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      Axel Rudolph

      Der Mann aus der Tiefe

      Ein Bergmannsroman

      Saga

      Der Mann aus der Tiefe

      © 1935 Axel Rudolph

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711445099

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      1. Kapitel.

      Eine Frau irrte unter Tage umher.

      Sie tappte mit unsicheren Händen nach den Steinwänden, die naß und glitschig waren, ihre Füße knirschten auf zerbröckelter Steinkohle. Laut und schwer klangen die Schritte in der Stille. Die in großen Abständen angebrachten elektrischen Birnen brannten nur trübe und beleuchteten kaum einen halben Meter im Geviert die Balken der Verschalung.

      Der Berg schwieg. Nur, wenn sie stille stand, hörte die Frau wie aus weiter Ferne das dumpfe Klopfen, das durch die Steinwände drang.

      Irgendwoher, neben, unter und über diesem einsamen Stollen arbeiteten Menschen, Hunderte von Bergleuten. Aber Stein und Kohle trennen sie von ihr. Nur das dumpfe Klopfen war zu hören.

      Frau Irene Sellenthin begann unruhig zu werden. Sie hatte es zuerst nicht weiter tragisch genommen, daß sie hinter ihren Bekannten zurückgeblieben war und den Anschluß verloren hatte. War so etwas wie ein prickelndes kleines Abenteuer, daß man plötzlich ganz allein stand in dieser fremden, unterirdischen Welt, ohne die Freunde und ohne den überhöflichen Bergassessor, den die Grubenverwaltung einem als Führer bei der Besichtigung des Bergwerks mitgegeben hatte.

      Frau Sellenthin war stehengeblieben, um ein winziges, glitzerndes Stück Kohle als Andenken aus der Wand herauszuklauben. Es kostete ein paar Minuten Zeit, das festsitzende Stück mit den Fingern aus dem Gestein zu lösen. Niemand von den andern hatte es bemerkt, daß Frau Sellenthin stehengeblieben war. Und als sie ihnen nach wollte, waren sie auf einmal verschwunden, verschluckt vom Berg.

      Sie mußte wohl an irgendeiner Stelle in einen falschen Gang eingebogen sein, denn wie weit sie auch lief, die Freunde blieben verschwunden, und auch andere Menschen kamen ihr nicht zu Gesicht.

      Eine Stunde war sie nun schon umhergeirrt, in der Hoffnung, die Sohle III, durch die sie vom Förderschacht her gekommen war, wiederzufinden. Sie war in andere Gänge und Stollen gebogen, sie hatte versucht, zum Ausgangspunkt ihres Irrwanderns zurückzugehen, aber sie hatte sich nur immer tiefer in den Berg hinein verirrt.

      Allmählich war die Umgebung immer unheimlicher geworden. Die Gänge und Stollen wurden schmäler, die Beleuchtung matter und vereinzelt, schiefgedrückte, zum Teil lose Stützbalken warfen im schwachen Licht der hier und da noch brennenden elektrischen Birnen riesenhaft verzerrte Schatten. Ein paarmal patschten ihre Füße in schwarze Wasserpfützen.

      Das Unheimlichste aber war, daß weit und breit kein Mensch zu sehen war. Sie hörte das Klopfen und Scharren neben sich, unter sich, über sich, aber kein Mensch tauchte auf. Ihre Rufe verschlang der Berg. Niemand hörte sie.

      Begann das Abenteuer wirklich ernst zu werden? Einen Augenblick kroch Frau Irene ein kalter Schauer den Rücken hinauf. Sie mußte an die Geschichte denken, die ihr vorigen Sommer jemand beim Besuch der Katakomben von San Callisto erzählt hatte, von den beiden Engländerinnen, die sich da unten verirrt hatten und erst nach Wochen als verhungerte Skelette aufgefunden worden waren.

      Gewaltsam schob sie den Gedanken von sich. Das war ja Unsinn. So ein Bergwerk war doch kein Labyrinth von Grabgewölben. Hier arbeiteten doch Hunderte von Menschen. Man mußte doch irgendwo auf einen von ihnen stoßen!

      Also weitergehen! Frau Irene stolperte über etwas. Eine Eisenschiene! Na also! Man brauchte nur diesen Schienen nachzugehen. Aber nach einer Viertelstunde stand sie zu ihrem Schrecken vor einer massiven Wand von Kohle und Gestein. Die Schienen brachen jäh ab, als habe die Natur einen Riegel vorgeschoben.

      Wieder zurück. Die Schritte der Frau wurden hastiger und nervöser. Die ungewohnte dumpfe Luft drückte gegen ihre Schläfen. Einmal rannte sie mit dem Kopf hart gegen einen hervorstehenden Balken.

      Immer sparsamer wurde die Beleuchtung. Kaum noch, daß alle hundert Meter ein Flämmchen glomm. Immer düsterer und verwahrloster die Gänge. Bald führten sie schräg aufwärts und wurden so niedrig, daß sie gebückt gehen mußte, bald wieder ging es abwärts, so daß sie ins Rutschen geriet. Kohle und Stein rieselte dann dumpf mit ihr hinunter.

      Sie dachte an die Bergleute, die sie vor der Einfahrt oben im Zechendorf gesehen hatte, verwitterte, krummgearbeitete Gestalten mit blassen, abgearbeiteten Gesichtern, die zur Schicht gingen, mit der blechernen Kaffeflasche in der Rocktasche. Sie waren ihr nicht sympathisch vorgekommen, aber jetzt hätte sie allerlei darum gegeben, wenn nur eine dieser groben Gestalten aufgetaucht wäre.

      Da war wieder eine Wand, die den Weg abschnitt! Mit fliegenden Pulsen stand die Frau still und horchte. War sie etwa im Kreis gegangen? Oder aber — gab es nicht so etwas? — hatte ein Bergrutsch die Ausgänge verschüttet? War sie am Ende gefangen in diesen dunklen Gängen, 800 Meter unter der Erdoberfläche?

      Sie rief in die Stille hinein und horchte dann angespannt. Keine Antwort. Kein Laut. Und ihre eigenen Rufe klangen dumpf und erstickt. Nur das Pochen und Klopfen jenseits der massiven Wände ging fort, monoton, nervenzerreibend.

      Weiter! Frau Irene machte wieder kehrt und begann zurückzugehen. Eine Orientierung war längst unmöglich. Sie wußte nicht mehr, ob sie durch Gänge kam, die sie vorher schon durchwandert hatte, oder in neue Stollen. Die Angst saß ihr plötzlich im Genick. Sie begann zu laufen. Die Ärmel des schicken „Overalls“, den sie vor der Einfahrt angezogen hatte, waren schwarz und schmutzig geworden von den Wänden, an denen sie vorbeistrich. Kohlenstaub lag ihr im Haar. Sie stolperte über Steinbrocken, stieß sich an Balken und Felsblöcken und blieb taub für den Schmerz. Nur weiter, weiter!

      Einmal, als sie atemlos stillstand, kam es ihr vor, als sei das Klopfen und Pochen lauter geworden, aber vielleicht bildete sie sich das nur ein. Einmal kam von fernher ein dumpfer Knall. Eine Sprengung, oder war es gar eine — Katastrophe?

      Sie achtete nicht mehr auf den Weg. Sie bog instinktiv in die Stollen ein, die am größten und hellsten schienen. Waren die Lampen nicht näher beieinander jetzt? Oder schien ihr das nur so, weil sie lief?

      Wieder bog sie in einen anderen Stollen ein. Er war ganz grade und verlor sich in der Ferne in gähnender Finsternis. Aber aus dieser Finsternis drangen jetzt deutlicher und stärker die Arbeitsgeräusche und da — ganz weit vorne hob und senkte sich ein winziges glitzerndes Pünktchen. Jetzt stand es still. Jetzt bewegte es sich wieder, zweimal, dreimal, stand wieder still. Das konnte keine der fest angebrachten Lampen sein! Die Grubenlampe eines Bergmannes! Ein Mensch mußte da vorne sein.

      Frau Irene stieß einen erstickten Schrei aus und taumelte den Stollen entlang, dem Lichtpünktchen entgegen. Ihre Knie zitterten.

      *

      Der Vollhauer Karl Kühne, der vor Ort arbeitete, ließ einen Augenblick das Gezähe sinken und sah sich verwundert um. Da hatte doch eben jemand gerufen?

      Das Licht der Grubenlampe lag auf seinem nackten, schweißglänzenden Oberkörper. Es war heiß hier unten im Stollen, und die Arbeit war schwer. Fast alle Kumpels schufteten hier entblößt bis zu dem ledernen Riemen, der die Beinkleider zusammenhielt.

      Karl Kühne spuckte den Kohlenstaub aus dem Mund und sah schärfer den Stollen entlang. Wahrhaftig, da hinten kam jemand! Sein Kumpel, der

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