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so heran, daß sie die Beine auf die Sitzfläche legen konnte.

      Es wurde ganz still im Zimmer; Ilona versuchte sich in ihr Buch zu vertiefen, während Knut lernte.

      Nach einer halben Stunde hielt sie es nicht mehr aus und fragte: »Aber wenn Torsten nun nicht kommt?«

      »Der kommt bestimmt«, war die lakonische Antwort.

      Ilona wollte den Bruder nicht ablenken und ließ es dabei bewenden.

      Aber es ging dann doch schon auf zehn Uhr zu, als Torsten endlich erschien.

      Er stieß die Tür auf, blieb auf der Schwelle stehen und rief atemlos: »Mensch, bin ich ab!«

      Knut drehte sich zu ihm um. »Von den paar Treppen etwa? Junge, du solltest mehr Sport treiben!«

      »Wenn ich das schon höre!« Torsten lächelte Ilona zu, als entdecke er sie erst jetzt. »Hallo, Ilo! Wunderbar, daß du uns auch mal besuchst!« Er war mager und von zartem Körperbau, wodurch er größer wirkte als sein Bruder, trug das blonde Haar schulterlang, aber sehr gepflegt, den Backenbart wohlgestutzt; seine Augen, blasser als die Knuts und eher grau, blickten Ilona mit echter Herzlichkeit an.

      »Ermutige sie nicht zu sehr«, warnte Knut, »sie plant ein Attentat auf dich!«

      »Wenn du Geld brauchst, Ilo, das kannst du haben!« Torsten wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Du hast Glück, ich bin gerade in der richtigen Spenderlaune.« Er zog seinen dunklen Blazer aus, hängte ihn sorgfältig über einen Bügel in den Schrank, darunter trug er einen hellblauen Rollkragenpulli.

      »Nein, darum handelt es sich gar nicht«, erklärte Ilona rasch, »im Gegenteil, ich möchte dich einladen, zu einem Konzert!«

      »Wenn’s weiter nichts ist!« erwiderte Torsten ohne Zögern. »Wann soll denn das große Ereignis stattfinden?«

      »Nächsten Donnerstag.«

      »Schon geritzt. Und wo treffen wir uns?«

      Ilona hätte ihn gern gebeten, sie abzuholen, aber sie mochte es, da er es ihr nicht von sich aus anbot, nicht von ihm verlangen.

      »Es ist im Herkulessaal der Residenz.«

      »Gut. Dann beim Eingang. Zehn vor acht. Einverstanden?« Er legte ihr die Hand auf die Schulter.

      »Ja, sehr.« Sie wollte aufstehen.

      Er merkte es und drückte sie nieder, »Du willst doch nicht etwa schon abhauen? Ich bin ja gerade erst gekommen.«

      Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

      »Ein bißchen Zeit hast du schon noch«, erklärte Torsten und warf sich in den Sessel, von dem Ilona die Füße genommen hatte, »laßt euch was erzählen, Kinder: Ab nächsten Ersten hab’ ich eine eigene Wohnung!«

      Jetzt sprang Knut auf. »Im Ernst? Du, das wär’ ja wunderbar!«

      Torsten lächelte zu ihm auf. »An übertriebener Höflichkeit hast du ja nie gelitten!«

      »Na hör mal! Verlangst du etwa jetzt auch noch von mir, daß ich Trauer mime, weil du mich verläßt?!«

      »Na, immerhin hat dir meine Anwesenheit nicht nur Nachteile gebracht. Oder ist es mir etwa nicht gelungen, deine gute Frau Unterhuber umzufunktionieren?« Er wandte sich Ilona zu. »Bevor ich sie behandelt habe, wollte sie nämlich partout keine Damenbesuche dulden, ich habe ihr erst beigebracht, daß ein gesunder junger Mann so was einfach braucht.«

      Ilona lachte. »Du hast sie also aufgeklärt? Prachtvoll.«

      »Das war gar nicht so einfach. Könnt ihr mir schon glauben.«

      »Ich bin dir ja auch dankbar«, räumte Knut ein, »trotzdem werde ich froh sein, wenn ich meine Bude wieder für mich allein habe.«

      »Verdenkt dir ja niemand«, behauptete Torsten, »ich hab’ dich ja nur ein bißchen tratzen wollen.«

      »Wo ziehst du denn hin?« erkundigte sich Ilona.

      »Nur ein Stückchen weiter die Tengstraße rauf. Ins eigentliche Schwabing. Es ist mir gelungen, zwei Leerzimmer mit Küche und Bad zu ergattern. In einer Altbauwohnung.«

      »Das ist genau das, was ich suche!« rief sie aus.

      »Dann bleib am Ball. Bestimmt wirst du eines Tages auch Glück haben.« Torsten lehnte sich aufatmend zurück. »Ich habe übrigens zur Feier des Tages eine Flasche Sekt mitgebracht Sie steht im Eisschrank.«

      Knut ging zur Tür. »Mal sehen, ob sie schon kalt ist.« Er blieb, die Klinke in der Hand, stehen. »Aber dann kannst du doch den Eltern nicht mehr soviel schicken.«

      »Ist ja auch nicht nötig«, erwiderte Torsten, »Vater verdient ja inzwischen selber. Biene hat mir ein paarmal geschrieben, daß sie mit zweihundert Mark Zuschuß im Monat ganz gut zurechtkäme.«

      Knut verließ das Zimmer.

      »Und was ist mit der Einrichtung?« fragte Ilona.

      »Kein Problem. Die besorg’ ich mir schon. Wozu gibt’s denn Apfelsinenkisten und Trödlerläden?«

      »Ach, Torsten, ich beneide dich regelrecht um deine Geschicklichkeit in solchen Sachen.«

      »Tu das nicht, Schwester. Du kannst ja immer auf mich zurückgreifen.«

      »Das wird nicht nötig sein. Meine schönen Möbel stehen doch zu Hause auf dem Speicher und warten, daß ich sie hole. Was mir fehlt, sind Räumlichkeiten.«

      »Werden sich auch noch finden.« Er legte ihr die Hand auf den Arm. »Man braucht im Leben viel Geduld, Schwesterchen. Manchmal ist’s schon zum Verzweifeln. Aber schließlich und endlich klappt’s dann meist doch. Jedenfalls bin ich richtig froh, daß du heute abend gekommen bist. Da kannst du mein Glück gleich mitfeiern. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen.«

      »Für was?«

      Er zeigte lächelnd seine starken, etwas gelblichen Zähne. »Für alles.«

      Sie fühlte sich plötzlich ganz leicht. »Ich bin auch froh, Torsten«, sagte sie, und das war die Wahrheit.

      Knut kam, die Sektflasche in der einen, drei Gläser in der anderen Hand, ein Küchentuch unter dem Arm, herein. Er stellte die Gläser auf den niedrigen Tisch, öffnete die Flasche sachgemäß mit einem gedämpften Knall und ließ die hellgoldene Flüssigkeit in die Gläser schäumen, die Ilona und Knut ihm eins nach dem anderen hinhielten.

      Dann stießen die Geschwister lachend miteinander an und tranken. Für eine kleine Weile schienen alle Probleme gebannt.

      Ilonas Musikalität war unausgebildet. Zwar hatte sie früher einmal gerne gesungen, aber später war es ihr kindisch erschienen. Zu Hause war nie musiziert worden, und wenn sie Radio hörte, blieb sie nie bei ernster Musik, sondern drehte gleich weiter, bis sie einen Sender mit Pop, Beat oder Folklore erwischte. Die Kammermusikabende, die in Riesberg regelmäßig veranstaltet wurden, hatten sie schon gar nicht gelockt. Während ihrer Freundschaft mit Oswald Zinner hatte sie einmal den Wunsch geäußert, ein Konzert zu besuchen – aber mehr, um mitreden zu können, als aus echtem Interesse. Deshalb hatte sie es auch gar nicht getroffen, als er entschieden abgewinkt und ihr zu verstehen gegeben hatte, daß er sich einen amüsanteren Zeitvertreib vorstellen könnte.

      So kam es, daß sie jetzt, als sie neben ihrem Bruder im Konzertsaal saß, während die Philharmoniker ein letztes Mal ihre Instrumente stimmten, nicht nur die Erwartung des Augenblicks empfand, sondern gleichzeitig eine jähe Angst, es nicht durchhalten zu können.

      »Warst du schon einmal hier?« flüsterte sie ihrem Bruder zu.

      Torsten nickte.

      »Und … wie war’s?«

      Er legte, statt einer Antwort, den Zeigefinger auf den Mund.

      Ein kleiner Herr im Smoking trat aus einer Tür links im Hintergrund und wurde mit zurückhaltendem Beifall empfangen. Er verbeugte

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