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Die geheimnisvolle Besucherin. Anny von Panhuys
Читать онлайн.Название Die geheimnisvolle Besucherin
Год выпуска 0
isbn 9788711592168
Автор произведения Anny von Panhuys
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Er öffnete leise die Tür zur Arbeitsstube, lugte durch die Türspalte und fühlte plötzlich, wie seine Glieder unangenehm starr wurden. In der Arbeitsstube sah er ein in sein Liebesglück völlig versunkenes Paar eng aneinandergeschmiegt, das sich küsste. Der Kuss schien nicht enden zu wollen.
Sein Bruder und Karola Michael küssten sich weltvergessen.
Im ersten Augenblick war Albin Albus wie vor den Kopf geschlagen, aber schon im nächsten hatte er sich zusammengerissen. So sehr es ihn auch drängte, die beiden mit einem kräftigen Donnerwetter auseinanderzureissen, unterliess er es doch.
Er hielt nichts von übereilten Handlungen.
So leise, wie er die Tür vor ungefähr einer Minute geöffnet, schloss er sie wieder und schlich auf den Zehenspitzen über den dunkelroten Teppich, der das Reich der stummen Damen behaglich machte, die ihn alle mit ihrem gleichmässig liebenswürdigen Lächeln anstarrten.
Albin Albus kehrte so geräuschlos, als hätte er etwas getan, was niemand wissen durfte, in sein Arbeitszimmer zurück.
Jetzt erst entzog sich Karola, die schon Hut und Mantel trug, den Armen Günters. Sie musste es ein wenig gewaltsam tun.
Sie meinte mit verhaltener Stimme: „Mir war, als ob sich eben jemand nebenan bewegt hätte. Du bist wirklich schrecklich leichtsinnig, Günter.
Stelle Dir einmal vor, wenn Dein Bruder uns beim Küssen überraschen würde. Es dürfte ihm kaum recht sein, wenn Du ihm jetzt von einer Verlobung zwischen uns reden würdest. Du steckst mitten im Studium, und es kommt bei Dir jetzt darauf an, Dich nur damit zu befassen Ich habe mir schon oft Vorwürfe gemacht, dass ich Dich von Deiner Arbeit ablenke.“
Er lächelte sie vergnügt an.
„Du lenkst mich gar nicht ab, du regst mich immer nur an, und schliesslich bin ich kein Anfänger, der das A B C des Kontrapunktes ochsen muss.“ Er fasste ihre beiden Hände. „Wahre Liebe kann nicht lähmen und behindern, sie beschwingt und macht alles leicht. In unzähligen Melodien singt und klingt es in mir: ‚Ich hab’ Dich lieb!‘“
Er küsste sie schon wieder.
Karola sah ihn mit strahlenden Augen an, aber sie entzog sich ihm diesmal sofort.
„Bitte, sei endlich vernünftig, Günter, und lass mich gehen. Morgen abend treffen wir uns ja in unserem kleinen Café, dann können wir uns ungestört und ausführlich von unserer Liebe erzählen. Also freuen wir uns auf morgen!“
Von nebenan hörte man jetzt kräftige Männerschritte, und gleich darauf drang eine lustige Stimme zu den beiden in die Arbeitsstube: „Gute Nacht, Ihr feinen Wäscheweiberchen! Hoffentlich seid Ihr alle heute recht brav gewesen? Na, das seid Ihr eigentlich immer, und meine Olle könnte von Euch lernen, was es heisst: Das Maul halten!“
Günter Albus und Karola wechselten belustigte Blicke. Sie wussten sofort Bescheid. Emil Krettke verabschiedete sich für heute von dem Dutzend stummer Schönheiten im „Ausstellungssaal“.
Jeden Abend hielt er ihnen irgendeine kleine Rede, und wünschte ihnen gute Nacht. Anders tat er es nicht. Schon in der nächsten Minute konnte er hier eintreten; deshalb nickte Günter seinem Mädel noch einmal zu und verschwand nun doch in etwas beschleunigtem Tempo.
Emil Krettke brauchte ihn hier nicht allein mit Karola zu finden. Er war immer davongeschlichen, wenn Emil anrückte.
Der aber gehörte zu der Sorte von Menschen, die sich so leicht nichts vormachen lassen, er dachte: Hoffentlich haben mich die zwei Verliebten in der Arbeitsstube gehört und der Musikus verdrückt sich rechtzeitig denn ich will nichts gesehen haben!
Emil sagte für alle Fälle noch einmal ganz laut: „Also eine recht gute Nacht, meine reizenden Damen! Ich wünsche Ihnen dazu noch angenehme Träume!“
Er polterte ein wenig herum, dann erst drückte er die Klinke nieder, auf der vor wenigen Minuten Albin Albus’ Hand gelegen.
Karola sah dem Eintretenden entgegen, rief lustig: „Müssen Sie sich denn immer mit den Puppen unterhalten, Emil?“
Krettke war ein derber, untersetzter Mann von vierzig Jahren. Unter seiner leicht aufgestülpten Nase sass ein breiter Mund, der ständig zu schmunzeln schien oder auch zu grienen. Seine lebhaften kleinen Augen waren rund und wasserblau; sein Haar war fast zu dicht, dazu strähnig und strohfarben. Wenn er es nicht pünktlich schneiden liess, glich es einer Mähne.
„Ach, Fräulein Karola, am liebsten unterhielte ich mich stundenlang mit den netten Weibsbildern, den verführerischen Biesterchen. Denn Biesterchen sind sie alle zwölfe, wenn ich ihnen abends auch immer etwas von ihrer Bravheit erzähle. Man muss den Frauensleuten Honig ums Maul schmieren, das ist ’ne alte Weisheit, dann kommt man am besten mit ihnen aus.“
„Sie scheinen eine hervorragend gute Meinung von uns Frauen zu haben!“
Er hob die für seine Gestalt zu breiten Schultern.
„Anwesende sind doch immer ausgeschlossen, Fräulein Karola.“ Seine kleinen Augen zwinkerten vergnügt. „Im allgemeinen bin ich mit den Frauen ganz zufrieden. Was zum Beispiel meine eigene betrifft, allerhand Achtung! Sie quasselt manchmal ein bisschen zuviel, aber sonst ist sie ein famoser Kerl. Pferde kann man mit ihr stehlen gehen. Arbeiten kann sie wirklich grossartig. Alles in unserer Wohnung hält sie blitzsauber, immer ist aufgeräumt, und dabei hat sie für fünf Würmer zu sorgen. Jedes Jahr gibt’s bei uns frischen Zuzug. Und nie ist sie verdrossen, nie mault sie. Na ja, so ’ne rasche Wetterwolke zieht ja auch mal über ihr Gesicht, aber husch, husch! ist sie vorüber. Und von frühmorgens an hat sie immer ihre Haare gemacht, steckt adrett in Kluft. Auch zu Hause.“
Seine hellen Brauen, die wie kleine Ähren über den Augen sitzen, zogen sich missbilligend zusammen.
„Wissen Sie, Fräulein Karola, ich achte das sehr an ’ner Frau, das mit der Sauberkeit. Meine ist, wie man sich so ausdrückt, immer wie aus dem Ei gepellt. Das kleidet jede Frau am besten, finde ich, da gebe ich was drauf. Bei uns im Haus laufen vormittags so’n paar Vogelscheuchen rum, vor denen ich’s Kotzen kriegen könnte. Dreckige Schürzen, Haare wie wild gewordene Strippen, und dazu sind sie noch ungewaschen, der Hals kommt bloss sonntags dran. Latschen haben sie an die Füsse von morgens bis abends, und wenn einem so’n Muffgesicht in die Quere läuft, tut einem der Trottel von Mann leid, der sowas immer um sich hat!“
Er lachte und zeigte auf die Tür zum Ausstellungssaal. „Solche süsse Geschöpfe, wie die da drin, laufen ja auch lebendig massenweise rum, aber so was ist natürlich nicht für Krettkes Emiln gewachsen, für so was hat man bloss ’ne heimliche Liebe. Alles kann der Mensch eben nicht haben, nicht wahr? Die Sterne, die begehrt man nicht, man freut sich ihrer Pracht! Ist es nicht so, Fräulein Karola?“
Karola nickte ihm zu: „Sie haben vollkommen recht, Emil. Doch ich muss gehen, ich verspüre schon Hunger.“
Sie grüsste und verliess die Arbeitsstube durch den Hausflur, trat hinaus auf die belebte Strasse des Berliner Westens. Sie ging bis zur nächsten Ecke und bog in eine Seitenstrasse ein. In ungefähr einer Viertelstunde hatte sie das Haus erreicht, in dem sie wohnte — vier Treppen hoch, in einem Zimmer mit Balkon, von dem man aus in einen gartenartig angelegten kleinen Hof sah, in dem sich eine wohltuende Stille förmlich aufgestapelt zu haben schien. Karola sass des Abends oder an Sonntagsvormittagen gern auf ihren Balkon. Jetzt im Spätherbst trat sie nur immer für kurze Zeit hinaus, um ein paar tiefe Atemzüge zu tun. Sie hatte von hier aus verschiedene Durchblicke, und wenn sie die Augen schloss und tief atmete, meinte sie, daheim zu sein in der kleinen Heimatstadt am Rhein, die sie schweren Herzens verlassen hatte, weil sie dort kein Zuhause mehr gehabt.
Vor fünf Jahren hatte ihr Vater wieder geheiratet und ihr eine Stiefmutter gegeben, die ältlich und von unerträglicher Herrschsucht, ihr das Leben sehr vergällte. Dann starb ihr Vater, und die Stiefmutter suchte schnell einen zweiten Gatten, den sie leicht fand, da sie ein paar Tausender geerbt. Sie hatte