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Die geheimnisvolle Besucherin. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Die geheimnisvolle Besucherin
Год выпуска 0
isbn 9788711592168
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Albin sah ihn ernst an. „Auch auf die Liebe, die nun einmal zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehört?“
„Hunger und Kälte, Sorgen aller Art ertrüge ich gern, wenn ich wüsste, ich könnte mir dadurch den Ruhm verschaffen. Ich risse mir das Herz aus der Brust mitsamt der grössten Liebe, wenn mir möglich wäre, dafür den Ruhm einzutauschen.“
In Günters Blick flackerte wildes Verlangen, und seine Lippen waren ein wenig geöffnet. Er malte sich wohl den Ruhm aus, den er so brennend begehrte.
Albin riss ihn aus seiner Versunkenheit, stellte in trockenem Ton fest: „Vergiss nicht, dass es für Dich höchste Eisenbahn ist, sonst kommst Du zu spät ins Konzert.“
Es klang fast unfreundlich.
Günter sah ihn fragend an.
„Bist Du ärgerlich auf mich, weil Du gerade heute mit mir ausgehen wolltest?“
Albin riss sich zusammen. Es hatte ihn geärgert, dass der Bruder ihm vorhin erklärt hatte, wenn es ihm möglich wäre, dafür den Ruhm einzutauschen, risse er sich das Herz mitsamt der grössten Liebe aus der Brust.
Er antwortete: „Unsinn, ich bin nicht ärgerlich auf Dich. Wir können gelegentlich mal wieder zusammen ausgehen, es hat Zeit, es braucht nicht heute oder morgen zu sein!“
Er nickte Günter zu und verliess schnell das Zimmer.
Ein paar Minuten später rief Günter vor der Haustür eine gerade leer vorbeifahrende Taxe an. Er dachte schon nicht mehr an die Unterhaltung mit dem Bruder, er dachte nur an das Konzert Bauer.
Und an das Konzert Bauer dachte auch Karola Michael.
Ihre Wirtin, Frau Sabine Bauer, hatte sie heute wieder auf dem Korridor in Empfang genommen. Sie trug ihr Schwarzseidenes, was immer bedeutete, dass entweder irgendein Feiertag für sie war oder sie etwas Besonderes vorhatte. Sie überfiel Karola mit einer Neuigkeit, die zugleich die Erklärung für das Anlegen des Schwarzseidenen war.
„Hören Sie, Fräulein Michael, wollen Sie mit mir in ein Konzert kommen? Es reicht noch mit der Zeit, Sie können vorher sogar noch ein Brötchen essen und ’ne Tasse Kaffee trinken. Ich habe schon alles für Sie zurechtgestellt und Ihr Abendkleid aufs Bett gelegt. Bitte, kommen Sie mit. Mein Vetter Karl Bauer aus Antwerpen dirigiert das Konzert.“ Sie schlug lebhaft die Hände zusammen.
„Karl soll ein schrecklich berühmter Mann sein! Die Karten hat er mir nachmittags selbst gebracht, und seine Tochter war mit ihm hier. Ein Mädel ist das, ein Mädel sage ich Ihnen, wie aus einem spannenden Film oder Roman! Aber darüber wollen wir uns ein anderes Mal unterhalten. Bitte, kommen Sie mit, ich habe zwei Eintrittskarten, und es schadet uns beiden sicher nichts, wenn wir mal etwas ganz Grosses hören dürfen.“
Karola hielt sich nicht lange mit Erwägungen auf, ob sie die Einladung annehmen sollte oder nicht. Ihr war eingefallen, dass Günter ihr vor ungefähr einer Woche erzählt hatte, wie sehr er sich auf das Konzert des Dirigenten Bauer freue. Heute abend aber hatte er nichts mehr davon erwähnt, er mochte in den wenigen Minuten ihres heutigen Zusammenseins nicht einmal daran gedacht haben. Sie stellte sich vor, dass sie Günter vielleicht zufällig im Konzert sehen würde, und erklärte: „Ich will Sie herzlich gern begleiten, Frau Bauer. Unsereins kommt sonst doch nicht zu dergleichen.“
Sie wusste genau, sie war nicht besonders musikalisch, ein flotter Marsch, ein inniges Volkslied, ein süsser Schlager deckten ihren musikalischen Bedarf vollkommen. Jetzt reizte sie auch nicht das Konzert, sondern die Aussicht, möglicherweise den Geliebten, wenngleich nur von weitem, zu sehen. Sie wollte nicht vergessen, ihr Opernglas mitzunehmen.
Sie lief in ihr Zimmer, in dem die vorsorgliche Frau Sabine schon das Licht angedreht hatte, hob den Kaffeewärmer von der Kanne, schenkte sich eine Tasse ein, ass eine der bereits zurechtgemachten Schnitten und wechselte dann die Kleidung.
Ein weinrotes Abendkleid von stumpfer, taffetartiger Seide betonte vorteilhaft die schlanken und doch kräftigen Linien ihrer Gestalt, und die weisse Ansteckblume mit dem schimmernden Kelch aus Strass gab ihm eine schicke Note.
Das Haar brauchte nur ein paar Kamm- und Bürstenstriche, es war fast immer in Ordnung, weil die Natur selbst es in Dauerwellen gelegt hatte. Kein Regen, kein Nebel, kein Waschen konnte die zerstören. Sie zupfte ein Löckchen aus dem Scheitel in die Stirn, und es lag nun als kleines goldschimmerndes Fragezeichen zwischen den dunklen, schmalen Bögen der Brauen.
Wie gehetzt liefen die beiden Konzertbesucherinnen die Treppen hinunter. Frau Bauer spendierte eine Taxe. Im Wagen erklärte sie: „Mein Vetter, richtiger mein Vetter dritten oder vierten Grades, lässt höchstens um die Weihnachtszeit von sich hören, dann aber durch ein ansehnliches Geldgeschenk. Heute hat er mir beim Weggehen hundert Mark in die Hand gedrückt. Er war bloss eine gute Viertelstunde bei mir. Na ja, so ein Berühmter kommt kaum zu sich selbst, kann sich nicht stundenlang bei mir aufhalten. Ich bin schon froh, dass er überhaupt an mich denkt, und bilde mir eine Menge darauf ein.“
„Das dürfen Sie wohl auch, Frau Bauer“, gab Karola zu.
Sie hatte gar nicht gewusst, dass Frau Bauer mit dem berühmten Musiker verwandt war. Aber sie würde auch wahrscheinlich nichts von Professor Bauers Existenz gewusst haben, wenn Günter seiner nicht gelegentlich Erwähnung getan als eines Herrschers im weiten klingenden Land der Musik.
4.
Albin Albus sass nach dem Abendessen in seinem Arbeitszimmer. Er hatte es sich in einem weitausladenden Klubsessel neben dem Rauchtischchen bequem gemacht, und während er eine besonders gute Zigarette zwischen den Lippen hielt, sann er über Karola Michael, Günter und sich selbst nach.
Was Günter zu ihm mit dem Blick und dem Tonfall eines Fanatikers geäussert, setzte ihm gehörig zu; es bewies ihm, die Liebe seines Bruders zu Karola war nicht von der Art, die um der Liebe selbst willen grosse Opfer bringt. Für die Sicherheit, berühmt zu werden, gäbe Günter seine Liebe her.
Auf dem Rauchtisch stand ein Tablett, darauf lagen mehrere Briefe, die heutige Abendpost. Alle Briefe wurden unten im Geschäft abgegeben, und Emil Krettke sonderte davon die privaten ab und legte sie auf das Tablett. Auch Briefe an Günter gelangten auf diese Weise zuerst in Albins Hände.
Nun waren Albin in letzter Zeit mehrmals an Günter gerichtete Briefe aufgefallen, weil die Umschläge aus grellem Grün, von länglichem, sehr grossem Format waren. Ein breiter Silberstreifen betonte ausserdem sehr nachdrücklich die Linie, wo sich der Umschlag schloss. Albin fand diese Briefe auffallend und unfein, und wenn er sie auch bis jetzt stets gleichgültig in Günters Zimmer gelegt, quälte ihn heute, angesichts eines neuen solchen Briefes, die Frage, wer die Absenderin sein mochte.
Diese Briefe konnten nur von einer Frau stammen. Einem Mann fiele sicher nicht ein, derartiges Papier zu benützen. Übrigens handelte es sich um eine unverkennbar weibliche Handschrift ohne besondere Eigenart.
Ob es Liebesbriefe waren, für die man die Farbe der Hoffnung etwas zu knallig grün gewählt hatte?
Aber Günter hatte Karola im Arm gehalten und sie geküsst, und wer eine Karola Michael küssen darf, macht ihr zuliebe — falls er noch irgendwie im Netz einer älteren Liebesgeschichte festhängt — bestimmt damit Schluss.
Die Versuchung trat dicht an Albin Albus heran und flüsterte ihm zu: Es sind letzthin schon so häufig Briefe von dieser Farbe mit dem Silberstreifen und der dünnen Schrift gekommen, was liegt also an einem grünen Brief mehr oder weniger? Öffne diesen letzten Brief, und Du bist im Bilde, weisst Bescheid!
Immer dichter drängte die Versuchung sich heran, flüsterte