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und stieß ungeduldig leise Grunztöne aus. Als Christin die Box öffnete, sprang sie sofort heraus und erkundete ihre Umgebung. Dann leinte die Pfarrerin ihren Hund an.

      Immer noch schweigend gingen sie zum Deich. Christin ließ sich von Laika in der kleinen, autofreien Sackgasse hin- und herziehen, so fiel das Schweigen zwischen ihnen nicht weiter auf. Dann standen sie auf der Plattform, in deren Mitte das hohe, stählerne Kreuz stand. Christin stellte sich mit dem Rücken dazu, den Blick auf den Fluss gerichtet. Das Kreuz wirkte so, als ob es mit weit geöffneten Armen den Rhein begrüßen wollte. Oder die Schiffe auf diesem großen Strom. Leider wehte nur eine leichte Brise vom Fluss zu ihnen herauf, Freddie schwitzte noch mehr.

      »Christin«, brach der Polizist das Schweigen, »Ich denke …«

      »Nein, Freddie«, fiel Christin ihm ins Wort, »bitte lass mich zuerst reden, sonst verlässt mich der Mut.«

      »Okay, wie du willst.« Freddie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihr das erste Mal an diesem Tag richtig in die Augen.

      Sie schaute weg, wieder auf den Rhein.

      »Ich habe diese Stelle bewusst gewählt, so gibt mir mein Gott die Kraft, die ich jetzt brauche«, begann die Pfarrerin. »Nun, also, wir kennen uns ja, also eigentlich so richtig ja noch nicht so lange.«

      Freddies Augenbrauen hoben sich etwas.

      »Und, also ich weiß, dass du deine Unabhängigkeit sehr schätzt. Nein, bitte«, Christin hob, wie zur Abwehr, beide Hände. »Also du weißt, dass ich nicht nur eine gläubige Christin bin, ich bin ja auch Pfarrerin, aus Überzeugung, weil ich an Gott und Jesus glaube, also auch daran, dass man immer versuchen muss …«, sie hielt kurz inne, suchte nach den richtigen Worten, »nun ja, ich habe lange über unsere Situation nachgedacht und im Mittelpunkt steht für mich natürlich das Wohl der Kinder, aber auch der richtige Weg für die Zukunft.«

      »Christin, bitte, ich bin durch ziemlich viel Scheiße durch, egal, was du jetzt sagst, es gibt nicht mehr viel, was mich aus der Bahn werfen kann.« Freddie hielt, trotz der Wärme, weiter die Arme vor der Brust verschränkt.

      »Also gut«, sie holte tief Luft. Freddie versuchte, sich innerlich zu wappnen. Er hatte sich zu viel erhofft. Er würde aus Voerde weggehen, vielleicht brauchte Skalecki ihn in Duisburg. Er konnte förmlich den Ruck sehen, den Christin sich gab, um weiterzusprechen.

      »Also, wie gesagt, es geht um die Zukunft der Kinder. Meiner und unseres. Also, Gemeinsames. Freddie, willst du mich heiraten?«

       4. Kapitel

       Juli, 1944

      Schön, euch zu sehen.« Werner flüsterte kraftlos, lauter konnte er nicht mehr sprechen.

      Friedhelm tat es in der Seele weh, seinen besten Freund so zu sehen. Wie hatte er ihn früher immer beneidet! Um sein Selbstbewusstsein, seinen Mut. Und jetzt darum, dass er nicht an die Front musste.

      Friedhelm stand unbeholfen am Fußende von Werners Bett. Viel zu selten hatte er seinen alten Freund besucht, aber die letzten Jahre waren einerseits wie im Flug vergangen, andererseits hatte Friedhelm das Gefühl, in einer Endlosschleife festzustecken. Bis zu ihrem nächtlichen Ausflug zur Teufelskuhle, war ihr Leben parallel verlaufen. Dann trennten sich ihre Wege allmählich. Wenn Friedhelm jetzt daran dachte, kam es ihm so vor, als läge dieses Abenteuer eine Ewigkeit zurück, dabei waren es nur sieben Jahre. Sieben Jahre, in denen sich ihr Leben und das Leben aller, die sie kannten, komplett verändert hatte.

      Als ob Werner seine Gedanken lesen konnte, lächelte er leicht.

      »Weißt du noch«, er versuchte, breiter zu grinsen und schielte zu Hans, der an sein Kopfende gehinkt war, »wie der Kerl hier aussah?«

      »Jaja«, fing Hans den Ball auf. Er tat empört. »Das kannst du mir noch so oft unter die Nase reiben! Auch wenn ich ein schlechtes Gewissen habe, gebe ich dir garantiert keinen Glimmstängel!«

      »Mit stinkendem Schlamm beschmiert, bis zu den Haaren«, sprach Werner weiter. Dann ließ er den Kopf wieder in das weiche Kissen sinken. Langsam, aber deutlich zu hören, atmete er durch den geöffneten Mund. Friedhelm kannte die Sprüche zur Genüge, die zwischen dem älteren Hans und dem kranken Werner hin- und hergingen, lächelte aber trotzdem.

      In jener Nacht an der Teufelskuhle hatte alles angefangen. Er und Werner standen am Rand dieses mit klarem Grundwasser gefüllten Teiches, es war Vollmond, beide hatten sich aus den elterlichen Baracken geschlichen. Dann hatte sie der »Schwarze Mann« angegriffen. Mit Gebrüll war er halb aus dem Laub und halb aus dem Wasser geschossen und hatte sich auf sie gestürzt. Gleichzeitig waren hinter den Bäumen noch andere Wesen hervorgekommen.

      Die beiden zehnjährigen Jungs hatten geschrien und wollten wegrennen, aber der Schwarze Mann hatte blitzschnell Werner am Fußknöchel gepackt und ihn zu sich heruntergerissen.

      In dem Moment erkannte Friedhelm die Burschen, die sich mit ihnen einen Spaß erlaubt hatten. Er hatte erleichtert zu lachen angefangen und drehte sich zu Werner, um zu schauen, ob er die Polacken, wie sie die anderen Jungs immer heimlich genannt hatten, auch erkannt hatte.

      Aber Werner hatte nicht mehr geschrien.

      Immer wieder schauderte es Friedhelm, wenn er an den Anblick Werners, damals im Wald, am Rand der Teufelskuhle dachte. Weit aufgerissene Augen, ein Mund, der nach Luft schnappte, Hände, die sich krampfhaft auf den Brustkorb drückten. Erstaunlicherweise hatte der vorlaute und grobe Hans sofort den Ernst der Lage erkannt. »Mein Onkel hat auch so was«, hatte er später mal erklärt. Hans hatte den schmächtigen Werner aufgehoben und ihn vorsichtig, aber zügig zurück zu den Baracken getragen. Die aufgeregten Eltern hatten sofort Dr. Blanke geholt.

      »Angina Pectoris«, hatte der Arzt diagnostiziert. »Ihm wird es gleich besser gehen. Aber«, er hob den Zeigefinger, um die Dringlichkeit seiner Aussage zu unterstreichen, »der Jung’ darf sich nicht mehr zu sehr anstrengen. Nie mehr. Und sich nicht mehr aufregen.«

      Von dem Tag an hatte Friedhelm das Gefühl, wie der Igel in der Sage vom Hasen und Igel, Werner immer etwas voraus sein.

      Bei den Zeltlagern, die sie mit der Hitlerjugend veranstalteten, musste der selbstbewusste Werner nach dem abendlichen Würstchenessen immer nach Hause. Bei keinem sportlichen Wettkampf durfte sein Freund mitmachen, obwohl er so schnell laufen und so weit springen konnte wie kaum ein anderer. Und wenn sie ins Kino gingen, wollten seine Eltern immer genau wissen, wie aufregend der Film sein würde. Während er, Friedhelm, vor zwei Jahren zum Landdienst zum Bauern Herbert nach Spellen ging, musste Werner wochenlang in ein Sanatorium, weil sich sein Herz zusehends verschlechterte.

      Trotzdem war Werner immer sein bester Freund.

      Ihm hatte er anvertraut, wie sehr er den Streifendienst, zu dem er in der Hitlerjugend ausgebildet wurde, hasste. Nur ihm hatte er erzählt, dass sein Vater Besuch von der SS-Polizei bekommen hatte, weil er seine Dienste beim Streifendienst geschwänzt hatte. Welche Angst Friedhelm und seine Eltern gehabt hatten. Weil sein Vater doch auch in der SPD gewesen war. Und jetzt der Sohn, der sich vor seinen vaterländischen Pflichten drückte!

      Vor einem Jahr hatte er dann endlich eine Ausbildung zum Schlosser auf der Gutehoffnungshütte in Oberhausen anfangen können. Aber schon nach ein paar Monaten war es damit vorerst vorbei. Er musste nach Vogelsang. Zur Wehrertüchtigung.

      Zu dieser Zeit verließ Werner schon gar nicht mehr die Baracke, in der er mit seinen Eltern wohnte.

      Hans hatte in der Schlacht bei Minsk, drei Jahre zuvor, seinen linken Unterschenkel verloren. Seitdem war er zu Hause und kümmerte sich mit um Werner.

      »Gut siehst du aus«, flüsterte Werner wieder, »die Maloche bekommt dir.«

      »Ja«, Friedhelm straffte seine Schultern und drückte seine immer noch magere Brust heraus, »ich werd’s denen zeigen.«

      »Wo kommst du zuerst hin?«, fragte Hans.

      »An die schöne Mosel«, antwortete Friedhelm.

      »Bitte,

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