Paul Pauer gleitet ein bisschen schwächlich ans sichere Ufer hinüber:

      „Und auf einmal, stell’ dir das vor, kommt so ein amerikanisches Kabel, und du teilst mir mit: zweitausendfünfhundert Dollars, zehntausend Mark für diesen Bockmist, den Sketch! Du, und nur eine Woche später kommt dann die zweite Bescherung vom Himmel geflogen, noch schöner womöglich: mein Band Sonette, der gar nicht eingeschlagen hat, nicht zweihundert Exemplare ist der Idealist von Verleger losgeworden, für den Gedichtband — —.“

      Josef Matelian macht ein verblüfftes Gesicht.

      „Für den Gedichtband bekomme ich feierlichst den Mörike-Literaturpreis, wieder tausend Mark! Das ist nur so ein zweitklassiger Preis, nicht der richtiggehende Kleist-Preis, um den ich mich gleichfalls beworben hatte, was versucht man nicht alles, aber, Mensch, doch mal eine Anerkennung für das Eigentliche; das hat wohlgetan nach dem „Rammler“, kann ich dir sagen! Natürlich, und auch das Geld. Im ganzen mehr als elftausend Mark, für uns, die wir nie einen Pfennig ersparen konnten! Nicht, dass wir Schulden gehabt hätten, nein, darauf habe ich mich niemals eingelassen. Wie wir das Mordsgeld kriegen, haben wir uns zusammengesetzt, die Claire und ich, und wunderbar überlegt, was man kaufen könnte, Kleider und Möbel und Bücher und so — —. Dann kommt mir mit einemmal die Erleuchtung: nein, nicht bürgerlich Zeug zusammenkaufen, sondern alles an alles wagen, heraus aus Steglitz und all dem Dreck dieses Rammler-Lebens, wir sind noch jung und können ein Abenteuer riskieren. ,Du,‘ sage ich zu der Claire, ,wir fahren nach Hollywood, wenn dort mein Film gedreht wird‘ — —. Sie glaubt erst, ich bin meschugge, dann fällt sie mir gleich um den Hals. Der Film, das war immer mein grosser Traum — —. Ich glaube daran; das ist doch die rasche Kunst, die dem Tempo der Zeit entspricht, nicht tintene Worte auf Druckpapier. Diese kostbare Möglichkeit, einmal den Massen etwas zu sagen, an die der Bücherschreiber von heute sonst überhaupt niemals rankam! — Du, mehr will doch unsereiner von seinem Leben nicht! Ein Dichter, der das nicht möchte, auf alle wirken und allen sein Bisschen erzählen, wer ist denn der überhaupt? Die Bücher? Wenn einer sein Bestes gegeben hat, und das Buch hat das, was man einen Riesenerfolg nennt; — wieviel Exemplare werden verkauft? Hunderttausend? So viele Menschen gehen an einem mittleren Abend allein in Berlin in die Kinos, denke ich mir; einen Film, der ein bisschen Erfolg hat, sehen hundert Millionen Menschen, vielleicht! — —“

      Paul Pauer schliesst ein wenig die Augen, da sieht er wieder den flammenden Broadway und den lohenden Himmel über dem Broadway, die Titel von Filmen, hellauf zwischen die Sterne geschrieben, weithin — —.

      „Wir fahren nach Hollywood,“ sagt er und unterdrückt den Enthusiasmus, „weil ich das doch einmal im Leben versuchen möchte, ob das nicht geht, ob man gute Bücher nicht ohne Tinte verfassen kann, ohne Papier, ohne den ganzen Altväterhausrat des alten Gutenberg, der auch einmal abgeschafft werden muss in veränderten Zeiten — —. Denn, glaube mir, die schriftlose Dichtung kommt. Das Radio ist auf dem Wege dahin, und der Film, sie werden einander demnächst begegnen. Und ich möchte dabei sein. Das ist es. Ich halte es nicht aus in der Schublade mit der Etikette: Lyriker — —.“

      Matelian rückt auf seinem Sessel schon einige Zeit ein bisschen nervös herum, in seinem Gesicht ist ein Jungenlächeln, das er in der Kadettenschule gehabt haben muss, wenn ein Streich mal daneben ging.

      „Du,“ sagt er, „Pauer, mit deiner Lyrik — — alsdann, schau, ehrlich gestanden, was ist denn das für ein Büchel, was dir prämiiert worden ist? Es heisst doch: ,Sentimentale Geschichte‘, hab’ ich geglaubt — — Das muss ja doch ein Roman sein, nicht? Was red’st du denn fort von Sonetten und so?“

      Paul Pauer schweigt eine Weile. Er schämt sich heftig. Er hat seinem besten Freunde sein Buch nicht geschickt! Er weiss in seinem hintersten Inneren, warum er es erst immer aufschob, dann ganz unterlassen hat. Er hat sich immer gesagt: Was macht der Matelian sich aus Sonetten! — Der wirkliche Grund ist anders gewesen, er hat ihm von sich und Claire so wenig geschrieben und dieser Gedichtband eben — —

      „Nein,“ sagt er schliesslich, „es sind Sonette, sie heissen nur so, weil sie eine Art von Handlung ergeben — — Warte, ich hole dir gleich ein Exemplar aus dem Zimmer.“

      „Nur ein Momenterl“, sagt der Matelian. „Weisst, der Reporter, der dich beim Landen gleich interviewt hat“ — —

      „Ja, richtig!“ sagt Paul und sieht neugierig auf. Es ist ein Reporter dagewesen, gerade während der Zollrevision, und Paul hat den Koffer nicht aufbekommen und war so nervös, und hat auf einmal das zweite englische Wort nicht verstanden, und Matelian hat mit diesem Reporter geredet, nur das Wort „Mörike-Preis“ hat Paul Pauer selbst buchstabieren müssen. „Ja, richtig,“ sagt Paul, „was war denn das für ein Reporter?“

      „Von den ,Evening News‘ “, sagt Matelian. „Sie kommen immer zum Schiff, und vorher, wie ich ihn habe stehen sehen, hab’ ich ihm selbst gesagt, dass ein grosser Dichter ankommt, weisst, ein bisschen Publicity schadet nichts hier in Amerika. Nur, weisst, was gibst du dem Buch so einen verdrehten Titel, nachher, wenn es Gedichte sind? Ich hab’ ihm gesagt, du hast den grössten europäischen Literaturpreis für den sensationellsten Roman bekommen, die ,Sentimentale Geschichte‘. Und da steht es!“

      Matelian zieht das Abendblatt aus der Tasche, das er vorhin auf dem Broadway gekauft hat, und zeigt, mit der Miene eines erwischten Kadetten, was auf der zweiten Seite recht breit gedruckt steht: „Grosser Romandichter aus Deutschland, preisgekrönt, sagt, dass erster Eindruck von Amerika überwältigend“ — — Paul Pauer macht ein entsetztes Gesicht und möchte, obwohl er letzten Endes auch ein klein bisschen stolz auf sein erstes Interview ist, Matelian Vorwürfe machen. Doch der hebt die Hände hoch und schreit gleich: „Ich ergeb’ mich!“ Es ist die alte Formel aus der sibirischen Baracke, wenn Paul einmal streitsüchtig war oder Matelian in seiner lässigen Art etwas angerichtet hatte: er hat sich immer gleich zu Beginn des Streites ergeben, auf Gnade und Ungnade, so wie jetzt. Wie immer muss Paul lachen. Lieber, alter Matelian!

      III.

      Ein Zug, nicht einer von den glanzvollen transkontinentalen Luxuszügen der Southern Pacific Railway, fährt durch die grosse amerikanische Wüste, dort, wo New-Mexico an Kalifornien angrenzt. Der Zug enthält Wagen der billigen „Touristenklasse“, und es fehlen ihm viele von den Bequemlichkeiten des Golden State Express, das Duschebad, der Friseur, die Stenotypistin, selbst der prachtvolle Speisewagen. Die Reisenden essen in Eile auf den Stationen oder kochen im Touristenwagen sich selbst etwas auf Spiritus. Aber ein Aussichtswagen ist dennoch vorhanden, mit einer offenen Plattform.

      Es ist Vormittag; welcher Tag der Reise? Der fünfte? sechste? Die Rechnung verwirrt sich. In ihrem Coupé liegt Claire und schläft von neuem; das kurze rote Haar vergoldet ein weisses Kissen. Sie hat mit Paul gefrühstückt, irgendwo in einem Bahnhofsbüfett, auf einem hohen Stuhl baumelnd, und ist nachher gleich wieder eingeschlafen, müde, müde. Paul, ihr gegenüber, sieht sie friedlich atmen, steht behutsam auf, geht durch den ganzen langen Zug bis zu dem letzten Wagen, dem mit der offenen Plattform. Der Zug ist voll, und die Reisenden haben viel zu viel Handgepäck; romantische Rollen

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