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in den Ascher. Die Versuchung liess ihm keine Ruhe, und schliesslich wehrte er sich nur noch dürftig und schwach dagegen. Die Versuchung lief sogar neben ihm her, als er aufsprang und mit weitausholenden Schritten das Zimmer durchmass. Sie lief unablässig neben ihm her und lachte ihn aus: Was ist denn dabei, wenn Du den Umschlag öffnest? Es ist nicht recht von Deinem Bruder, sich Liebesbriefe schreiben zu lassen, während er in derselben Zeit Karola Michael von Liebe spricht!

      Er holte sein Taschenmesser hervor und schnitt den Umschlag auf, zog einen Bogen von der Farbe des Umschlags daraus hervor, nahm wieder Platz und las, was auf dem Bogen stand:

      „Geliebter und doch bitterböser Schatz!

      Noch immer will ich mich zusammennehmen und Dir nur schreiben. Am liebsten aber käme ich selbst zu Dir und machte Dir eine Szene, dass kein Hund mehr ein Stück Brot von Dir nähme, dass Du Dein Leben lang daran denken müsstest. Ich bin rücksichtsvoll, weil ich fürchte, Dein Bruder könnte, falls ich bei Euch auftauche, Dir Ärger bereiten, Dir Dein Studium erschweren, und das will ich nun doch nicht.

      Aber ich verlange endlich Antwort von Dir auf meine verschiedenen Briefe. Du darfst mich nicht behandeln wie einen Gegenstand, den Du satt hast. Du sagtest mir oft genug, dass Du mich liebst, ich glaube, danach berechtigt zu sein, aus Deinem Munde zu hören, wenn Du mich nicht mehr liebst. Soviel Mut muss ein Mann aufbringen.

      Ich erwarte Dich am Sonnabend um halb neun Uhr abends am Untergrundbahnhof Potsdamer Platz. Ich rate Dir, komm! Sonst bin ich zu allem fähig und werde in Deiner Nähe auftauchen, wenn es Dir am allerunangenehmsten sein dürfte.

      Ich will Sonnabend mein grünes Kostüm anziehen, das Du so gern hast, und den Hut, den ich mir dazu angeschafft. Ich hoffe und wünsche, ich habe Dir unrecht getan und andere Gründe als Treulosigkeit haben Dich davon abgehalten, mir eher zu antworten oder dorthin zu kommen, wo wir uns zu treffen pflegten. Wäre es so, dann würde sich freuen

      Deine trostlose Muschi.“

      Das Wort trostlos war dick unterstrichen.

      Albin Albus lächelte ein wenig über den Schluss. Es war so ein richtiger unlogischer Brief, zusammengebraut aus Liebe, Zorn, versteckter Drohung und Versöhnungswillen.

      Fast war er neugierig, diese „Muschi“ kennenzulernen, um die sich Günter wohl nicht mehr kümmerte, seit Karola ihm besser gefiel.

      Allzulange schien es noch nicht her zu sein.

      Aber feig war Günter, sehr feig, weil er bis jetzt nicht gewagt hatte, der Briefschreiberin zu erklären: Es muss aus sein zwischen uns beiden. Ich liebe Dich nicht mehr. Ich kann nicht anders, verzeih’ mir!

      Er schloss den Brief in seinen Schreibtisch und rauchte wohl ein Dutzend Zigaretten. Der Inhalt des Briefes hatte ihn unruhiger gemacht, als er schon vorher gewesen. Er spann sich tief in allerlei Gedanken ein, und schliesslich ging er aus. Er wollte noch irgendwo ein Glas Bier trinken; er ertrug heute das Alleinsein nicht länger; seine Gedanken machten förmliche Bocksprünge.

      Es war töricht von ihm gewesen, den Brief zu öffnen und sich jetzt auch noch den Kopf mit Gedanken über die Schreiberin zu zerbrechen. Was brauchte ihn die „trostlose Muschi“ zu kümmern?

      Anständig hatte Günter an ihr allerdings nicht gehandelt. Man lässt doch so ein armes Wurm nicht einfach im Stich.

      Er lachte sich selbst aus. Es war verdreht, was ihm alles höchst überflüssigerweise im Kopf herumspukte. Was aber konnte er dafür, dass Karola ihm immer begehrenswerter schien?

      5.

      Günter Albus hatte im Konzert einen Platz in der dritten Reihe inne. Neben ihm sass eine junge Dame, die tiefbraunes Haar hatte mit wundervollem Goldschimmer.

      Als ob goldener Puder über das dunkle Gelock hingestreut wäre, dachte Günter, der dem Beginn des Konzertes beinahe mit Herzklopfen entgegensah.

      Die Musiker hatten schon ihre Plätze eingenommen. Das leise Nachstimmen der Instrumente schuf in Verbindung mit dem vom Publikum bereits gefüllten Saal, den Logen und Rängen die richtige Atmosphäre für das bevorstehende Konzert. Professor Bauer! Der Name hatte seine volle Zugkraft bewährt; es war kein einziger Platz leer geblieben.

      Und dann war es so weit. Der berühmte Mann erschien, um seinen Platz vor den Musikern einzunehmen. Unter starkem Beifallklatschen hatte er seinen kurzen Weg bis dorthin zurückgelegt. Sich mehrmals dankend verneigend, blickte er plötzlich in der Richtung, wo Günter Albus sass, liess seinen Blick sekundenlang auf ihm ruhen, schien es Günter, der den Gedanken, Karl Bauer könne seiner Person Aufmerksamkeit schenken, natürlich lächerlich fand.

      Der Berühmte leitete sein Orchester ohne Taktstock. Seine langfingerigen schmalen Hände hoben sich weich und beschwingt, das Orchester setzte ein.

      „Uralte Legende“ hiess die neue, zum ersten Male gespielte Tonschöpfung Bauers. Die Musik hatte den Zauber all dessen eingefangen, was mit dem hellsten, seligsten Fest der Christenheit zusammenhing, mit dem Weihnachtsfest.

      Die Geigen sangen vielstimmig denselben Ton, die Celli begleiteten in verhalten dunkler Zärtlichkeit das Wunder der Menschwerdung Christi. Ein Geigensolo jubelte vom Stern, der über dem Stalle stand, und von den drei Hirten, die ihn erblickten, als sie in der weiten Feldeinsamkeit ihre Schafe hüteten.

      Die „Uralte Legende“ war wie in Klang verwandelte überwältigende Menschengüte und Menschenliebe, war wie segnende Hände, die sich den Erdgeborenen aus Wolken entgegenstreckten.

      Günter Albus sass so still, dass ihn dünkte, er wäre erstarrt von der bezaubernden Tonflut, die durch den Saal rauschte und ihm das Herz im Leibe umdrehte.

      Es kam eine Stelle, die war wie aller Inbegriff des schönen Wortes Heiligkeit selbst. So klar war sie wie der Himmel an auserlesen schönen Frühlingstagen, so rein wie das erste Lächeln der Kinder, so zart wie weisse Lilien, die man in katholischen Kirchen der Madonna in den Arm legt.

      In Professor Bauers „Uralter Legende“ atmete die Seligkeit aller Menschen mit, die gläubigen Herzens waren.

      Und diese hinreissende Stelle, diese Stelle in der „Uralten Legende“ erweckte in Günter Albus eine fast scheue Ehrfurcht vor dem Genie des körperlich kleinen Mannes, der mit schmalen, langfingerigen Händen das unirdische Klingen und Tönen wie aus der Luft holte. Jämmerlich nichtig und unbedeutend fand er sich selbst. Sein Streben und Hoffen sah mit einemmal keinen Weg mehr vor sich, und ihm war, als sei er damit bisher irre gegangen.

      So einen Lehrer haben dürfen wie ihn! dachte er mit so tiefer schmerzhafter Innigkeit, dass es ihn erschütterte.

      Er schloss halb die Augen und hatte die Vision, Engel, die auf Wolken sassen, spielten „Uralte Legende“. Er sah die schwarzgekleideten Herren nicht mehr, die mit Künstlerschaft den Bogen führten oder die Flöte mit spitzen Lippen berührten. Der gute alte Herrgott droben dirigierte eine Schar von Engeln und schenkte den Menschen diese hehre Weihestunde.

      Neben ihm sass die fremde junge Dame, und ihr Blick hatte ihn schon mehrmals gestreift, ohne dass er es bemerkte. Er war viel zu versunken, nahm diese Musik hin wie eine allerhöchste Gnade. Seine Nachbarin fühlte wohl mit, wie inbrünstig sein Ohr die herrliche Musik des Werkes aufnahm, und dass in ihm jetzt für nichts anderes mehr Raum war.

      Ein Lächeln der Zufriedenheit legte sich um ihren Mund, und sie träumte neben ihm und mit ihm alles, was die „Uralte Legende“ in Klängen malte, sie träumte — vielleicht war es eher ein Erleben — von dem süssesten Geschehen, das es je auf Erden gegeben, und das sich alljährlich erneuert, das Wunder von der Geburt Jesu, das Wunder jener tausendmal gesegneten Stunde, in der die uneigennützige reine Menschenliebe in die Welt gekommen ist.

      Das Finale endete in vollen, breit ausklingenden Akkorden. Es war, als spiele eine mächtige Orgel, und in dem Aufrauschen versank und verklang die „Uralte Legende“ wie in ein Meer von Frömmigkeit.

      Totenstille herrschte in dem grossen Haus, und in der Stille erwachte Günter, erwachte aus dem Bann, musste tief atmen, sich in die Wirklichkeit zurückatmen.

      Die

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