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Bleibt uns die Hoffnung. Marie Louise Fischer
Читать онлайн.Название Bleibt uns die Hoffnung
Год выпуска 0
isbn 9788711718438
Автор произведения Marie Louise Fischer
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
»Nicht ernst nehmen?« wiederholte Egon verständnislos und sah Dr. Mayer fragend an.
»Ja. Ihre Frau ist nicht harmlos, Herr Kasparek.«
»Weil sie einmal mit dem Messer auf mich losgegangen ist? Aber da war sie krank. Das habe ich nie geleugnet.«
Dr. Mayer lehnte sich zurück, schloß die Augen und legte Zeigefinger und Daumen der rechten Hand auf die Lider. »Sie ist nicht etwa im Streit auf Sie losgegangen, in einem Wutanfall, sondern sie hat Sie im Schlaf überfallen, getrieben von einer Wahnidee. Sie wollte sich nicht wehren oder Sie nur verletzen: sie wollte Sie töten. Würden Sie wirklich wieder mit dieser Frau unter einem Dach leben wollen? Das gleiche Zimmer mit ihr teilen?«
»Ich kann sie doch nicht, nur aus Angst, ein Leben lang in Haar lassen!«
»Damit haben Sie meine Frage nicht beantwortet, und das wissen Sie selber.« Dr. Mayer stand auf. »Von einem Leben lang kann übrigens keine Rede sein. Sondern nur, bis sie gesund ist.« Er nahm sein Glas und ging zum Bücherschrank.
»Und wie lange wird das dauern? Können Sie mir überhaupt versprechen, daß sie je wieder ganz gesund wird?«
»Nein, das kann ich nicht.« Dr. Mayer öffnete die angelehnte Schranktür, holte die Kognakflasche heraus und schenkte sich abermals ein. »Mögen Sie auch noch einen Schluck?«
»Nein, danke. Ich muß noch fahren.«
»Ein sehr vernünftiger Standpunkt»«
»Ich würde jahrelang warten, wenn ich nur hoffen könnte.«
»Hoffen, mein Lieber, können Sie immer.« Dr. Mayer kam zum Tisch zurück. »Aber Sie sind ein erwachsener Mann, und deshalb sollten Sie doch vor den Tatsachen nicht die Augen verschließen. Wir alle freuen uns darüber, daß Rosy momentan so wohlauf ist. Dieser Zustand kann Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre andauern. Es läßt sich aber nicht voraussehen, wann ein neuer Schub kommt, und niemand kann Ihnen auch garantieren, daß sie nie mehr in Geistesverwirrung verfallen wird.« Er leerte sein Glas.
Egon merkte wohl, daß der Arzt das Gespräch beenden wollte, war aber nicht bereit, sich so schnell abschieben zu lassen. »Aber wenn die Chance besteht, daß sie Jahre gesund bleibt, warum kann ich sie dann nicht mit nach Hause nehmen?«
»Weil ich Grund zur Annahme habe, daß ein Wechsel der äußeren Lebensumstände ihr nicht guttun würde.«
»Sie soll sich zu Hause schlechter fühlen als hier? So was gibt’s doch gar nicht.«
»O doch. Denn hier muß sie keine Verantwortung tragen. Man verlangt nichts als die einfachsten Handreichungen von ihr, und auch die nur dann, wenn sie in Stimmung ist. Sie braucht sich keine Sorgen und keine Gedanken zu machen. Ja, sie lebt in einem Käfig, aber dieser Käfig hält sie nicht nur gefangen, sondern er hält auch jede Gefahr von ihr ab.«
Jetzt stand auch Egon auf. »Selbst wenn alles, was Sie über meine Frau sagen, richtig ist, das ist doch nur die eine Seite der Medaille. Ich bin doch auch noch da. Ich liebe sie, und ich brauche sie. Und jetzt, wo ich weiß, wie es um sie steht, bin ich besser imstande sie zu behandeln als jeder Arzt.«
»Liebe ist gut, aber Fachverstand ist besser.« Dr. Mayer ging zur Tür.
»Helfen Sie uns doch! Und wenn es nur für ein paar Monate wäre! Bei dem geringsten Anzeichen einer neuen … Verwirrung würde ich sie persönlich zurückbringen!«
»Mein lieber Herr Kasparek«, sagte Dr. Mayer, »Sie glauben doch wohl hoffentlich nicht, daß ich es darauf anlege, auch nur einen einzigen Patienten länger dazubehalten, als unbedingt nötig ist! Wir sind ohnehin überfüllt und haben zuwenig Personal, also verlassen Sie sich darauf, wenn ich es nur irgend verantworten kann, werde ich Ihre Frau wenigstens versuchsweise entlassen.«
»Und … wann?«
»Tut mir leid, aber einen Termin kann ich Ihnen wahrhaftig nicht nennen.«
Ilona hatte sich nicht so rasch wieder in München eingelebt, wie sie erwartet hatte. Ihre Arbeit als Direktionssekretärin machte ihr zwar nach wie vor Freude, und sie war dankbar, daß ihr der Posten erhalten geblieben war. Natürlich hätte sie, dank dem Mutterschutzgesetz, nicht entlassen werden, aber doch im Rahmen des Kaufhausunternehmens an einen anderen Platz bei gleicher Bezahlung versetzt werden können. Daß dies nicht geschehen war, dafür hatte Direktor Schneller, ihr unmittelbarer Vorgesetzter, gesorgt, der sie, ohne je zudringlich zu werden, gerne um sich sah.
Auch ihr altes möbliertes Zimmer am Waldfriedhof war ihr erhalten geblieben; sie hatte während ihrer dreimonatigen Abwesenheit die Miete weiter gezahlt, weil sie aus Erfahrung wußte, wie schwer die Zimmersuche in München war, besonders, wenn man in der Innenstadt leben und nicht allzuviel Geld für Miete ausgeben wollte.
Jetzt fragte sie sich manchmal, ob sich das überhaupt gelohnt hatte, oder ob es nicht besser gewesen wäre, anderswo ganz neu anzufangen. Nachdem sie so lange mit ihrer Mutter zusammen gewohnt hatte – was ihr durchaus nicht nur angenehm gewesen, sondern oft genug auch auf die Nerven gefallen war –, schien ihr der große, geschmacklos eingerichtete Raum noch ungemütlicher. Die Kissen und Decken, die sie selber zur Einrichtung beigesteuert hatte, hatten nicht viel ändern können. Ihre Wirtsleute, ein Pensionistenehepaar, erlaubten ihr nicht, die Möbel umzustellen, geschweige denn, das eine oder andere Stück zu ersetzen oder zu entfernen. So mußte sie denn weiterhin mit einer Elfenwiese im Mondschein und einer Zimmerlinde auf wackligem hochbeinigem Podest leben.
Früher hatte das Ilona nicht so sehr gestört wie heute. Nach der Trennung von Oswald Zinner hatte sie geglaubt, daß es nun nur noch aufwärts gehen könnte. Sie war bereit gewesen, jede Unbequemlichkeit ihrer Freiheit zuliebe in Kauf zu nehmen. Jetzt schien ihr diese Ungebundenheit gar nicht mehr so beglückend. Sie fühlte sich einsam und hatte Sehnsucht nach der kleinen Katja.
Zudem hatte ihre Mutterschaft Veränderungen in ihrem Leben bewirkt, mit denen sie nicht gerechnet hatte. Während ihrer Schwangerschaft hatte sie sich ganz bewußt von den jungen Männern zurückgezogen, die sich um sie bemüht hatten. Selbst der harmloseste Flirt war ihr in diesem Zustand unpassend erschienen. Jetzt mußte sie feststellen, daß sie nicht einfach an die Zeit davor anknüpfen konnte.
Jeder in ihrer Umgebung wußte, daß sie ein Kind bekommen hatte, und wer es noch nicht wußte, bekam es sehr schnell von einem lieben Kollegen oder einer Kollegin gesteckt, sobald er Interesse für sie zeigte.
Es war nicht so, daß man sie mied oder auf sie herabsah – die verheirateten Frauen, die selbst Kinder hatten, waren sogar netter zu ihr als früher –, aber sie war jetzt kein unbelastetes junges Mädchen mehr, und das ließ jeder sie, gewollt oder ungewollt, spüren. Man setzte voraus, daß es sie jedes Wochenende zu ihrem Kind zog, und niemand dachte mehr daran, sich mit ihr zu verabreden oder sie zum Essen oder einer Veranstaltung einzuladen. Tatsächlich war Ilona gar nicht darauf aus, neue Bekanntschaften zu schließen oder alte wieder aufzuwärmen; aber es irritierte sie, daß man ihr nicht einmal Gelegenheit gab, nein zu sagen.
Als Direktor Schneller ihr zwei Karten für ein Konzert der Münchner Philharmoniker schenkte, freute sie sich ehrlich.
»Sie werden sicher wissen, wen Sie mitnehmen können«, sagte er lächelnd.
Aber genau das wußte sie nicht.
Es gab einen Substituten, Otto Leer, einen eleganten jungen Mann, der sich einmal sehr für sie interessiert hatte. Inzwischen gab er sich, wie die anderen, wesentlich zurückhaltender, scherzte aber noch gern mit ihr und fand immer ein persönliches Wort. Vielleicht bildete er sich ein, dachte Ilona, daß sie es war, die sich jetzt nichts mehr aus einem Zusammensein machte. Früher waren sie manchmal miteinander ausgegangen, meist nach Schwabing, und hatten viel Spaß gehabt.
Sie entschloß sich, selber einen Vorstoß zu wagen.
Mittags in der Kantine hielt sie unauffällig nach ihm Ausschau und entdeckte ihn auch, als er sein Tablett von der Ausgabe her durch den großen künstlich beleuchteten Raum balancierte. Sie lächelte ihn an, er verstand den Wink sofort