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Ich schätze, das war kein Serienmörder, mit dem du verheiratet warst?«

      Sie zuckte mit den Schultern.

      »Ich wollte einfach nur weg.«

      Er sah sie einen langen Augenblick an. Grüne Augen, stellte sie fest. Scheinbar neutral, aber mit einer gewissen neugierigen Sanftheit tief im Inneren.

      »War es wirklich so demütigend?«

      Sie spürte die Röte. Konnte sie nicht kontrollieren. Wollte ihm sagen, dass es ihn nichts anginge, wie sie es empfunden hatte, dass ihr Leben kenterte. Wie sie es noch immer empfand.

      »Ich bin eben ziemlich dünnhäutig«, sagte sie und hörte, wie bitter sie klang. Sie hatte es sich doch geschworen. Niemals bitter zu klingen. Niemals bitter zu werden.

      Sie spürte die Tränen. Und Wut auf Torsten, weil er ihr das angetan hatte. Weil er sie verraten, ihre Gefühle mit Füßen getreten und sie zu etwas gemacht hatte, das sie hasste. Sagte sich, als die halbe Psychologin, die sie war, dass zu einer Ehe und einer Scheidung immer zwei gehörten. Dass sie einen Teil der Verantwortung selbst trug, auch wenn sie nicht wirklich wusste, was sie falsch gemacht hatte. Sie konnte Torstens Stimme hören, der Erklärungen müde. »Du bist eine andere geworden. Du warst mal so süß und fröhlich. Du nimmst alles zu ernst.« Und sie wollte ihm sagen, dass Untreue etwas Ernstes war, das wenig zur Heiterkeit beitrug.

      Bo schwenkte eine Hand vor ihren Augen, als wollte er sie aus einer Trance reißen.

      »Hej«, sagte er bemüht munter, und sie wusste, dass er ihr zuliebe einen unbeschwerten Eindruck zu erwecken versuchte. »Der Entschluss war bestimmt richtig. Århus ist eine schöne Stadt.«

      Sie riskierte ein Lächeln.

      »Es sollte ein neuer Anfang werden. Ein neues Leben. Und was ist mit dir?«

      »Ja, was ist mit mir?«

      Er nahm sich noch einen Keks, und plötzlich war er wieder da, der Blick, als er ihr das Foto mit dem Dildo gezeigt hatte. Der Blick, der die Bluse von ihrer Schulter zog und eine Brust streifte und wie zufällig tiefer wanderte.

      »Verheiratet?«, fragte sie und versuchte sich in der Rolle der älteren Schwester oder der wohlmeinenden Tante. Aber das Wort tat sich schwer, ihren Mund zu verlassen, der plötzlich trocken war wie ein Keks.

      Er wartete mit der Antwort eine Sekunde zu lange. Dann nickte er.

      »Mit der Mutter der Kinder.«

      Mit der Mutter der Kinder. So einfach war das. Diese Worte setzten vor alle weiteren, nicht sonderlich schwesterlichen Gedanken einen Stopper. Man ließ sich mit keinem Mann ein, der mit der Mutter seiner Kinder verheiratet war. Außerdem hätte sie selbst seine Mutter sein können oder zumindest seine zehn Jahre ältere Schwester, ein oder zwei Jahre hin oder her.

      »Das klingt doch wunderbar«, brachte sie heraus und wusste, wie albern sie klang.

      Er machte eine Kopfbewegung, die sowohl ein Nicken wie auch ein Schütteln sein konnte.

      »Wir haben unsere Probleme«, räumte er ein, und am liebsten hätte sie ihn geohrfeigt. Sie konnte nahezu hören, wie Torsten genau das zu Sandra gesagt hatte, als sie sich in der Kantine von Radio Danmark zum ersten Mal begegnet waren. Wie er, ihrer Aussage zufolge, mit diesen vier Worten von Anfang an grünes Licht gegeben hatte. Wir haben unsere Probleme.

      Sie schob sich vom Tisch weg. Spürte die Verwirrung. Als wollte ein Teufel sie mit dem gleichen Köder locken, der Torstens viele Seitensprünge legalisiert hatte. Vor allem den letzten, den unwiderruflichen. Bo stand auch auf.

      »Okay, ich muss los. Danke für den Kaffee.«

      »Gern geschehen«, murmelte sie, ihm den Rücken zugewandt, während sie die Tassen in die Küche trug. Er folgte ihr mit der Kaffeekanne. Sie spürte ihn hinter sich, als sie die Spülmaschine einräumte. Spürte den Drang, sich umzudrehen und die Hand nach ihm auszustrecken und ihn an sich zu ziehen und zu rütteln und zu weinen und zu lieben und wieder einen Sinn zu finden. Aber die Angst war größer, und ihre Hände hielten das kalte Porzellan fest, und ihre Finger krümmten sich um die Henkel der Tassen, sodass sie sie nur schwer wieder lösen konnte.

      »Diese Handtücher«, sagte er plötzlich.

      Sie drehte sich um. Zwang sich, ihn anzusehen, seine struppige Gestalt und die abgetragenen Jeans und das zerzauste Haar, während sie seinem Blick auswich. Herrgott noch mal. Er war doch nur ein Junge. Niemand, den man wirklich ernst nehmen musste.

      »Welche Handtücher?«

      »Die bei dem Kind. In der Wanne. In die die Koranseite genäht war.«

      »Ja?«

      »Wir haben doch die Fotos«, fuhr er fort. »Vielleicht findet sich da eine Spur. Zu der Mutter, meine ich.«

      Sie lehnte sich an den Küchentisch und fühlte sich in die Enge getrieben. Dachte, dass er es merken musste. Dass er ihren Schweiß riechen musste. Die Nervenspitzen spüren, die bei dem Gedanken an Nähe zitterten.

      »Wo sind sie?«

      »Ich habe Abzüge im Auto«, sagte er und sah sie arglos an. Und sie wusste genau, warum. Da war wieder der Dildo. Offenbar sollte er sie für den Rest ihres Lebens verfolgen.

      »Wir können sie uns ja mal ansehen«, sagte sie.

      Er holte den Stapel herein, und nach längerem Suchen fand sie auch eine Lupe. Versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, wie die Handtücher sich angefühlt hatten. Ihre Dicke, ihre Qualität. Konnte sich aber nicht erinnern.

      »Hier. Hier ist etwas. Irgendein Label«, sagte Bo.

      Aber sie konnten es nicht erkennen. Nicht einmal mit der Lupe.

      »Ich kann es auf einem neuen Abzug vergrößern«, bot er an. »Vielleicht ist es einen Versuch wert.«

      Sie nickte. Sah ihn an und fragte sich, warum gerade dieser vernachlässigt aussehende Mann in ihrem Leben aufgetaucht war. Ob ein Sinn dahinter steckte. Ob sich jetzt herausstellen sollte, dass sie in Wirklichkeit genauso schwach war wie Torsten. Genauso in Panik geriet angesichts ihres Alters und ihres Lebens mit all seinen losen Enden.

      Dann schob sie den Gedanken weg.

      »Es ist immer einen Versuch wert«, sagte sie.

      8.

      »Schläfst du?«

      Anders bewegte sich und murmelte irgendetwas. Anne beobachtete seinen Rücken. Den scharfen Winkel der Schulterblätter. Das kleine Muttermal an der äußersten Spitze, das so viel Ähnlichkeit mit Langeland hatte. Sie sah seinen tiefen Seufzer mehr als sie ihn hörte, und er schnitt ihr ins Herz. Er war müde. Ihrer müde. Müde zuzuhören. Aber gerade jetzt brauchte sie ihn, brauchte, dass er zuhörte. Sie spürte es so sicher wie damals, als sie gewusst hatte, dass sie mit Jacob schwanger war. Es hatte nicht anders sein können.

      »Er war so klein«, sagte sie, wie sie es an diesem Tag und den vorhergehenden schon so oft gesagt hatte. »Er sah aus, als würde er schlafen. Er hatte dunkles Haar. Ganz schwarz. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum? Während ich ihn auf dem Arm hielt, habe ich mich das gefragt. Warum? Das haben wir alle getan.«

      Die Bilder fuhren in ihrem Kopf Karussell. Taten es seit dem Fund. Wie ein Film in einer Endlosschleife.

      Anders gab nicht länger vor zu schlafen. Er drehte sich auf den Rücken. Er hätte sie zumindest in den Arm nehmen können, dachte sie. Ihr zeigen können, dass er sie verstand. Aber genau das tat er nicht. Jedenfalls verdächtigte sie ihn, es nicht zu tun.

      »Jetzt musst du endlich aufhören, daran zu denken«, stöhnte er, und sie merkte, wie er sie im Halbdunkel musterte. Konnte seinen schläfrigen Blick aus den zufallenden Augen nahezu sehen. Die langen Wimpern auf der zarten Haut.

      »Du hast doch nicht zum ersten Mal ein totes Kind gesehen.«

      Die Worte kannte sie gut. Er fuhr mit seiner Logik und einem Gähner

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