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seiner weißen Mähne und der ausgeprägten Nase erinnerte er sie an Albert Einstein, wie sie ihn von Fotos her kannte.

      Fast gleichzeitig, ebenfalls mit Applaus empfangen, war auch Rudolf Kempe, der Dirigent, aufgetreten. Er hob den Taktstock, und die Klarinetten setzten ein.

      Vom ersten Ton an war Ilona gefangen. Als dann die warme Stimme des Violoncellos aufklang, mit seiner Trauer und Leidenschaft, fühlte sie sich geradezu persönlich betroffen. Die nachfolgende Zwiesprache zwischen dem Violoncello und der Soloflöte berührte sie so stark, daß sie ihren Bruder in den Arm kneifen mußte, um ihre Erregung abzureagieren. Bis zum jauchzenden Allegro-Vivo-Ausgang blieb sie vollkommen im Bann der Musik. Erst der stürmische Beifall brachte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie sprang auf, klatschte in die Hände und schrie »Bravo« wie die anderen

      »War das nicht wunder-wundervoll, Torsten?« fragte sie strahlend.

      Der Bruder lächelte auf sie herab. »Kann man wohl sagen.«

      Die Welt schien ihr verwandelt. Sie begriff, daß der grau getönte Saal, der ihr zuerst eher langweilig erschienen war, mit den gedämpften Tönen seiner Gobelins, die die Taten des Herkules darstellen, nicht farbiger sein durfte, weil er nur Hintergrund und Rahmen für die Kraft und Herrlichkeit der Musik sein sollte. Sie stand und schrie und klatschte, bis der Dirigent und die Solisten sich endgültig zurückgezogen hatten.

      Ein Mädchen mit leuchtendrotem Haar, das Programm und einen Kugelschreiber in der Hand, schoß hinter dem Künstler her. Sie kam von den Stehplätzen und hatte sich rücksichtslos gegen den Strom des nach draußen drängenden Publikums ihren Weg gebahnt.

      »Brandy«, schoß es Torsten durch den Kopf, und plötzlich war die Erinnerung an die Gefährtin seiner wilden Jahre so stark, als wenn sie sich erst eben getrennt hätten.

      »Was sagst du?« fragte Ilona, dicht hinter ihm.

      »Nichts. Gar nichts!«

      Er wehrte sich gegen den Wunsch zu warten, bis das rothaarige Mädchen zurückkam, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Selbst wenn sie es wirklich war, was er nicht für wahrscheinlich hielt, so hätte es doch keinen Sinn gehabt, an eine Vergangenheit anzuknüpfen, die er längst überwunden hatte.

      »Soll ich dir was zu trinken besorgen?« fragte er über die Schulter zurück

      »Das wäre schön«, erwiderte sie, »ich warte da vorne an der Glastür auf dich!«

      Sie waren in dem Zwischenraum mit dem Buffet angekommen, und während Torsten sich in das Gedränge stürzte, nicht gerade grob, aber doch die Ellbogen brauchend, um nicht beiseite geschoben zu werden, zog seine Schwester sich in einen stillen Winkel zurück, der sich in der Ecke neben dem französischen Fenster gebildet hatte, das zum Hof hinaus führte, jetzt aber geschlossen war.

      Ilona war noch ganz erfüllt von dem musikalischen Genuß, den sie nicht verarbeiten, sondern nur gefühlsmäßig nacherleben konnte. Er hatte sie in ein Stadium verschwommener Träumerei versetzt, das fast rauschartigen Charakter hatte.

      Als sie einen jungen Mann entdeckte, den sie von früher her kannte, paßte das so ganz in ihre gehobene Stimmung, daß sie seinen Gruß nicht abwartete, sondern einen Schritt auf ihn zu tat. »Hans Hess!« rief sie. »Das ist aber eine Überraschung!«

      »Kann man wohl sagen!« Er lachte sie an. »Ilona Miller! Und schöner denn je! Wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt?«

      Sie hatte keine Lust, ihm zwischen Tür und Angel von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. »Zu Hause«, sagte sie nur.

      »Ein Jammer, daß wir uns so aus den Augen verloren haben!«

      »Jetzt haben wir uns ja wiedergefunden!« rief sie. »Wie wär’s, wenn wir nach dem Konzert …«

      »Wenn’s nach mir ginge …« Hans Hess griff an seine Brille. » …. aber, um die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht allein, und ich weiß nicht …«

      Ilona hoffte nur, daß er ihr nicht ansah, wie maßlos enttäuscht sie war. »Aber Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen! Es war ja nur so eine Idee.«

      »Also dann.« Der junge Mann zog sich einen Schritt zurück. »Entschuldigen Sie mich, Ilona. Ich werde erwartet. Aber ich lasse von mir hören.«

      Ilona war heilfroh, daß in diesem Augenblick Torsten aus dem Gewühl auftauchte, in jeder Hand ein Glas mit Sekt.

      »Ja, tun Sie das, Hans«, sagte sie freundlich, obwohl sie keinen Augenblick dran glaubte, daß er sein Versprechen wahrmachen würde. Sie blickte ihm nach und sah, wie ein junges Mädchen in schillerndem langen Abendkleid sich mit besitzergreifender Gebärde bei ihm einhängte.

      »Was war denn das für ein komischer Vogel?« fragte Torsten.

      »Wieso komisch?«

      »Na ja, wer trägt denn heutzutage noch ’nen Smoking im Konzert?«

      »So? Hat er einen Smoking angehabt?« Ilona nahm das eine Glas entgegen.

      »Sag bloß, daß du das nicht gesehen hast.«

      »Ich habe nicht darauf geachtet.« Sie nahm einen Schluck und lächelte zu ihm auf. »Ist ja auch reichlich unwichtig, nicht?«

      »Das freut mich. Ich dachte schon, du hättest Bauchschmerzen wegen dem Knaben.«

      »Habe ich so ausgesehen?« fragte sie erschrocken.

      »Bißchen blaß um die Nase jedenfalls.«

      Sie nahm einen Schluck und drehte das Glas nachdenklich zwischen den Fingern. »Nicht wegen Hans Hess, so heißt er nämlich, der hat mir nie etwas bedeutet. Aber ich habe plötzlich gemerkt, daß man die Zeit nicht stoppen kann, indem man aussteigt. Verstehst du, was ich meine?«

      »So ungefähr.«

      »Während ich zu Hause war, hat für mich die Zeit stillgestanden«, versuchte sie ihm zu erklären, »aber in München hat sich alles inzwischen weitergedreht.«

      Er sah sie forschend an. »Und du glaubst, du hast den Anschluß verpaßt?«

      »Nein … vielleicht doch … so ähnlich …«

      »Dann nimm tüchtig Anlauf und spring nach!« riet er ihr gutmütig. »Du bist jung genug, du kannst es wagen.«

      »Ich bin zwanzig.«

      »Na und? Willst du etwa behaupten, daß das alt ist?«

      »Ich komme mir jedenfalls alt vor, uralt. So, als wenn alles Schöne schon hinter mir läge.«

      Er legte ihr die Hand unter das Kinn und sah, daß ihre Augen voller Tränen standen. »Nur nicht sentimental werden, Schwesterchen, ja?« mahnte er. »In einem halben Jahr sprechen wir uns wieder, ich wette, dann sieht die Welt schon anders für dich aus.«

      Sie glaubte ihm nicht, aber sie verzichtete doch darauf, ihm zu widersprechen, denn sie wußte, daß Männer es nicht lieben, mit traurigen Gedanken belastet zu werden, und Brüder schon gar nicht.

      Wäre Torsten Miller nicht bei jenem Konzertbesuch an Brandy erinnert worden, so hätte sie eine knappe Woche später, als sie ihm zufällig über den Weg lief, wohl kaum seine Aufmerksamkeit erregt; denn er hatte vorher monatelang nicht mehr an sie gedacht.

      Er hatte an jenem Tag mit einigen Kollegen von der Modem Advertising und einem wichtigen Kunden im Hochhausrestaurant des Arabella-Hauses zu Mittag gegessen. Es war lebhaft gefachsimpelt und nicht wenig getrunken worden, so daß die Herren, als sie am frühen Nachmittag in einem Lift nach unten fuhren, reichlich aufgekratzt waren.

      Als sie sich zum Essen niederließen, hatten sie noch den Fernblick bis zu den Alpen hin genießen können, und der Himmel war leuchtend blau, nur hie und da von zarten Föhnwölkchen verschleiert gewesen; inzwischen hatte sich der Wind gedreht, er kam jetzt aus Westen und hatte einen warmen, stetigen Frühsommerregen mitgebracht.

      Während Herbert Kramer, Prokurist der Advertising, den firmeneigenen Mercedes 300 vom Parkplatz holte, blieben

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