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einmal geschafft.«

      »Weißt du eigentlich, wie viele Trauungen in deinem Kalender stehen?«, Ursula wurde vor Aufregung ganz laut.

      »Ich werde das schaffen«, beharrte Christin.

      »Irgendetwas müssen wir uns einfallen lassen«, Freddie nickte Ursula und Bernd zu, »ich muss wieder los.«

      »Was war das denn?«, Christin schaute von ihrer Sekretärin zu Bernd. »Was habt ihr geplant?«

      Ursula räusperte sich. »Erinnerst du dich noch an Laura, meine Großcousine?«, begann sie.

      »Ja«, nickte die Pfarrerin, »die Begegnung mit ihr ist ja noch nicht so lange her.«

      »Nun ja, Laura ist gestern zu mir gekommen. Es geht gar nicht mehr bei ihr zu Hause. Und«, die Sekretärin strich mit der Zunge über ihre Unterlippe, »also sie will etwas im sozialen Bereich machen und …«

      Bernd Hingmann fiel Ursula ins Wort. »Wir können hier, in der Gemeinde, eine Stelle für ein Freiwilliges Soziales Jahr einrichten.«

      »Und Laura könnte dich dann bei allem unterstützen«, nahm Ursula wieder den Faden auf, »sowohl bei schriftlichen Arbeiten als auch bei der Arbeit mit den Menschen hier. Und« jetzt redete die Sekretärin ganz schnell weiter, »auch im Haushalt. Sie könnte bei euch wohnen und dir auch bei den Kindern helfen. Freddie findet die Idee auch gut.«

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       Mittwoch, 6. Juni 2018

      Es gab mehr Lösungen als Probleme. Mathilda freute sich über eine große Schwester und Freddie war froh, dass seine zukünftige Frau Hilfe bekam. Innerhalb von zwei Tagen hatte er mit einigen Helfern aus dem Dachboden einen bewohnbaren Raum gemacht.

      Laura war begeistert, einen Platz direkt unter den Sternen zu haben, der für ein Jahr ihr neues Zuhause sein sollte. Mathilda und Oskar halfen ihrer neuen Mitbewohnerin beim Einziehen. Zusammen hievten sie, jeder einen Griff in der Hand, eine weiße Truhe aus Korbgeflecht die engen Treppen hoch.

      »Die sieht aber schön aus!«, rief Mathilda begeistert.

      Laura schob die Weidentruhe an eine Wand unter eines der kleinen Dachfenster. Zärtlich strich sie über den Deckel und über die Seite. »Hier drin hat meine Mami«, sie stockte kurz, »also meine wirkliche Mutter, Nicole, ein paar meiner Babysachen aufbewahrt. Erste Strampler, ein paar Bodys und ein bisschen Spielzeug.« Laura öffnete den Deckel der Truhe. Sie holte einen blauen Strampelanzug mit einem aufgestickten Hasen heraus.

      »Mein Gott«, quietschte Mathilda, »wie süß!« Sie hielt den Strampler neben Laura. »Dass du da mal reingepasst hast!«

      »Und guck mal hier«, die junge Frau hielt ein pinkfarbenes Mützchen hoch, »wie winzig!«

      Mathilda nahm es ihr vorsichtig ab und stülpte es über ihre geballte Faust. »Wie flauschig!« Andächtig streichelte sie die kleine Mütze. »Es sieht selbstgestrickt aus, hat deine Mutter das selbst gemacht?«

      Laura zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber nach dem, was ich über Nicole weiß, hatte sie mit so etwas wie Handarbeiten nichts zu tun.« Sie holte ein Buch aus der Truhe.

      »Briefe von Felix!«, rief Mathilda begeistert auf, »das haben Mama und Papa uns auch immer vorgelesen!«

      »So viel Zeit blieb meiner Mutter nicht mehr«, raunte Laura mit belegter Stimme.

      Mathilda sah, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. »Dieses Buch ist noch ungelesen.« Dann sagte sie nichts mehr. Sie beobachtete, wie Laura weinte. Ganz still knieten sie auf dem Boden, die Nachmittagssonne schien durch das Dachfenster auf die Truhe, Staubpartikel, wie Sterne in einer Milchstraße, kreisten um sie herum. Dann nahm Matti das Buch und blätterte es andächtig auf. »Wir werden es uns gegenseitig vorlesen«, bestimmte sie, »das werden gemütliche Abende.« Plötzlich stockte sie. »Laura«, fuhr Mathilda fort und hielt ihr das geöffnete Bilderbuch hin, »hier ist aber kein Hase Felix drin!«

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      Samstag, 24. Juni 1989

      Gleich gehen wir schön essen. Im Lippeschlösschen. Meine Eltern wollen mein Abitur noch einmal richtigfeiern. Die Omas und Opas kommen mit, C und Claudi. Das war ein bisschen komisch. Als ich ihr davon erzählte, hat sie so ein Gesicht gezogen und gesagt, dass ihre Eltern irgendwie gar nix gemacht haben. Da hat C gesagt, dass meine Eltern bestimmt nix dagegen hätten, wenn Claudi mitkommt. Wäre ja fast schon wie eine Tochter.

      Ich finde das eigentlich nicht gut.

      Claudia kommt immer nur noch, wenn C da ist. Immer »total zufällig«. Klar, weil sie ja auch nicht Cs Auto vor der Haustür sieht. Dann hat sie immer eine Frage zu ihrer Arbeit. Die ist total happy, dass sie die Ausbildung zur Industriekauffrau bei der Steag machen kann. Aber ich glaube, es ärgert sie, dass C gesagt hat, er kann sie nicht mit zum Büro nehmen, weil er oft Außendiensttermine hat.

      Meine Mama möchte, dass Claudi und ich unsere Kleider von der Abifeier anziehen. Damit wir sie wenigstens zweimal angehabt haben! C findet das auch, er sagte, bevor ich da nicht mehr reinpasse. Weil ich doch etwas zugenommen habe. Er sagte, er findet das nicht schlimm, aber für die Polizei sollte ich doch fit sein und nicht fett werden. Blödmann.

      Mittwoch, 20. September 1989

       Endlich habe ich mal wieder etwas Zeit für mich.

      Die Ausbildung hier in Brühl ist sehr anstrengend.

      C hat vorgeschlagen, dass wir jeden Abend, also Mo, Die, Mi und Do immer um acht Uhr telefonieren. Das ist etwas blöd, weil die anderen dann oft noch etwas trinken gehen oder ins Kino oder so, aber C sagte, er sei dann auf jeden Fall immer zu Hause und wir wollen doch täglich miteinander sprechen.

      Wir quatschen dann auch immer bestimmt ’ne halbe Stunde, also C erzählt mir total ausführlich von seinem Arbeitstag und mit wem er verhandelt hat. Als ob ich die alle kenne.

       In der ersten Woche bin ich mal nicht ans Telefon gegangen, da war er total sauer. Am Wochenende hat’s erst einmal Streit gegeben, ob da so interessante Kollegen sind und so. Als ich das Mama erzählt habe, sagte sie, ich müsse das alleine klären. Vereinbart sei vereinbart. Oder ich soll ihm sagen, dass ich auch mal mit meinen neuen Kollegen wegwill. Sie findet das auch wichtig.

      Vielleicht rede ich mal mit C darüber. Aber der meint ja immer gleich, ich liebe ihn weniger.

       Voll witzig!

      Heute Morgen habe ich Jens getroffen! Er hat jetzt auch einen theoretischen Teil. Er freut sich voll für mich, dass ich es geschafft habe, bei der Polizei angenommen zu werden. Wir wollen mal was trinken gehen und quatschen. Er kann mir bestimmt auch Tipps für die Klausuren geben. Vielleicht sage ich C dann gar nix davon. Gibt eh nur Diskussionen.

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       Mittwoch, 6. Juni 2018, abends

      Freddie fuhr sich mit den Fingern durch seine kurzen Haare. Mit ausgestreckten Beinen saß er am Küchentisch, Christin, Laura und Mathilda sahen ihn erwartungsvoll an. Er vermied, dass sich ihre Blicke trafen. Zwischen ihnen, in der Mitte des Tisches, lag mit einem fröhlich nach allen Seiten winkenden Hasen auf dem Umschlagbild das vermeintliche Kinderbuch Briefe von Felix. Das Tagebuch einer Toten.

      Nun war es an Freddie, seine Erinnerung an die tragischen Ereignisse zu Beginn seiner Ausbildung mit ihnen zu teilen.

      »Ich hatte gerade meine Ausbildung angefangen«, begann er. Er räusperte sich, hielt kurz inne, dann sprach er weiter. »Laura, ich weiß nicht, ob dir das so guttut.« Er sah auf, blickte der jungen Frau in die Augen.

      »Freddie«, Lauras sonst so dunkle, raue Stimme schraubte sich eine Oktave höher,

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