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zur Tür herein, »ihr müsst Werner jetzt wieder ruhen lassen.«

      Friedhelms Kehle schnürte sich zu. Nein, er beneidete seinen besten Freund nicht mehr.

      Er, Friedhelm, kam an die Front.

      Und Werner führte hier, in ihrer Heimat, seinen eigenen Krieg.

       5. Kapitel

       Donnerstag, 31. Mai 2018

      Er ließ die Arme fallen und schluckte. Sein Mund war mit einem Mal so trocken, dass er kein Wort sagen konnte.

      »Ich weiß, dass das jetzt plötzlich kommt«, fuhr Christin leise fort, »dir geht das vielleicht alles zu schnell. Aber ich liebe dich und denke, wir könnten es doch wenigstens zusammen versuchen! Freddie, was ist, warum hast du Tränen in den Augen?«

      Frederick Neumann schluckte wieder und wischte sich mit dem Handrücken zwei kleine Tränchen aus den Augenwinkeln. Er schlang seine Arme um die Pfarrerin.

      »Christin, Liebe meines Lebens, ich will dich heiraten und dich und Mathilda und Oskar bis zu meinem Lebensende zu einem Teil meines Lebens machen. Aber bitte versprich mir, wichtige Dinge in Zukunft etwas direkter anzusprechen.«

      Freddie ließ Christin nicht antworten. Sein Mund verschloss ihren. Laika lief zwei Runden um das Paar und wickelte sie mit der Hundeleine ein, bevor sie hechelnd, über die Wiesen des Deiches guckend, stehen blieb.

      Ein Rennradfahrer kam die Treppe zum Orker Kreuz hoch, grüßte das eng umschlungene Pärchen, wurde aber nicht zurückgegrüßt.

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      Donnerstag, 24. Juli 1986

       FERIEN!!!

       JETZT GEHT MIR SECHS WOCHEN KEINER MEHR MIT DER SCHEISS SCHULE AUF DEN NERV!!!!

       Ich weiß gar nicht, was die alle hatten. Mein Zeugnis war gar nicht so schlecht. C meint, das hätte ich ihm zu verdanken, weil er mich so konsequent angetrieben hat. Ja, stimmt schon. Dafür habe ich auch echt ein paar Feten sausen lassen. Aber er meinte, die Klassenfeten wären doch eh nicht so toll, er würde da ja sowieso keinen kennen, und da wären ja eh nur Blagen. Naaaja, ich werde auf jeden Fall erst mal in die Oberstufe gehen. Da wird es Kurse geben, die werden ganz neu gemischt. Bin mal gespannt auf die Jungs der anderen Klassen!

       NEIN!!!

       JETZT ERST MAL AB IN DEN URLAUB!!!!

      Wir fahren am Montag. C sagte, da wäre dann auf den Straßen nicht so viel los.

      Zur Ostsee.

      Also, eigentlich wollte ich mit Claudia, Anja und Steffi nach Renesse, Anjas Eltern haben da einen Wohnwagen. Das hatten wir schon vor Ewigkeiten abgemacht. Aber meine Eltern haben das dann plötzlich nicht mehr erlaubt und vorgeschlagen, dass ich doch mit C in den Urlaub fahren soll. Das war alles etwas doof. Ich habe später erfahren, dass C zuerst meinen Eltern gesagt hat, dass er Renesse zu gefährlich für junge Mädchen hält, wegen Drogen und so. Und dass dann meine Eltern das auch fanden und er hat gefragt, ob sie was dagegen hätten, wenn ich mit ihm fahren würde.

      Erst war ich sauer auf C und hab ihm das auch gesagt, aber dann war er total sauer. Ob ich ihn nicht lieben würde und lieber mit meinen Freundinnen andere Jungs aufreißen wolle, dann sollten wir lieber Schluss machen. Der ist dann einfach gegangen! Aber natürlich will ich lieber mit ihm in den Urlaub, ich habe echt total geheult und mich bei ihm entschuldigt. Er hat mir verziehen.

      Aber jetzt ist Claudi total sauer.

      Mann, echt, die spricht seitdem kein Wort mehr mit mir. Und Anja und Steffi auch nicht mehr.

      Aber komischerweise spricht sie wohl noch mit C. Hat ihn gebeten, ihr Sand von der Ostsee mitzubringen, sie sammelt so was.

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       Sonntag, 3. Juni 2018, vormittags

      Laura lag noch in ihrem Bett und lauschte widerwillig den Gesprächsfetzen, die aus der Küche zu ihr hochdrangen. Obwohl, dachte sie, »Gespräch« konnte man das nicht nennen – Claudia monologisierte wieder einmal über das nicht hinzunehmende Verhalten ihrer Stieftochter. Dabei hatte sie seit Dienstagnacht keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Entsprechend gut fühlte sie sich auch.

      Ja, an der Haustür war es schon etwas laut zugegangen, als sie dem Typen, der sie nach Hause gefahren hatte, klargemacht hatte, dass er nicht mit reinkommen dürfe. Sie hätte ihn nicht auslachen dürfen, das fand er nicht lustig und zerschmetterte dann die komischen Keramikenten, die vor der Haustür standen, auf der Garagenzufahrt. Sie fand nicht, dass vier Uhr morgens besonders spät sei, aber Claudia und Carsten fanden das.

      Eigentlich war sie mit dem Vorsatz aufgewacht, mit ihrem Vater über ihre Zukunft zu sprechen, aber jetzt wollte sie lieber testen, wie lange sie brauchen würde, um diesen Sonntag für die ganze Familie Bauer wieder komplett zu ruinieren. Wann Claudia hysterisch heulen und Carsten, weiß vor Wut, Holz hacken gehen würde. Und wann Niklas und Jan, ihre jüngeren Halbbrüder, genervt türenknallend zu Freunden abhauen würden.

      Ein abgebrochenes Architekturstudium, ein längerer Aufenthalt in einer psychotherapeutischen Klinik, ein Selbstfindungsjahr rund um den Globus (in dem sie alles, nur nicht sich selbst gefunden hat) und eine abgebrochene Schreinerlehre hatten sie wieder in ihr Elternhaus zurückgetrieben.

      Nennt man ein Elternhaus auch »Elternhaus«, wenn man nur mit dem Vater darin gelebt hat? Eine interessante Frage, dachte Laura lächelnd und bestimmt ein perfekter Einstieg beim Sonntagsfrühstück!

       6. Kapitel

       Befragung Claudia Jakowicz Mittwoch, 30.10.1996, Polizeiwache Voerde Anwesend: Kriminalhauptkommissar Werner Immermann, Polizeianwärterin Maria Skalecki

PHK W.I.: Frau Jakowicz, Sie sind hier, weil wir noch einige Fragen zum Tod Ihrer Freundin Nicole Bauer haben.
C.J.: Was kann ich Ihnen denn schon sagen?
PHK W.I.: Bitte, weinen Sie nicht! Wir müssen uns von dem Geschehen in dieser tragischen Nacht ein möglichst vollständiges Gesamtbild machen. Jedes noch so kleine Detail kann uns helfen.
C.J.: Aber, ich …
PHK W.I.: Frau Jakowicz, Sie sind ja völlig aufgelöst! Möchten Sie etwas trinken, einen Tee oder einen Kaffee?
C.J.: Nein, danke. Können wir das hier nicht verschieben? Ich, ich bin noch nicht so weit, um über Nicoles Tod zu reden.
PHK W.I.: Nein, tut mir leid, wir müssen jetzt anfangen, zu ermitteln. Frau Jakowicz, seit wann kannten Sie Nicole Bauer?
C.J.: Warum? Wieso ist das wichtig?
PHK W.I.: Das sind einfach nur Routinefragen. Also?
C.J.: Seit der fünften Klasse. Wir sind gleichzeitig aufs Gymnasium gekommen.
PHK W.I.: Und seitdem waren Sie befreundet?
C.J.: Naja, nicht vom ersten

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