Скачать книгу

erkennen. Auch die Autos, die an beiden Straßenseiten standen. Sie runzelte die Stirn. Teilweise gegen die Fahrtrichtung. Nein, sie hatte jetzt bestimmt keine Lust, da tätig zu werden. Die Polizistin wechselte zur rechten Seite.

      Dann kam die Zufahrt, die zum Hundeverein mit seinem Vereinsheim führte. Komplett zugeparkt. Sie ging weiter geradeaus. Auf ihrer Armbanduhr sah sie, dass es jetzt kurz vor Mitternacht war. Dass im Inneren des Vereinsheims eine riesige Feier stattfand, konnte sie nur gedämpft hören. Ein etwa zwei Meter hoher Wall, der sich parallel zum Risselweg Richtung Hans-Richter-Straße zog, fing einen großen Teil der dröhnenden Bässe auf. Sie konnte auch nur einen Teil des Lichts sehen, das aus dem Haus kam.

      Aber beim Anblick der Autos hatte sie gesehen, was sie sehen wollte. Zufrieden wechselte sie wieder die Straßenseite und ging zurück zu ihrem Dienstwagen.

      Obwohl es Mitternacht war, war sie hellwach und die Gedanken in ihrem Kopf sprangen hin und her. Seit ein paar Wochen wurden ihr einige Dinge klar und klarer. Sie hatte die Mechanismen, die ihr Leben bisher bestimmten, erkannt und wusste nun genau, was sie in Zukunft wollte. Oder eben nicht wollte. Es würde ein anstrengender Prozess werden, aber irgendetwas in ihr freute sich auch darauf.

      Vielleicht würde sie ja einen Teil des Weges mit ihm zusammen gehen. Das hätte sie ihm gerne heute gesagt, aber er war nicht gekommen. Und wenn ich jetzt mit mir im Reinen bin, kann ich vielleicht auch wieder Jens ertragen, dachte sie.

      Auf der Geburtstagsfeier stellte jemand die Musik plötzlich aus und Nicole hörte die Partygäste, wie sie von zehn runterzählten, um dann nach der Eins laut »Happy Birthday to you« anzustimmen. Nicole schmunzelte, ja, happy Birthday auch von mir, dachte sie. Dann hörte sie, wie sich die Partygeräusche langsam mit dem Brummen eines sich ihr von hinten nähernden Wagens vermischten. Je näher der Wagen kam, umso lauter hörte sie jetzt die Musik, die daraus wummerte.

      Heavy Metal. Harte, aggressive Beats.

image

      »Ey, du Spacko!«, rief der Boss und riss ihm das Feuerzeug aus der Hand.

      »Passt doch auf!« Der Fahrer hatte Mühe, den Pritschenwagen zu steuern. Neben ihm saß sein Boss, gegen die Beifahrertür gequetscht, der, den sie nur »Spacko« nannten. Der Boss und Spacko waren laut und aufgekratzt, als ob sie schon etwas geraucht hätten. Sie zankten sich um alles Mögliche, um den Tabak, um das Feuerzeug, um ein Pornoheft, das sie in der Ablage unter dem Armaturenbrett gefunden hatten.

      Natürlich zog der Spacko dabei immer den Kürzeren. Der Fahrer konnte nicht sagen, ob der Spacko extra etwas ungeschickt war, wenn es zum Beispiel darum ging, nach dem Tabakpäckchen zu greifen, das der Boss ihm vor die Nase hielt und dann plötzlich wieder wegzog, oder ob Spacko den langsamen und etwas begriffsstutzigen Kollegen spielte, um es sich nicht mit dem Sohn des Chefs zu verscherzen. Letztendlich war es ihm egal, er riss hier einen Aushilfsjob ab, und dann würde er wahrscheinlich nie wieder etwas mit diesen Typen zu tun haben.

      Auch zu dieser nächtlichen Aktion hatte er sich nur überreden lassen, den Chauffeur zu machen, weil der Boss ihm versprochen hatte, dass er dafür Arbeitsstunden angerechnet bekomme. Wie für jeden Chauffeurdienst, um den er ihn bat. Der Sohn des Firmenchefs hatte zurzeit nämlich keinen Führerschein, aber da er von einem Gast, der im Hotel Saathoff übernachtete, gehört hatte, dass diverse Damen nachts am Risselweg zu finden seien, wollte er unbedingt dorthin.

      Die Heavy-Metal-Musik, die laut und schlecht aus den einfachen Boxen des Baustellenfahrzeugs schallte, nervte ihn genauso wie seine aufgekratzten Kollegen. Aber da der Boss sie eingelegt und den Lautstärkeregler bis zum Anschlag gedreht hatte, konnte er dagegen leider nichts machen.

      »Ey«, der Fahrer verdrehte die Augen, mit diesem Wörtchen fing der Boss jeden Satz an, »da vorne!« Der Boss deutete mit dem Finger zur Straße. »Ey, guckt mal! Da läuft ’ne Kuh! Guckt mal, wie der fette Arsch wackelt! Is vielleicht schon eine der Nutten!«

      Der Spacko und der Boss grölten. Dieser stieß ihn an. »Ey, schläfst du schon? Oder sind dir die Nutten nicht gut genug?«

      Langsam näherten sich die drei der Fußgängerin. Ihr geflochtener, rotblonder Zopf wippte bei jedem Schritt leicht mit. Sie drehte ihren Kopf nach links, um dann aber wieder stur geradeaus zu gucken.

      »Ach, du Scheiße!«, rief der Boss aus, »das ist die Polizistin, die mir meinen Lappen abgenommen hat! Warte mal«, er legte seine Hand auf seinen Arm, »fahr mal langsamer, bleib hinter der!«

      Er schaltete einen Gang runter und spielte vorsichtig mit der Kupplung und dem Gaspedal. Der Spacko hatte keinen Führerschein, und der Boss hatte seinen wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss vorläufig verloren. So musste er immer den Pritschenwagen zu den Arbeitseinsätzen, die sie gemeinsam hatten, steuern. Es war für ihn eine große Umstellung, da er bisher nur den Kleinwagen seiner Mutter gefahren hatte.

      »Das kannst du doch gar nicht richtig sehen«, sagte er, »komm, guck, was du gucken willst, und dann ist gut.«

      »Nein, warte!« Der Boss lehnte sich noch weiter nach vorne. »Das ist die blöde Kuh! Das ist sie ganz bestimmt!« Aufgeregt drehte er seinen Kopf nach links und rechts zu seinen Kollegen. »Ich erkenne sie an dem dämlichen Zopf und dem fetten Hintern. Fahr mal langsam näher ran!«

      Er wurde nervös. »Nee«, schüttelte der Fahrer den Kopf, das Lenkrad mit verkrampften Händen umschließend, »jetzt gib doch mal Ruhe mit der Frau. Es ist doch viel zu dunkel, das kannst du doch gar nicht richtig erkennen. Lass’ mich jetzt einfach fahren.«

      »Ja, gleich.« Sein Chef wandte sich mit einem hämischen Grinsen zu ihm, »wir jagen jetzt der blöden Fotze einen richtigen Schrecken ein! Komm, gib mal ein bisschen Gas!«

      »Ja«, feuerte auch Spacko ihn an und echote seinen Boss, »jag der mal einen Schrecken ein!«

      Er trat die Kupplung, gleichzeitig griff sein Boss nach dem Lenkrad und zog es nach rechts, zum Straßenrand. Er versuchte, ihn mit seinem Ellenbogen wegzudrücken. Dabei rutschte sein Fuß von dem Kupplungspedal und der Wagen machte einen Satz nach vorne.

      Es dauerte einen ewigen Moment, bis sie realisierten, was gerade gegen die Front des Pritschenwagens geknallt war.

image

      Erst die Überraschung, dann der Schmerz.

      Unerträglich.

      Sie schmeckte Blut in ihrem Mund.

      Sie versuchte, irgendwie ihre Hände zu bewegen. Sie auf das nasse, struppige Gras und Laub des Randstreifens zu drücken. Den Kopf zu heben. Nach hinten zu schauen.

      Sie hörte, wie der Wagen, ein großer Wagen, wendete und wegfuhr.

      Nicole konnte auch nicht unterscheiden, ob das Dröhnen in ihrem Kopf Musik oder Schmerz war.

      Sie legte ihre Wange auf den kühlen Boden.

image

      Die aggressive, wummernde Musik verklang. Er konnte jetzt noch vage die Partymusik aus dem Gebäude hinter dem Wall hören und das gedämpfte Rauschen der B 8.

      Langsam kam er wieder im Hier und Jetzt an und realisierte, was er beobachtet hatte. Trotz der fahlen Dunkelheit konnte er sie auf dem Boden liegen sehen. Er sah, dass sie lebte. Gott sei Dank!

      Gerade, als er sich aus seiner Erstarrung lösen und zu ihr gehen wollte, sah er jemanden auf Nicole zugehen.

image

      Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie Schritte hörte. Ganz vorsichtig wendete sie ihren Kopf und blickte nach oben.

      »Du!« Erleichterung rieselte ihr durch den Körper. »Gott sei Dank!«

       3. Kapitel

Скачать книгу