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morgen vormittag, wo ihr Vater ihn erwartete, sondern als dächte sie dabei an morgen abend.

      Er blieb draussen ein paar Sekunden vor dem zweiten Hause zur Linken an der Strassenecke stehen. Hier würde Gisa Bauer ihn morgen abend erwarten.

      Es war kühl, als er durch den Tiergarten ging, aber er spürte es nicht, ihm war warm von den lobenden Worten des Meisters und warm von den Blicken seiner schönen Tochter. Erst als er sich wieder zu Hause befand, fiel ihm die morgige Verabredung mit Karola ein. Er musste ihr sagen oder schreiben, dass er keine Zeit hätte.

      Nebel schwebten über das Bild der blonden Karola Michael hin, ballten sich dicht und dichter zusammen. Er erkannte dahinter kaum noch ihre Züge; sie wurden undeutlich und fremd. Aber die dunklen Augen Gisas lebten und schauten ihn an von überall, wohin er sich auch wandte — von überall.

      Sein Zimmer schien ihm verwandelt, seit er es verlassen; alles schien ihm verwandelt. Er lachte plötzlich laut auf vor Glück, irgendwie musste er seinem überströmenden Gefühl Luft machen. Ihm war zumute wie jemand vor der Entscheidung zu einem ganz grossen Vorwärtskommen im Leben. Die Klänge der „Uralten Legende“ umbrausten ihn mit einemmal so stark und gewaltig, dass ihn schwindelte vor lauter Singen und Klingen. Am liebsten aber hätte er die Musik, die doch nur in ihm war, übertönt, sich an den Flügel gesetzt und selbst gespielt. Aber es war mitten in der Nacht.

      Sein Schlaf war sehr unruhig, der Konzertabend und das Erleben, das sich daraus ergeben hatte, hatte ihm zu viele freudige Erregung ins Blut gejagt, dass diese Nacht einer Fiebernacht ähnelte. Aber nur an sich dachten seine erregten Gedanken, nur an sich, kein einziger Gedanke verirrte sich zu Karola Michael.

      6.

      Manchmal frühstückten die Brüder gemeinsam, manchmal allein, wie sich das gerade so ergab, da Günter zuweilen ein Langschläfer war. Heute aber wartete er nicht einmal ab, bis die Frühstückszeit herangekommen, es dauerte ihm zu lange, er musste mit Albin über den gestrigen Abend sprechen. Und so klopfte er einfach kurz bei ihm an und fand Albin vor dem Spiegel, damit beschäftigt, sich zu rasieren. Die untere Hälfte seines Gesichts steckte in Seifenschaum wie in einem Wattebausch.

      Günter grüsste strahlend. Es war, als ob mit ihm helle Sonnenstrahlen in das Zimmer eindrängen, in dem noch das elektrische Licht brannte.

      Albin dagegen war sehr schlechter Laune, war auf den Bruder geladen. Erstens, weil er ihm den Weg zu Karola Michael versperrte und zweitens wegen der grünen Briefe, die den Leichtsinnigen nicht im geringsten zu stören schienen, obwohl er doch eine genügende Anzahl davon erhalten hatte.

      Günter bemerkte das nicht, er nahm Platz, gestattete grossmütig: „Rasiere Dich ruhig weiter, grosser Bruder, ich muss Dir etwas Herrliches erzählen, etwas, was für mich soviel wie ein Wunder bedeutet.“

      Albin Albus machte unwillkürlich eine schroffe Kopfbewegung und hätte sich deshalb beinah geschnitten. Er dachte: Jetzt würde Günter von seiner Liebe zu Karola reden wollen. Der Himmel mochte wissen, warum das aber gerade heute früh sein musste?

      Günter fragte: „Bist Du denn gar nicht ein bisschen neugierig, Albin? Nein? Was knurrst Du eigentlich so bissig unter Deinem Seifenmaulkorb hervor? Es handle sich doch bloss um Weibsbilder?“ Er lachte jungenhaft vergnügt: „Nur teilweise, grosser Bruder! Das allerwichtigste ist mir immer mein Vorwärtskommen gewesen. Und wenn mir einer dabei helfen kann, dass die Geschichte richtig in Schwung kommt, bin ich dabei, mit oder ohne Weibsbilder!“

      Albin horchte auf, dieser Auftakt zum eigentlichen Thema liess nicht darauf schliessen, als ob darin etwas von Karola oder den grünen Briefen vorkäme.

      Er forderte kurz: „So rede doch endlich, wenn Du mich deshalb so früh überfallen musstest!“

      Günter lachte wieder, lachte überaus zufrieden.

      „Du wirst staunen, Albin, Mund und Nase wirst Du vor Staunen aufsperren. Also höre und bleibe Deiner Sinne Meister: Ich hatte das geradezu tolle Glück, gestern abend nach dem Bauer-Konzert den berühmten Karl Bauer persönlich kennenzulernen, mit ihm, ganz privat, bei seinem Freund zu essen und ihm vorspielen zu dürfen. Heute vormittag um elf Uhr erwartet er mich und —“

      Er konnte vor Erregung nicht weitersprechen.

      Albin sagte ruhig: „Nichts weiter?“

      Günter sah ihn beinah entsetzt an.

      „Mensch, begreifst Du denn nicht wenigstens annähernd, was für einen Menschen meiner Art die Bekanntschaft dieses überragenden Künstlers bedeutet? Du, der Du mir bisher so treulich geholfen, dass ich Musik studieren konnte, Du, der mich durchgehalten, dass ich frei und froh meiner Neigung folgen durfte, ehe ich im Büro, in das Vater mich gesteckt, zwischen nüchternen Geschäftsbriefen und dem Ausziehen von Rechnungen die Freudigkeit dazu verloren? Du, gerade Du müsstest mich doch wahrhaftig verstehen.“

      Er sprang auf und stellte sich hinter dem Stuhl des Bruders auf.

      „Ich weiss es natürlich nicht genau — so etwas kann man nicht wissen, weil Künstler sehr impulsiv sind — aber ich ahne, die Bekanntschaft mit Karl Bauer war eine Schicksalsstunde für mich. Vielleicht die grösste und wichtigste meines ganzen Lebens!“

      Albin Albus sah im Spiegel das strahlende Gesicht des Bruders, der hinter ihm stand und auf ihn heruntersprach. Er warf sich selbst vor: Ich bin kleinlich! Was hat Günters Freude über die Bekanntschaft mit einem berühmten Mann, überhaupt mit Karola zu tun und damit, dass Günter sie liebt und ich sie ihm gönnen muss? Es war ja auch alles Blödsinn, was er sich ausgesonnen. Er hätte sich sowieso nicht mit dem Bruder aussprechen und von ihm verlangen dürfen, er solle ihm Karola überlassen wie einen Gegenstand. Schliesslich hatte das Mädchen selbst doch ein gewichtiges Wort mitzureden, sogar das gewichtigste. Und was die grünen Briefe betraf — du lieber Himmel, die Post mochte wohl viele grüne, blaue, rosa oder noch andersfarbene Briefe befördern von im Stich gelassenen Mädelchen. Das ging ihm eigentlich doch nichts an.

      Er hing an dem jüngeren Bruder, sein Vorwärtskommen lag ihm sehr am Herzen. Weg mit aller Selbstsucht und Kleinlichkeit!

      Er rasierte fest darauf los, schnitt sich, schimpfte und sagte polternd: „Wenn die Bekanntschaft von gestern abend soviel für Dich bedeutet, Günter, dann freue ich mich selbstverständlich ebenfalls darüber, und um elf Uhr werde ich tüchtig den Daumen drücken, damit sich Deine kühnsten Hoffnungen erfüllen, die Du an den Besuch knüpfst.“

      „Endlich sprichst Du vernünftig“, lobte Günter und ging zur Tür. „Beim Frühstück können wir uns über die Angelegenheit weiter unterhalten, ich habe eingesehen, beim Rasieren bist Du ziemlich ungemütlich.“

      Beim Frühstück erfuhr Albin dann noch, dass Karl Bauers Tochter auf überraschende Weise die Bekanntschaft zwischen Günter und ihrem Vater vermittelt hatte. Der Bruder schwärmte ihm vor: „Eine junge Dame ist das, Albin, wie ich bisher noch keine gekannt habe.“ Er erklärte: „Guck mal, Albin, Augen von der Grösse hat sie!“

      Er legte die äussersten Spitzen von Daumen und Zeigefinger leicht zusammen, um anzudeuten, wie gross Gisa Bauers Augen wären.

      Albin empfand unwillkürlich wieder Ärger. Das Mädchen mit den grossen Augen, hatte auf Günter sofort einen überaus starken Eindruck gemacht, das war unverkennbar.

      Er erwiderte gereizt: „Das müssen ja wahre Stallfenster sein!“

      Günter lachte. „Beinahe! Aber die Augen sind wunderschön. Dunkel und leuchtend und klug. Die ganze Person ist ausserdem von einem so unbeschreiblichen Reiz, dass ich keine junge Dame kenne, die es auch nur annähernd mit ihr aufnehmen dürfte. Und das ohne eigentlich schön zu sein, was man im allgemeinen darunter versteht.“

      Ein scharfes Wort drängte sich auf Albins Zunge, aber er sprach es nicht aus. Er wollte dem Bruder nicht unrecht tun. Schliesslich durfte Günter, auch wenn er Karola liebte, die Tochter des grossen Musikers bewundern. Noch dazu, wo er ihr die Bekanntschaft des grossen Künstlers verdankte, an den er sonst wohl nie herangekommen wäre.

      Pünktlich um elf Uhr klingelte

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