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Mensch.

      »Natürlich bringen wir die Story. Da du ohnehin an der anderen dran bist, kannst du auch in diesem Fall recherchieren.«

      Sicher konnte sie das. Rein theoretisch betrachtet. Einmal abgesehen davon, dass sie keine Lust dazu hatte, was schließlich nur ein Detail war, das er in seine Überlegungen nicht mit einbeziehen konnte. Er hatte selbst zwei kleine Enkel, wie sie wusste. Ob das da mit hineinspielte? Ob er sich die Angst vorgestellt hatte, genau wie sie? Wie vielleicht alle. Die verzweifelte, eiskalte Angst, dass jemand, irgendein Fremder, den eigenen Kindern etwas Böses wollte. Sie töten wollte.

      Natürlich hatte er das. Natürlich hatte er die Angst gespürt, dachte sie. Und gerade deshalb wusste er, dass diese Story gelesen, begierig von allen verängstigten Eltern und Müttern verschlungen werden würde. Von allen Schwangeren. Allen Eltern kleiner Kinder, die ihre kleinen Geschöpfe jeden Tag Pädagogen in Horten und Kindergärten anvertrauten. Wo war man noch sicher?

      »Wir sollten kein Öl ins Feuer gießen und alle Eltern verängstigen«, sagte sie und wusste, dass sie wie der Redakteur klang, der sie nicht war.

      »Natürlich nicht«, sagte er kühl. »Aber wir haben auch eine Verpflichtung, die Wahrheit ans Licht zu bringen.«

      Die Wahrheit. Das übliche Alibi, um Zeitungen zu verkaufen.

      »Ich dachte übrigens, Holger sei aus dem Urlaub zurück«, wandte sie ein.

      Es entstand eine Pause, in der sie ihn auf irgendetwas kauen hörte. Schokoladenkuchen?

      »Holger Davidsen ist mit anderem beschäftigt«, sagte er dann.

      Interessant. Holger Davidsen war der für Kriminalfälle zuständige Reporter in der Redaktion und, soweit sie wusste, der, in dessen Zuständigkeitsbereich diese Story normalerweise fallen würde. Derjenige, der all die guten Kontakte zur Polizei hatte und mit Rechtsanwälten und Staatsanwälten per du war und im Übrigen ausgezeichnet darüber Bescheid wusste, was die Mühlen der Justiz am Laufen hielt.

      »Was willst du haben?«

      »Die neuesten Neuigkeiten, natürlich. Was sagt die Krankenhausleitung, die Polizei. Und ein Porträt.«

      »Von wem?«

      Sie sah es vor sich. Das Porträt irgendeines Polizisten, der zufälligerweise den Fall übernommen hatte. Genauso zufällig wie sie selbst. Anrufe bei der Familie und den Kollegen, um etwas über das Hobby des Mannes zu erfahren und wie er so lebte und ob er tierlieb war. Und kinderlieb.

      »Von der Stadt der Angst«, sagte Kaiser theatralisch, und plötzlich wusste sie, warum er sie ausgewählt hatte, die Artikel zu schreiben. Sie würde sich nicht damit begnügen, Fakten wiederzugeben. Und er wollte Gefühle. Wollte das Unterste zuoberst kehren, auch von ihren Gefühlen, wollte, dass sie durch die Worte hindurch in die Spalten der Zeitung flossen. Er wollte ihre Seele, aber er würde sie nicht ganz bekommen. Würde sie nicht zerstören, sodass alles, was sie so mühsam in sich eingesperrt hatte, herausgeströmt kam.

      In der Redaktion hatte Holger Davidsen den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, während er auf die Tastatur einhämmerte und hin und wieder eine informative Frage stellte. Neben dem Telefon brummte ein kleines Tonbandgerät.

      »Soll das heißen, dass es überhaupt keine Sicherheitsmaßnahmen gibt? Dass da jeder einfach hereinspazieren kann?«

      Es folgte eine Pause, während der er schrieb. Sie konnte an seinem Hals sehen, dass er ärgerlich war. Er schien sich im Hemdkragen zu krümmen, wie eine Katze, die einen Buckel macht, und das kurze Nackenhaar schien sich wütend zu sträuben.

      Er war in ihrem Alter. Der Komet der Redaktion in Sachen Verbrechen und derjenige, der eine Story fast immer so aufmachen konnte, dass sie auf der Titelseite landete.

      Hurenmord in Randers; Jungenbanden überfallen unschuldige Konfirmanden; Einschmuggeln osteuropäischer Mädchen in jütländische Bordelle. Holger war immer zur rechten Zeit am rechten Ort, wie auch immer er das machte.

      »Das heißt demnach, dass, rein theoretisch betrachtet, jemand einfach mit einem Kind abhauen kann.«

      Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Bevor er den Mann abwürgte und den Hörer auflegte, konnte sie gerade noch denken, dass am anderen Ende der Direktor des Krankenhauses sein musste.

      Ihre Geschichte, Herrgott nochmal.

      Kaiser war der Meinung, dass sie die Story schreiben sollte; vielleicht, weil sie eine Frau war, vielleicht, weil sie Anne kannte. Oder vielleicht auch nur, weil er es aus irgendeinem Grund für amüsant hielt, zwei Kollegen gegeneinander auszuspielen. Denn ganz offensichtlich hatte er vergessen, Holger Davidsen von seinem Entschluss zu informieren.

      »Was ist los? Habe ich mir Ei aufs Hemd gekleckert? Vergessen, den Reißverschluss zuzumachen?«

      Ihr wurde klar, dass sie ihn anglotzte. Diese Situation nicht gewollt hatte. Am liebsten ihn und Kaiser zum Teufel schicken würde.

      Sie räusperte sich.

      »War das das Krankenhaus?«

      Er kratzte sich am Kopf. Schob sich mit langen Beinen vom Schreibtisch weg.

      »Klar. Was für eine Story. Man kann, verdammt nochmal, einfach hineingehen, ist das nicht unglaublich?«

      Sie hatte Lust, ihn zu fragen, was daran unglaublich war. Aber sie wusste, dass eine Retourkutsche kommen würde. Mit einem Hinweis auf den 11. September und dass man jetzt überall die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen musste. Man konnte schließlich nicht wissen, ob nicht auch auf der Entbindungsstation Selbstmordattentäter herumliefen.

      »Das kommt morgen auf die Titelseite«, fuhr er fort. »Das ist sonnenklar.«

      »Hast du mit Kaiser gesprochen?« Sie fragte vorsichtig und wünschte, sie wäre eine Katze mit Samtpfoten.

      Er sah sie verständnislos an.

      »Der sitzt doch in Kopenhagen.«

      Sie wollte gerade antworten, dass das Telefon bereits erfunden sei, als der Apparat auf seinem Schreibtisch schellte. Sie starrten ihn beide kurz an, dann griff er nach dem Hörer.

      »Davidsen hier«, sagte er mit einem Konzentrat aus dem gesammelten Selbstvertrauen aller Männer in der Stimme.

      Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und schaltete den PC ein, während sie mit halbem Ohr zuhörte. Die Luft schien schon bald aus seiner Stimme zu entweichen, sodass sie trocken und knapp wurde.

      »Okay... okay. Aber... Aber...«

      Das ganze Gespräch dauerte nicht länger als drei Minuten, und Davidsens Stimme erinnerte an einen brodelnden Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

      »Wie du meinst. Dann machen wir das so... Tschüss.«

      Sie wollte sich klein machen. In den Computer kriechen oder zu der Maus werden, die geschützt unter ihrer Hand lag.

      »Das war Kaiser«, sagte er mit derselben trockenen Stimme, aus der jeglicher Enthusiasmus verschwunden war. »Sieht ganz so aus, als ob du über die Sache berichtest. Eine Reporterin. Mit Sinn für Kinderfragen. Für Kinder und geistig Minderbemittelte. Und Frauen.«

      Und Redakteure, dachte sie. Er glotzte sie an.

      »Du hättest es mir zumindest gleich sagen können«, sagte er dann.

      Am liebsten wäre sie ehrlich gewesen und hätte ihm gesagt, dass er, wenn es nach ihr ging, gern den ganzen Mist übernehmen und zurechtbiegen konnte, wie er wollte, und eine super Story daraus machen. Aber das wäre unprofessionell, dachte sie. Sie war Journalistin und in diesem Fall Nachrichtenreporterin, ob sie das wollte oder nicht. Außerdem ließ etwas an seinem Auftreten sie innerlich kochen.

      »Dazu war keine Zeit«, sagte sie kurz und versuchte es mit kühler Freundlichkeit.

      »Keine Zeit«, sagte er spöttisch. »Stimmt. Du hast wirklich keine Zeit, wenn du die Story für die Morgenausgabe fertig bekommen willst.«

      Er

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