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soll ich den Jansenisten oder den Jesuiten beitreten!“ Er rückte seinen Stuhl. „Doch ich muss meines Wegs weiter! Gehabt Euch wohl!“

      Draussen klapperten die Hufe seines Pferdes. Adrian von Rimburg schaute dem biederen Bürgersmann nach.

      „Er sollte sich um seinen Kram kümmern, statt um so ernste Dinge wie die Gnadenwahl!“ sagte er.

      „Nun, Herr: sein Geschäft ist ernst genug!“

      „Was treibt er?“

      Der Wirt schwieg einen Augenblick. Dann sagte er:

      „Es ist der Scharfrichter von Auxerre!“

      Und mit einem Blick durch das Fenster:

      „Er biegt an der Wegecke ab. Er reitet nach dem Schloss Mont-Crocq. Das hat dort nichts Gutes zu bedeuten!“

      An dem schon fernen Henker galoppierte ein junger Knecht vorbei. Er führte ein Handpferd am losen Zügel. Er hielt vor der Herberge. Er stieg ab und verbeugte sich linkisch und treuherzig.

      „Der Herr Vizegraf bittet den Herrn Ritter unter sein Dach!“

      Adrian von Rimburg warf dem Burschen einen Beutel mit Silbermünzen vor die Füsse.

      „Der Kaufpreis für die beiden Gäule! Vollwichtige Livres von Tours!“ sagte er. Er schwang sich in den Sattel und jagte, das Handpferd rechts neben sich am Halfter, in der Richtung nach Paris davon, und hinter ihm verhallte der Ruf des Wirts.

      „Ihr habt zwei Rosse zum Wechseln, gnädiger Herr! Euch holt keiner ein!“

      6

      König Ludwig der Vierzehnte von Frankreich speiste öffentlich in seinem Schloss zu Versailles.

      Der Sonnenkönig sass allein in einem purpurdamastenen Lehnsessel an einem Tisch inmitten des Tafelsaals zwischen dem Jagdkabinett und seinem Arbeitszimmer. Mächtiges dunkles Gelock seiner erst vierzig Jahre umwallte ihm wie eine Löwenmähne bis weit über die Schultern das bartlose, mit Vorsatz vor den Augen der Menschheit in die Majestät eines olympischen Gottes gebannte Herrscherantlitz, auf dem ein unbändiger Wille zur Macht mit schrankenloser Sinnlichkeit sich zu einem satten Jenseits von Gut und Böse einte. Sein weisser Straussenfederhut, sein Elfenbeinstock und Seidenbandschuhpaar lagen auf dem Taburett neben ihm. Verschwenderische Goldstickerei verdeckte die Scharlachfarbe seines bis zu den Knien reichenden, mit goldener Schärpe gegürteten Schossrocks. Unter den hohen weissseidenen Strümpfen schimmerten die breiten Schnallenschuhe aus goldenem Leder und mit roten Absätzen.

      Der Oberstmarschall hatte dem König die goldene Schale mit lauem Orangenblütenwasser zum flüchtigen Eintauchen der Fingerspitzen, der Oberstkämmerer das Batisthandtuch zum Abtrocknen gereicht. Mit wichtiger Miene, unter der Last seiner dreissig Ahnen, hielt der Vorschneider sein Messer bereit. Der hochadelige Oberküchenmeister stand dahinter, gebieterisch den Saal überblickend wie ein Feldherr die Schlacht. In langer Reihe trugen die adeligen Cadets die Schüsseln heran und überreichten sie den bedienenden Kavalieren, blaublütige Kammerherren gaben hurtig den Wein im Goldpokal auf goldenem Tablett wie einen Löscheimer beim Brand von Hand zu Hand. Schwärme von Höflingen in Gold- und Silbergala huschten. Im Hintergrund nach dem Marmorhof hin drängten sich die Lakaien und Trabanten.

      Hausgarden von Versailles — aus den Adelskompanien der Musketiere, der Gendarmerie, der Ritter — säumten den Kaum gegen die Saalwände bin. Dort reihten sich die Glücklichen, die zuschauen durften, wie es dem Sonnenkönig schmeckte, und zwischen den silberweissen, purpurnen, apfelgrünen Fältelröcken der Damen und dem Tressenprunk der Kavaliere stand, in Hoftracht wie sie, in kurzem Schultermantel, bebänderter Jacke und Wadenstrümpfen, der Malteserherr Adrian von Rimburg und schaute zu, wie Ludwig der Vierzehnte den vierten Teller Suppe löffelte.

      Der Höfling, der ihn hineingeleitet, trug den vielbeneideten blauen, rotgefütterten Rock der auserwählten Sechzig, die jederzeit um den König weilen durften.

      „Verzieht hier, wenn es beliebt, bis der Herzog Philippus von Vendôme, an den Euer Empfehlungsschreiben lautet, das Schloss betritt! Ich werde Euch dann gleich dem Herrn Malteserprior der französischen Zunge melden!“ sprach er geschäftig und eilte davon. Adrian von Rimburg blieb und sah, wie der Sonnenkönig mit den Fingern ein Stück Fasan nach dem andern von der Schüssel nahm — nicht ohne die weiten Spitzenstulpen seiner Ärmel einzutauchen — es in den Händen hielt und die Keule benagte. Ein Rebhuhn erschien auf der Tafel. Ein grosser Teller mit Salat. Ein Hammelwürzfleisch. Ludwig der Vierzehnte liess von allem nichts übrig. Ehrfurchtsvolle Blicke der Zuschauer verfolgten in der tiefen Stille des Saals die vielen Gänge. Die Wohlgerüche unzähliger Essenzen brüteten über dem Diamantengeglitzer der Herzöge und Herzoginnen, Markgrafen und Markgräfinnen, Grossen Herren und ihrer Gemahlinnen. Aber durch die dicken Parfümwolken schlug doch zuweilen ein moderiger und übler Hauch ihrer seit den Kinderjahren nie gewaschenen Körper, deren gepuderte und geschminkte Gesichter überhaupt nicht, die Hände höchstens alle Wochen einmal mit einem Finkennäpfchen Wasser in Berührung kamen.

      Die Marschkolonne der adeligen Speisenträger hatte jetzt Ludwig dem Vierzehnten zwei grosse Scheiben Schinken herangebracht. Der Herrscher verzehrte auch sie und sah sich nach einer Ragoutschüssel um. Eben, als die Cadets mit Obst und Konfitüren liefen, drängte sich der Höfling, im rot gefütterten Ehrenkleid, durch die Dünste von Rosenöl und ungepflegter Haut der Hofgesellschaft und flüsterte Adrian von Rimburg zu:

      „Die leidigen Hugenottenhändel halten den Herrn Prior von Vendôme in Paris zurück! Es kann einige Stunden währen, bis Seine Gnaden hier einpassieren! Vielleicht lustwandelt Ihr inzwischen in den Gärten!“

      Unermesslich erstreckten sich die Zieranlagen von Versailles mit ihren Taxushecken und Terrassen, Grotten und Teichen, steinernem Göttergewimmel und silbernen Springbrunnensäulen vor den Augen des Ritters vom Rhein, winzig wie Kinderspielzeug erschienen ihm dagegen in der Erinnerung alle die werdenden Nachahmungen des Parks von Versailles, die er an so manchem deutschen Fürstenhof gesehen, und zugleich wie ein Sinnbild der Macht des vierzehnten Ludwig über die Seele so vieler deutscher Grossen.

      „Hier wohnt die Macht!“ schrien die Quadern des ungeheuren, im Vorjahr fertiggestellten Prunkschlosses von Versailles, das in seiner steinernen Majestät seinem Erbauer, dem Allerchristlichsten König, glich. Die Macht des einen Sonnenkönigs gegenüber dem Rattenkönig von viertausend Reichsfürsten, Reichsgrafen, Reichsständen, Reichsstädten, Reichsrittern jenseits des Rheins.

      „Die Macht der Waffen! Der gallischen Waffen!“ — blitzte es von den langen Stossdegenscheiden, flatterte es von den Schlapphutfedern der Edelleute der königlichen Haustruppen, an den Portalen des Palasts. Und diese Handvoll Adelskompanien war nur ein Gleichnis für die zahllosen Kriegsvölker Ludwigs des Vierzehnten in den Niederlanden und am Rhein. Es gab zur Zeit in Europa nur noch eine zweite ähnliche Welt in Waffen — ging es Adrian von Rimburg durch den Kopf —, das Aufgebot dreier Erdteile des Islam wider Wien. Wenn der eine. Heerbann von Westen, der andere von Osten der Kaiser bedrohte, dann wehe Wien! Dann war Wien verloren! — das sah ein Kriegsmann wie Adrian von Rimburg — und mit ihm das Heilige Römische Reich! . . . Helft Wien! Rettet Wien, das Bollwerk der Christenheit! Eine leidenschaftliche Ungeduld wetterleuchtete auf den gebräunten, spitzbärtigen Zügen des Maltesers, während er in dem Waffenhof vor dem Schloss zwischen den Marstallgebäuden auf und ab ging: ich muss bei dem König von Frankreich Gehör finden, ehe die Sendboten des Sultans den Empfangssaal betreten!

      Unwillkürlich musste er in seiner Erregung über einen Geck lächeln, der in Mitte einer Gruppe adeliger Stutzer von Versailles stand. Der kümmerliche Mensch trug Perlenringe in den Ohren, diamantenbesetzte Armbänder, schwarze Schönheitspflästerchen auf der Stirne. Sein flohbraunes Jäckchen war so kurz, dass sich darunter drei Handbreit sichtbar das rosa Spitzenhemd bauschte. Er schien so, als seien ihm die Hosen gerutscht. Aber er hatte gar keine Beinkleider an, sondern einen „Rheingraf“ — einen himmelblauen, weitschlotternden Hosenrock in Form eines Weiberkleids, der bis zu den Knien reichte, und dazu über den Schultern einen ärmellosen feuerfarbenen Mantel.

      Der Modenarr bemerkte den belustigten Blick des Ritters.

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