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Heftigkeit: „Und wenn Sie sicher sind, dass sich die Frau augenblicklich irgendwo am Nordpol aufhält, muss ich Ihnen widersprechen. Diese Frau war heute hier. Beschwören könnte ich das! Und wenn sie noch so weit weg von Berlin wohnen sollte, sie ist doch heute hier gewesen.“

      Karola Michael schüttelte wieder den Kopf.

      „Liebe, gute Frau Bauer, die Frau, deren Foto Sie in Händen halten, wohnt so weit von hier, dass sie bestimmt nicht hierherkommen könnte.“

      Frau Bauer widersprach: „Und wenn sie am Ende der Welt wohnt, sie war hier.“

      „Betrachten Sie, bitte, die Rückseite des Bildes, dort steht etwas geschrieben.“

      Die Frau drehte das Foto um und las mit immer grösser werdenden Augen laut vor: „Konstanze von Hüldecken, geboren 1828, gestorben 1898 auf Schloss Hüldeck am Rhein.“

      Sie stammelte vor sich hin: „Das kann einfach nicht stimmen! Das ist unmöglich! Ich habe die Frau doch mit meinen eigenen Augen gesehen und weiss, wie sie aussieht.“ Ihre Hände bebten stark. „Das verstehe ich nicht, das regt mich auf, weil es unheimlich und rätselhaft ist. Ich, ich —“

      Sie schaute Karola an als könne ihr die eine Erklärung geben.

      Die einzige Erklärung, die Karola ihr zu geben vermochte, gab sie ihr auch.

      Sie zog ihr vor allem das Bildchen fort, das sie krampfig zwischen den Fingern hielt, meinte dann mit dem Anflug eines Lächelns: „Sie sind nervös, Frau Bauer, und es ist eine fixe Idee von Ihnen, dass Sie sich einreden, meine längst verstorbene Urgrossmutter wäre heute hier gewesen. Eine fremde Frau war hier, wegen irgendeiner belanglosen Angelegenheit. Urgrossmutter Konstanze starb schon viele, viele Jahre, bevor ich überhaupt auf die Welt kam. Mutter hat sie noch gekannt und mir von ihr erzählt. Und jetzt schlagen Sie sich die Idee mit dem Bild aus dem Kopf. Eine Ähnlichkeit mag ja vorhanden sein, die beirrt Sie.“

      Die Frau versuchte das Lächeln Karolas zu erwidern, aber sie zog nur den Mund schief. Unheimliche, unklare Gedanken strudelten hinter ihrer Stirn durcheinander.

      Karola sagte beruhigend: „Wenn die Frau wiederkommt, was ja anzunehmen ist, werden wir Bescheid wissen, und ich darf Sie dann ein bisschen auslachen, falls die Frau in Wirklichkeit ganz anders aussieht als meine Urgrossmutter vom Rhein. Urgrossmutter! Das klingt schon so verschollen.“

      Frau Bauer seufzte tief.

      „Nein, nein, ganz so einfach löst sich das Rätsel nun doch nicht. Ich kann mir nicht helfen, wenn ich das Bild ansehe, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.“

      Karola wurde ungeduldig. Mit der sonst so netten Sabine Bauer konnte man jetzt kein vernünftiges Wort reden. Die Besucherin musste wirklich etwas Ähnlichkeit mit der toten Urgrossmutter haben. Sie äusserte es noch einmal. Frau Bauer erwiderte bockig: „Sie war es selbst.“

      Karola zuckte die Achseln und neckte:

      „Also, Frau Bauer, wenn Sie bei Ihrer Ansicht bleiben, schlage ich vor, wir nennen die geheimnisvolle Besucherin einfach: Die Frau, die aus dem Jenseits kam! Das dürfte, bis sie sich vorgestellt hat, die passendste Bezeichnung für sie sein.“

      Sabine Bauer schüttelte sich, als ob man sie mit eiskaltem Wasser übergossen hätte. Sie wiederholte mit einer Stimme, die sich vor Entsetzen überschlug: „Die Frau, die aus dem Jenseits kam!“ und danach stiess sie hervor: „Jetzt fürch — te ich mich erst rich — tig vor der Frau. Hof — fent — lich kommt sie nicht wie — der. Ich könn — te ü — ber — haupt nicht mehr mit ihr re — den.“

      Karola erwiderte verstimmt: „Wenn sie zu einer Zeit kommt, in der ich zu Hause bin, dürfte das auch wohl nicht nötig sein. Sie haben ihr ja erklärt, wann ich hier bin.“

      Frau Bauer nahm sich nun doch etwas zusammen.

      „Sie hätten das nicht sagen sollen, Fräulein Michael, ich meine das von der Frau, die aus dem Jenseits kam. Für mich klingt das schaurig, es passt nämlich. Es passt zu dem Aussehen der Frau.“

      Frau Bauer musste gehen, denn ihr anderer Mieter rief auf dem Korridor nach ihr.

      Karola atmete erleichtert auf. Sie schloss ihre Tür ab. Mochte Frau Bauer, falls sie Lust verspürte, das Gespräch nachher fortzusetzen, ruhig denken, sie wäre schon schlafen gegangen.

      Sie knipste das Licht aus und trat hinaus auf den Balkon. Erfrischend umspülte sie die herbstlich kühle Abendluft, die über dem Häusergewirr der Riesenstadt hinzog, und die ihr wohl tat wie ein Bad in der See in sommerlichen Ferientagen.

      „So ein Blödsinn!“ murmelte sie und dachte an das Gerede Sabine Bauers.

      Aber auf den nächsten Besuch der Fremden war sie jetzt wirklich gespannt. Dann glitten ihre Gedanken wie über eine freischwebende goldene Brücke zu Günter Albus, und sie grüsste ihn im Geiste herzlich. Sie hatte ihn lieb, und er gehörte wie selbstverständlich in das Bild ihrer Zukunft, das sie sich manchmal ausmalte. Seine hohe Gestalt stand mitten darin und zeigte ihr den Weg, den sie gemeinsam gehen würden, verbunden in Liebe und guter Ehekameradschaft.

      Wie habe ich Dich lieb! dachte sie so inbrünstig, als ob sie aus tiefstem Herzen betete.

      3.

      Am gleichen Abend, als Albin Albus entdeckt hatte, wie es um seinen Bruder und Karola Michael stand, beabsichtigte Günter, in ein Konzert zu gehen — in ein Konzert, das für echte Musikliebhaber ein ganz besonderer Genuss zu werden versprach. Professor Bauer aus Antwerpen, ein geborener Deutscher, dirigierte sein eigenes Orchester, das er aus Belgien mitgebracht hatte, und das ebenso wie er und durch ihn Weltruf besass.

      Er war einer der berühmtesten Dirigenten der Gegenwart, und seine Konzertreisen mit und ohne Orchester hatten ihn um mehr als den halben Erdball geführt.

      Günter war schon vor Wochen eifrig um einen Platz besorgt gewesen und stand nun in seinem hell erleuchteten Schlafzimmer und machte sich für den Besuch des Konzertes zurecht, das in einem der grössten Säle Berlins stattfinden sollte.

      Nach kurzem Anklopfen trat Albin ein, sagte nach einem Blick auf den Bruder etwas enttäuscht: „Eben fällt mir ein, Du gehst heute in ein Konzert. Irgend so ’n Prominenter dirigiert allerlei schweres Zeug — Beethoven und ähnliches. Ach, was weiss ich! Ich hatte Dein Vorhaben ganz und gar vergessen und kam mit der Absicht, Dir einen gemeinsamen Ausgang vorzuschlagen.“

      Er hatte nicht im entferntesten an das gedacht, was er vorbrachte, sondern es hatte ihm eine ruhige Aussprache mit dem jüngeren und von ihm noch abhängigen Bruder vorgeschwebt. Im Hintergrund der beabsichtigten Aussprache glaubte er eine kleine Hoffnung zu sehen, der Stand der Dinge könnte sich vielleicht derart regeln lassen, dass Günter bei Karola freiwillig zurückträte und er selbst versuchen durfte, sich dem blonden Mädchen zu nähern.

      Er hatte sich überlegt und eingeredet, wenn Günter ihm entgegenkäme, müsste sich alles nach seinen Wünschen entwickeln, denn er ähnelte Günter und schnitt bei dieser Ähnlichkeit wahrscheinlich sogar vorteilhaft ab; zweitens vermochte er Karola eine sorglose Existenz zu bieten, während Günter vielleicht noch lange nicht an eine Heirat denken konnte. Drittens würde es Karola vielleicht locken, als Gattin des Firmeninhabers ganz unbehindert ihre Neuschöpfungen herausbringen zu können.

      Leider musste seine „vernünftige“ Aussprache mit Günter verschoben werden.

      Der Bruder lächelte ihn harmlos freundlich an.

      „Ich stände gern zu Deiner Verfügung, aber das Konzert kann ich nicht aufgeben. Das nicht!“ betonte er noch einmal und drehte sich im feierlichen schwarzen Abendanzug langsam vor dem Spiegel um sich selbst. Als eleganter, hübscher Mann stand er vor dem hohen Türspiegel des geöffneten Kleiderschrankes. Seine hellen Augen strahlten sich selbst wohlgefällig im Glas an.

      „Ich freue mich unbändig auf das Konzert“, machte er seinem Herzen Luft. „Ich habe noch nie das Glück gehabt, Bauer dirigieren zu sehen. Es soll ein ästhetischer Hochgenuss sein, das Vollendetste vom Vollendeten. Wirklich, ich freue

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