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im gegenüberliegenden Stollen zurückgekommen waren.

      „Wir bringen Sie gleich hinauf, gnädige Frau.“ Der Reviersteiger rief über die Köpfe der Frau Irene Umdrängenden dem Mann am Förderkorb zu: „Lassen Sie die Kohlenförderung einstellen, Pinz! Seilfahrt!“

      „Na, ich hab’ mich da schön verlaufen!“ Frau Irene hielt die geschwärzten Hände in komischem Entsetzen von sich ab und schaute an ihrem beschmutzten Overall hinunter. „Wenn der Herr sich meiner nicht angenommen hätte ...“ Sie hob den Kopf und sah sich erstaunt um. „Ja, wo ist er denn geblieben?“

      Karl Kühne war nicht mehr da. Er hatte sich, als die Steiger Frau Irene umdrängten, sachte gedrückt und war schon wieder im Stollen, auf dem Rückweg zu seiner Arbeitsstätte.

      2. Kapitel.

      „Gottlob, daß Sie da sind!“

      Auch oben im Zechendorf wiederholte sich der Ausruf, als Frau Irene, von dem Reviersteiger begleitet, aus dem Förderkorb stieg. Die Herren von der Verwaltung fühlten sich wirklich erleichtert. Ob nun den Assessor, der unten im Bergwerk den Cicerone gemacht hatte, das Verschulden der Unachtsamkeit traf oder nicht, — es wäre jedenfalls mehr als peinlich gewesen, wenn einem Gast, der zum Bekanntenkreise des mächtigen Industriellen Körner gehörte, ausgerechnet hier im Pütt etwas zugestoßen wäre. Die jüngeren Herren, die Frau Irene im Triumph zum Waschzimmer des Verwaltungsgebäudes führten, strahlten. Nur der Betriebsleiter, der bärbeißige, stiernackige Bergrat Scholz sah ihr und ihrem Gefolge von seinem Bürofenster aus brummig nach. Diese Besuche! Er, Scholz, wies sonst grundsätzlich alle Leute ab, die um Erlaubnis zur Besichtigung der Grube nachsuchten, selbst die Herren von der Presse. Besichtigung der Anlagen über Tage, des Förderturms und der Kokereien — herzlich gern. Aber einfahren ist nicht! Der Pütt da unten ist eine Arbeitsstätte, kein Tummelplatz für Neugierige! Aber da telefoniert einem von Dortmund aus der Geheimrat Körner, daß einige Freunde ihn gebeten hätten, bei der Durchreise einmal ein Bergwerk besichtigen zu dürfen. Was kann man da machen. Man muß den Liebenswürdigen spielen und dem Wunsch des „alten Mannes“ nachkommen. Na, dem Himmel sei getrommelt und gepfiffen, daß die Geschichte gut ausgegangen und nun zu Ende war.

      Da kam die Dame ja schon aus dem Haus zurück, frisch gewaschen und leidlich frisiert. Ohne den „kleidsamen“ Arbeitsanzug. Donner ja, schick und elegant sah sie schon aus. Und hübsch war sie auch! Das sorgsam abgetönte Rotblond des Haares, die geschmeidige Gestalt, das ausdrucksvolle Mienenspiel ihres schmalen Gesichtes, — na, die würde noch manchem Kopf und Kragen verdrehen im Leben.

      Bergrat Scholz fand es nicht für nötig, sich persönlich von den Besuchern zu verabschieden. Das mochten die jüngeren Herren des Büros machen. Er hatte seine Pflicht getan, den Freunden des Chefs die Einfahrt in den Schacht erlaubt. Und er war froh, daß das jetzt erledigt war. Vor dem Zechentor wartete ja schon das Auto der Gesellschaft.

      Es waren nicht viel Leute um diese Zeit im Zechenhof. Ein paar Mechaniker und Monteure in blauen Arbeitsanzügen sahen einen Augenblick neugierig aus dem Kesselhaus heraus, als die kleine Gesellschaft über den Hof schritt. Und vorne, unter dem grauen Torbogen, über dem in rauchgeschwärzten, kaum noch leserlichen Buchstaben der Name „Zeche Constantin VIII“ stand, lungerten ein paar halbwüchsige Kinder herum, und zwei junge Frauen, die Markttasche am Arm, musterten mißmutig den großen, eleganten Tourenwagen, der da vor dem Zechentor hielt.

      Eine dieser beiden Frauen war Paula Becker, die Tochter des Schießmeisters August Becker. Sie war einkaufen gewesen und hatte beim Rückweg vom Kaufmann festgestellt, daß nur noch zwanzig Minuten bis zum Schichtwechsel fehlten. Da konnte man ja gleich auf den Vater warten. Und auf Karl Kühne, der schon seit zwei Jahren als Untermieter beim alten Becker wohnte.

      Frau Irene Sellenthin achtete nicht auf das Mädchen in dem billigen Kattunkleid, an dem sie vorüberschritt. Paula Becker aber sah sie sehr gut. Allerdings, sie sah etwas ganz anderes als der Bergrat, der vom Fenster her den Besuchern nachschaute. Sie sah mit dem scharfen Blick der Frau sofort jede kapriziöse Einzelheit der Kleidung, die diese Fremde trug: das hechtgraue Kostüm, dessen flaumige Weiche man ahnte, auch ohne es zu befühlen, die schwere Seide der Bluse, die unter dem kurzen Jäckchen hervorblitzte, das Gefunkel der winzig kleinen Brillantuhr am Handgelenk, die merkwürdig geschwungene, goldschwere Spange an dem verwegenen, kappenförmigen Hütchen.

      Paula Becker war ein nüchternes Kind der Roten Erde, ohne falschen Ehrgeiz und ohne Illusionen. Sie empfand keinen Neid und keine Sehnsucht beim Anblick dieser Herrlichkeiten, nur einen leisen Unwillen: Was will denn die hier im Pütt? Die soll doch bleiben, wo sie hingehört.

      Das Auto fauchte und zwitscherte davon.

      Zehn Minuten später saßen Frau Irene und ihre Begleiter bereits im Restaurant des Park-Hotels, in einer Umgebung, die durch nichts mehr an die düstere Kohlenwelt der Zeche erinnerte. Aber selbstverständlich bildete Frau Irenes Erlebnis unter Tage immer noch den Gesprächsstoff.

      „Ich hätte wirklich gern gewußt, wer mein Führer da unten gewesen ist, der sich ohne Abschied auf einmal verzogen hatte,“ sagte Frau Irene nachdenklich. „Ein Kavalier war er jedenfalls, aber einer, der da unten Bescheid wußte.“

      Einer der Herren setzte ein wissendes Gesicht auf. „Ich glaube, da kann ich Ihnen dienen, gnädige Frau. Nach allem, was Sie von dem Herrn erzählen, kann ich nur annehmen, daß Sie an Willy Körner geraten sind, Körner junior, den einzigen Filius unseres verehrten Geheimrats.“

      „Lächerlich! Der junge Körner wird Besseres zu tun wissen, als da unten in den Gruben seines alten Herrn herumzukriechen!“

      „Sagen Sie das nicht, Verehrteste,“ mischt sich nun auch der lange Baron Rottländer in das Gespräch. „Ich kenne den jungen Herrn zwar persönlich ebensowenig wie Sie. Man sieht ihn ja nie bei den Gesellschaften des Geheimrats. Aber man spricht um so mehr von ihm. Soll ja so ’ne Art Sonderling sein. Arbeitsfanatiker, sozialer Reformer und so weiter. Er begnügt sich nicht damit, die Berg-Akademie zu besuchen. Er arbeitet praktisch in den Gruben, genau wie jeder andere Bergmann. Wäre schon möglich, daß Sie ihm da unten begegnet sind.“

      „Aber — dann hätte er sich doch vorgestellt!“

      Der Baron wiegt den Kopf. „Möchte ich auch nicht ohne weiteres annehmen. Nach allem, was ich von dem jungen Körner weiß, legt er wenig Wert auf gute Gesellschaft. Selbst auf die Gesellschaft einer so wunder-wunderschönen Frau.“ Er küßte Frau Irene flüchtig die Hand und fuhr dann achselzuckend fort: „Er geht vollständig in seiner Arbeit auf. Das Bergwerk und die Bergarbeiter — etwas anderes gibt es für ihn kaum. Soll sogar einem ‚on dit‘ zufolge monatelang in einer Arbeiterkolonie gewohnt haben, um die sozialen Verhältnisse dort zu studieren.“

      „Also gut.“ Frau Irene lacht belustigt. „Nehmen wir an, daß mein Führer der Sohn vom Geheimrat Körner persönlich war. In diesem Falle kann der alte Körner stolz sein. Guter Schlag, sein Junge. Ich werde es ihm bei Gelegenheit sagen.“

      „Wir könnten ja einen Abstecher nach Dortmund machen und den alten Körner besuchen. Er wollte doch Ende dieser Woche aus Schweden zurück sein.“

      Frau Irene klopft energisch mit ihrem Ring an die Tischplatte. „Keine Extratouren, lieber Freund. Wir halten uns an unser Programm. Von hier geht’s nach Pyrmont. Der Doktor hat mir nun mal die vierwöchentliche Kur verschrieben und würde mich schon mächtig anfauchen, wenn er wüßte, daß wir erst diese Fahrt durch Westdeutschland gemacht haben. Im übrigen — nach dem heutigen Erlebnis in dieser finsteren Unterwelt hab’ ich wirklich genug von dem Kohlenland hier. Ich will Sonne, Wald, Grün und Ruhe.“

      Der lange Baron erhob sich phlegmatisch. „Dann will ich den Wagen nachsehen. Erledigen Sie inzwischen die Rechnung, lieber Joachim.“

      *

      „Wo steckst du, Kumpel? Steiger hat schon zweimal nach dir gefragt!“

      Der Schlepper Dombrowski empfing seinen Hauer mit bedenklichem Gesicht und schlenkerte erschrocken mit der Hand, als habe er sie verbrannt, als er den Mantel betrachtete, den Karl Kühne auszog, um ihn wieder in den Verschlag zu hängen.

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