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hatte er schon Platz genommen. »Du strahlst ja so, Ilona! Hat’s eine Gehaltserhöhung gegeben?« Er säbelte ein tüchtiges Stüde von dem Wiener Schnitzel ab und steckte es in den Mund.

      »Nein, aber ich habe zwei Konzertkarten bekommen. Vom Chef.«

      »Gratuliere«, sagte Otto Leer mit vollem Mund. »Für den Zirkus Krone?«

      Ilona lachte. »Ich habe Konzert gesagt, nicht Remidemi. Rudolf Kempe dirigiert die Münchner Philharmoniker.« Verheißungsvoll fügte sie hinzu: »Dvorak und Tschaikowski.«

      Aber Otto Leer zuckte die Schultern und erwiderte kauend: »Muß ganz nett sein, für jemanden, der so etwas mag.«

      »Für dich nicht?«

      »Bin total unmusikalisch.«

      Die Abfuhr war deutlich; Ilona ärgerte sich, weil sie errötete.

      »Dann gelingt es mir also nicht, dich neidisch zu machen«, entgegnete sie, um ihr Gesicht zu wahren, »schade.«

      Sie verzapfte noch ein bißchen Betriebsklatsch, bevor sie zusammen mit Kiki die Kantine verließ; die beiden Mädchen waren schon beim Kompott gewesen, als Otto Leer sich zu ihnen gesetzt hatte.

      »Hast du gehofft, Otto würde dich begleiten?« fragte Kiki, als sie im Lift nach oben fuhren.

      »Ach woher denn«, log Ilona.

      »Es kam aber ganz so raus.«

      »Wirklich? Na, dann habe ich ja noch Glück gehabt, daß er es nicht so aufgefaßt hat. Ich hätte ihm nämlich einen Korb geben müssen, und das hätte dann schon sehr dumm ausgesehen.«

      Kiki sah sie prüfend an. »Also bist du schon verabredet?«

      »Du sagst es.«

      Damit hatte Ilona sich auch noch der Möglichkeit beraubt, Kiki oder eine andere Kollegin mit ins Konzert zu nehmen, und sie wußte das im gleichen Augenblick. Aber sie hatte keine andere Möglichkeit gesehen, die Blamage abzuwenden.

      Kiki ließ immer noch nicht locker. »Mit wem gehst du denn?«

      Ilona zwang sich zu lächeln. »Mit einem netten Jungen, den du nicht kennst und den ich dir auch nicht vorstellen werde, denn sonst schnappst du ihn mir am Ende noch weg.«

      Die Schmeichelei gefiel Kiki und machte sie geneigt, Ilona Glauben zu schenken. »Er arbeitet also nicht im Haus?«

      »Nein.« Ilona dachte sich rasch etwas aus. »Er ist Mediziner. Ich habe ihn durch meinen Bruder kennengelernt.«

      »Ein Student!« sagte Kiki neidvoll. »Auf so einen würde ich keinen Wert legen. Die wollen ja nur ihren Spaß haben, und nachher heiraten sie ein Mädchen mit Geld. Wenn überhaupt.«

      Ilona gab ihr einen Stups auf die Nasenspitze. » Wer spricht denn vom Heiraten, Kiki? Das ist das letzte, was ich möchte. Jedenfalls im Augenblick. Verheiratet ist man immer viel zu lang.«

      »Du bist mir schon eine!« erklärte Kiki bewundernd.

      Tatsächlich war Ilona weder so leichtsinnig, noch so frohgemut, wie sie vorgegeben hatte. Sie hatte mit ihrem Gerede nur verhindern wollen, von Kiki bemitleidet zu werden, denn das wäre ihr entsetzlich gewesen.

      Aber während des Gesprächs war ihr eine Idee gekommen, die ihre Laune echt verbesserte: Warum sollte sie nicht einen ihrer beiden in München lebenden Brüder als Begleiter für den Konzertbesuch mobilisieren? Wenn die beiden für sie als Männer natürlicherweise auch uninteressant waren, so waren sie doch immerhin stattlich genug, daß man sich mit ihnen sehen lassen konnte.

      Vom Büro aus anrufen wollte sie nicht, weil sie hier nie ungestört war. Also ging sie nach Arbeitsschluß – es war wieder mal acht Uhr geworden – zum Postamt am Bahnhof, fand keine freie Zelle und entschloß sich, ihnen einen Besuch abzustatten. Bis zur Tengstraße, wo die beiden bei einer Frau Anneliese Unterhuber wohnten, waren es nur ein paar Schritte, und falls sie keinen von ihnen zu Hause antraf, konnte sie ihnen immer noch eine Nachricht hinterlassen.

      Schon der Gedanke, nach Feierabend etwas vorzuhaben, gab Ilona Auftrieb. Sie hatte Knut und Torsten noch nie in ihrem Münchner Domizil aufgesucht und war gespannt, wie sie hausten. Sicherlich ziemlich beengt und primitiv, dachte sie, denn ursprünglich hatte ja Knut allein dort gewohnt; Torsten hatte sich bei ihm einquartiert, als er sich entschlossen hatte, sein Schwabinger Gammlerleben aufzugeben und eine Stellung in der Werbebranche anzunehmen, um seine Mutter finanziell zu unterstützen. Das war inzwischen fast wieder ein Jahr her, und sie wohnten – aus Sparsamkeitsgründen – noch immer zusammen. Ilona, die sich erinnerte, daß die Brüder immer recht unterschiedlich gewesen waren – Knut, der Medizinstudent, ordentlich, zielstrebig und realistisch, Torsten, der Künstler, großzügig und großherzig, lässig und nachlässig –, wunderte sich, daß sie es so lange miteinander aushielten. Als Jungen hatten sie sich unentwegt gestritten. Aber inzwischen waren sie erwachsen geworden, und sie besaßen beide eine gute Portion Humor, die ihnen wahrscheinlich über einige Schwierigkeiten hinweghalf.

      Das Mietshaus in der Tengstraße war ein offensichtlich bald nach der Währungsreform errichteter Bau mit schmuckloser, unpersönlicher Fassade, die jetzt schon erhebliche Schäden durch Wind, Wetter, Fahrbahnerschütterungen und Abgase aufwies. Der Anstrich von Tür und Fensterrahmen war – sicherlich oft erneuert – abgeblättert, die Gardinen jedoch waren duftig und gepflegt.

      Ilona klingelte. Dann erst stellte sie fest, daß die Haustür nicht verschlossen war, und trat in das Treppenhaus. Es gab keinen Aufzug, und sie kletterte zu Fuß in den vierten Stock hinauf.

      Frau Unterhuber erwartete sie schon in der Wohnungstür. Sie war eine große, kräftige, nicht mehr junge Frau mit kohlschwarz gefärbtem Haar und einem breiten Mund voll ebenmäßiger, sehr weißer falscher Zähne. Sie trug ein Sommerkleid mit Halbärmeln und hatte die starken, schon ein wenig schwammigen Arme übereinandergeschlagen.

      »Sie wünschen, Fräulein?« fragte sie; ihre Stimme paßte zu ihr, sie war tief und sehr laut.

      »Ich möchte bitte einen meiner Brüder sprechen!«

      »Welchen?« Frau Unterhuber musterte Ilona abschätzend und ohne Sympathie.

      »Knut oder Torsten. Wer gerade da ist.«

      Frau Unterhuber gab die Tür immer noch nicht frei. »Niemand hat mir was von einem Besuch gesagt.«

      »Ich komme ja auch überraschend.« Als sie sah, daß das Mißtrauen im Ausdruck der anderen noch deutlicher wurde, fügte sie rasch hinzu: »Ich bin wirklich die Schwester. Ilona Miller.«

      »Na, dann werde ich mal nachfragen.« Frau Unterhuber zog sich zurück und knallte die Tür vor Ilonas Nase zu.

      Die junge Frau wußte nicht, ob sie lachen oder sich ärgern sollte.

      Fast umgehend wurde die Tür wieder aufgerissen, und Knut erschien, blond, blauäugig und so muskulös, daß seine Größe – er überragte Ilona trotz ihrer hohen Absätze um einige Zentimeter – nicht richtig zur Geltung kam. Er trug weiße Hosen, ein am Hals offenes weißes Hemd und Tennisschuhe. »Du, Schwester?!« rief er und zog sie an der Hand in die Wohnung. »Das nenne ich aber eine Überraschung! Ich hoffe bloß, es ist nicht schon wieder was passiert.«

      »Nein, nein, bestimmt nicht.«

      »Da rollst du mir einen Stein vom Herzen! Frau Unterhuber, laufen Sie doch nicht weg, darf ich Ihnen mein Schwesterchen vorstellen? Das hätten Sie nicht gedacht, daß ich eine so schnuckelige Schwester habe, was?«

      Frau Unterhuber verzog ihren breiten Mund zu der Andeutung eines Lächelns. »Nun, Ihre Kusinchen sind ja meist äußerlich auch sehr fesch.«

      »Was für ein Kompliment aus Ihrem Mund! Und ich hatte immer gedacht, daß keine Gnade vor Ihren Augen fände!« Knut zog Ilona, deren Hand er nicht losgelassen hatte, zu einer offenen Tür am Ende des Flurs. »Wenn Torsten kommt, dann lassen Sie ihn ruhig herein!«

      »Uih, das ist aber ein Dragoner!« flüsterte Ilona, als ihr Bruder die Tür geschlossen hatte und sie

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