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du, ich versuche es nicht? Wenn du dir nur vorstellen könntest, mit wieviel guten Vorsätzen ich aus der … der Haft gekommen bin!« Er sprach das Wort mit Überwindung aus. »Aber es hat nichts genutzt. Ich bin unglücklich, und ich mache dich unglücklich.«

      »Das ist nicht wahr, wirklich nicht, Arnold!« behauptete sie. »Ich bin froh, daß du wieder zu Hause bist.« Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Aber es quält mich natürlich, daß du dich so … so wenig wohl in deiner Haut fühlst.«

      Die nächtliche Stunde im Freien hatte ihren besonderen Zauber, den sie beide spürten. In den Nachbargärten war es still geworden, und auch von der Straße her kam nur noch hie und da das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos, das die gleich darauf eintretende Stille noch deutlicher machte. Grillen zirpten in den Büschen, und ein Spatz zwitscherte im Schlaf. Sonst war alles ruhig. Sie saßen im Schein des stetig brennenden Windlichts, rings eingehüllt von samtschwarzer Dunkelheit. Sie konnten sich gegenseitig kaum erkennen, und gerade das gab ihnen den Mut, Dinge auszusprechen, die sie gewöhnlich kaum zu denken wagten.

      »Heute abend«, sagte sie langsam, »da war es seit langem wieder einmal fast wie früher. Früher bist du mit Egon doch immer gut zurechtgekommen. Kannst du ihm nicht verzeihen, daß er dich … reingerissen hat?«

      »Ach was«, widersprach er impulsiv, »so verbohrt bin ich nun doch nicht! Es war schließlich meine eigene Schuld, daß ich …« Er unterbrach sich und fügte langsam hinzu: »Vielleicht ist doch was Wahres dran. Obwohl es idiotisch ist. Aber alles bringt mich gegen ihn auf.«

      »Wenn du nur eine andere Stellung hättest finden können.«

      »Ja, das wäre besser gewesen«, gab er müde zu.

      »Willst du es nicht noch mal versuchen?« fragte sie zaghaft.

      »Sinnlos. Fünfundvierzig und vorbestraft. Das ist wie ein Fluch. Höchstens beim Bau würde man mich nehmen. Aber das schaffe ich körperlich nicht mehr. Und mich in der Fabrik ans Fließband stellen … nee, danke.«

      Sie nippte an ihrem Glas. »Als du damals geflohen bist, wie hast du dir deine Zukunft da eigentlich vorgestellt? Wie sollte es weitergehen, wenn sie dich nicht gefaßt hätten?«

      »Darüber habe ich gar nicht nachgedacht, ich … ich wollte einfach weg.«

      Sie spürte, daß das nicht die Wahrheit war und schwieg.

      »Wenn ich ganz ehrlich sein soll«, gestand er, »ich wollte ein neues Leben anfangen.«

      »Ohne mich?«

      »Ja.«

      »Mit einer… anderen?«

      »Mit vielen anderen. Ich wollte … frei sein, verstehst du?«

      »Ja.«

      »Bist du nun sehr enttäuscht?«

      »Nein. So ähnlich hatte ich es mir vorgestellt.« Sie hatte den Wunsch, ihm endlich von ihrer Liebe zu Thomas Stratmann zu erzählen. Aber sie begriff, daß es nun weniger möglich war denn je. Er hätte glauben müssen, daß sie ihm weh tun wollte, um sich zu rächen. »Jetzt«, sagte sie statt dessen, »könntest du fort. Du hast deine Strafe abgesessen. Die Polizei würde dich nicht mehr hetzen.«

      »Willst du mich los sein?«

      »Du weißt, daß das nicht stimmt. Aber ich möchte, daß du glücklich bist – glücklich, was für ein dummes Wort! Als wenn irgendein Mensch glücklich sein könnte, wenigstens auf die Dauer! Daß du nicht ganz so unglücklich bist, meine ich.«

      »Ich habe schon manchmal große Lust, alles hinzuschmeißen«, bekannte er.

      Es gab ihr einen Stich, doch sie ließ es sich nicht anmerken. »Aber dann …«

      »Nein, Biene, ich kann dich nicht mit dem Haus und den Schulden im Stich lassen. Das ist ausgeschlossen.«

      »Die Schulden sind ja gar nicht mehr so arg, seit Ethel die eine Hälfte übernommen hat.«

      »Aber du kämst allein nicht zurecht… bitte, laß mir wenigstens diese Illusion und sag mir nicht, daß ich zu gar nichts mehr nutze bin! Dann könnte ich die Rackerei nämlich wirklich nicht länger ertragen!«

      »Natürlich bis du mir eine große Hilfe«, sagte sie rasch, »nicht nur finanziell.«

      »Ich will’s dir glauben, wenn ich mich meist doch eher als eine Belastung empfinde. Aber das Ganze ist natürlich eine Wahnidee. Wo sollte ich denn hin? Wovon sollte ich leben? Es ist gut gemeint, Biene, aber es geht einfach nicht.«

      Sie fröstelte. »Wir sollten hineingehen.«

      Er verfolgte seinen Gedankengang. »Und außerdem will ich gar nicht fort, nicht von dir, Biene. Ohne dich wäre ich … verloren.«

      »Damals hast du anders darüber gedacht.«

      »Damals war ich total durcheinander. Dabei hätte ich es, das möchte ich wetten, keine drei Monate ohne dich ausgehalten!«

      Sie begriff, daß sie das glauben konnte oder nicht, aber auch, daß es sinnlos war, darüber nachzugrübeln. »Dann«, sagte sie und lächelte in die Dunkelheit, »müßten wir eigentlich froh sein, daß sie dich erwischt haben, denn was wäre sonst aus dir geworden?«

      »Ich hätte mich sicher über kurz oder lang freiwillig gestellt.«

      »Mag sein. Aber so haben wir doch alle Aufregungen jetzt wenigstens hinter uns. Wir können neu anfangen, und wir sind zusammen!«

      »Ja!« Er tastete nach ihrer Hand. »Und das ist gut so.«

      »Willst du nicht gelegentlich daran denken? Wenn dir wieder mal der Ärger über den Kopf schlägt? Daß dein Leben doch auch gute Seiten hat?«

      »Nur eine einzige: dich!«

      Sie war aufgestanden. »Alter Übertreiber! Von der Seite kenne ich dich ja gar nicht!«

      Er zog sie auf seinen Schoß und küßte sie zart hinter das Ohr. »Manchmal«, flüsterte er, »tut’s mir schon leid, daß du mich ausquartiert hast!«

      Sie verzichtete darauf, ihm vorzuhalten, daß das eine lange Zeit sein sehnlicher Wunsch gewesen war. »Das Zimmer hat doch eine Tür!« flüsterte sie zurück.

      »Aber das Baby …«

      »Ach, herrje!« Sie rutschte von seinem Schoß. »Jetzt habe ich wahrhaftig vergessen, Katja zu versorgen!«

      »Laß doch! Sie hätte sich schon gemeldet, wenn …«

      »Nein, nein, ich muß sofort …«Sie griff nach den Gläsern. »Nimmst du die Flaschen?« Sie öffnete mit dem Ellbogen die Tür zum Gartenzimmer.

      Sie hatte ein kleines Licht brennen lassen.

      Die Zwillinge lagen mit geröteten Wangen und zerzaustem Haar in ihren Bettchen und wirkten engelhafter denn je.

      Sabine blickte zu Arnold zurück. »Sind sie nicht süß?«

      Er beantwortete ihre Frage nicht. »Kommst du nachher zu mir?«

      »Aber es ist schon so spät!«

      »Sabine, bitte …«

      »Ja, ich komme«, versprach sie und schämte sich, weil sie sich dazu überwinden mußte.

      Am Sonntagnachmittag fuhr Egon Kasparek nach Haar. Es war ein warmer Tag, und er trug Jeans und ein rotes Freizeithemd; beide Fenster seines hellblauen Volkswagens waren offen, und der Fahrtwind strich ihm durchs Haar.

      Dennoch fühlte er sich beklommen.

      Immer wieder sagte er sich, daß er sich auf das Wiedersehen mit seiner Frau freute, und das war die Wahrheit. Je länger die Trennung dauerte, desto stärker wurde seine Sehnsucht. Aber nie verließ ihn die Angst, daß eine böse Überraschung ihn erwarten könnte, die Angst, Rosy hätte einen Rückfall erlitten oder es wäre ihr etwas zugestoßen – was, hätte er selber nicht zu sagen gewußt.

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