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zum Glück taucht da vor uns am Weg eine Herberge auf. Sie scheint dürftig. Doch für mein Pferd ist es hohe Zeit!“

      Er unterbrach sich. Er riss die Sporenstiefel aus dem Bügel, stemmte die Stulphandschuhe auf den Sattelknopf und warf sich mit einem mächtigen Schwung vom Pferde, das im selben Augenblid unter ihm zusammenbrach. Er landete auf den Beinen und stand vor dem am Boden sich wälzenden, wild mit den Hufen um sich keilenden Rappen. Auch Quinette betrachtete neben ihm mit starren Augen das Tier.

      „Ihr Pferd streckt sich . . .“murmelte sie. „ Es ist tot!“

      „Was nun?“

      Die Stimme des Fräulein von Giou war plötzlich schleppend, tonlos, so als wiederholte sie nur, was ihr ein Unsichtbarer ins Ohr flüsterte.

      „Verweilen Sie hier in der Herberge, Baron von Rimburg! Das Schloss meines Oheims, des Vizegrafen von Crocq, ist ganz nahe. Ich reite dorthin zurück und schicke Ihnen einen Knecht mit einem Handpferd. Er führt Sie hin. Seien Sie diese Nacht unser Gast. Bis morgen können Sie sich ein neues Pferd verschaffen und Ihre Reise fortsetzen!“

      Jetzt wurde ihr Gesichtsausdruck wieder belebt, ihre Stimme weich, ihr Blick warm von einer stillen Hoffnungsfreude.

      „Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab!“ sagte sie leise und hob sanft die dunklen Wimpern. Beide schauten sich in die Augen und lächelten. Ihre Hände fanden sich wie von selbst und verschlangen sich zu einem raschen Druck. Der Ritter von Rimburg sagte nur:

      „Ich werde kommen, Quinette!“

      Der grüne Junker galoppierte davon. Er wandte noch einmal an der Wegbiegung den schlanken Oberkörper im Sattel und schwenkte das Käppchen mit der Stossfeder und winkte zurück. Dann jagte er über Stock und Stein die ginstergelbe, zerklüftete Talschlucht entlang. Auf einer Basaltkuppe überragten die schiefergedeckten Spitzhüte von vier dicken runden Ecktürmen ein verwittertes graues Mauerviereck, das beim Nahen des jungen Schimmelreiters langsam, gähnend wie zwei Kiefer, seine Torflügel öffnete. Die Hufe der Stute hallten in der Wölbung. In dem düsteren Hof stand in einem Fledermausmäntelchen der buckelige Zwerg Eleazar, der Diener des Schwarzkünstlers Caretto, und grinste vertraulich und erwartungsvoll. Quinette warf ihm die Zügel zu. Sie lief atemlos eine steile steinerne Wendeltreppe hinauf und trat, ohne anzuklopfen, in ein Turmgemach. In ihm stand Theopompo Caretto, der Goldmacher, von der Halskrause bis zu den Schuhschnallen rabenschwarz, in seiner seidenen, spitzenbesetzten, spanisch-niederländischen Tracht. Aus dem kränklich-gelben, bartlosen Gesicht richteten sich über dem mystischen Mund und der mächtigen Nase die kleinen grauen Augen streng, lähmend durch ihren starren Blick, auf die junge Marquise im Männerkleid.

      „Hast du ausgeführt, was ich dir befohlen habe?“

      „Ja“, Quinette von Giou schaute dem Magier willenlos in die gläsern funkelnden Pupillen. Sie zitterte leise vor Angst am ganzen Körper.

      „Und es ist gelungen?“

      „Er kommt!“

      Die Seitentüre, die den Turm mit dem Mittelbau verband, öffnete sich leise ein wenig. Durch den Spalt lugten ein paar Männerköpfe herein. Sie trugen schwarze Larven vor den Gesichtern, nickten sich stumm zu, zogen sich zurück. Die Marquise von Giou schrak zusammen. Sie warf leidenschaftlich den Kopf ins Genick. Sie sprang mit geballten Fäusten vor den Geisterbedwörer hin.

      „Aber ich halte dich beim Wort!“ keuchte sie ihm in das majestätisch unbewegte Gesicht. „Er bleibt nur vierzehn Tage hier in Kavaliersgewahrsam . . .?“

      „Nur so lange, bis die türkische Gesandtschaft in Versailles am Ziel ihrer Sendung ist . . .“

      „. . . und zieht dann frei seines Wegs . . .?“

      „Ich habe es beim höchsten Stern des Alchymisten, dem Mars, geschworen“, sprach Don Theopompo Caretto feierlich, „und, da du eine Frau bist, auch bei des Mars allerliebstem Schatz im roten Rock und grünen Unterzeug, die da Frau Venus genannt wird: dem Ritter wird kein Haar gekrümmt!“

      „. . . und ich habe ihn vierzehn Tage für mich!“ Quinette faltete glücklich die Hände. Ein verklärter Blick der Dankbarkeit suchte den Himmel und dann in der Ferne die Herberge, in der sie Adrian von Rimburg wusste. Der Astrologe ging hinaus. Draussen auf der Treppe beugte er sich kichernd wie ein grosses schwarzes Gespenst zu dem Zwerg Eleazar nieder und flüsterte:

      „Der Grasaffe da drinnen weiss nicht, dass der Saturn, der alte Kinderfresser, so hoch über der Erzbuhlerin Venus steht, wie sein schwarzer Rabe über ihrem grünen Löwen. Was man bei dem Spottvogel Mars gelobt hat, da macht der gute alte Saturnus, der Vater aller Metalle, einen blauen Dunst und Schlacken vor. Solch einen Schwur braucht einer von der schwarzen Kunst — nach dem Bruder Georg aus Armenien — niemals nicht zu halten!“

      In der Herberge sass inzwischen der Ritter von Rimburg. Es war ausser ihm nur noch ein Gast in der Stube und hatte am gleichen Tisch wie er Platz genommen. Es war ein untersetzter Mann in mittleren Jahren, blondbärtig, mit einem freien und offenen Gesicht, gekleidet wie ein biederer Bürgersmann, den Geschäfte in die Nachbarschaft führten.

      Der Fremde hatte ein Gespräch über den Jansenismus angefangen. Das war nichts Ungewöhnliches in dieser Zeit, in der in ganz Frankreich alle Welt, von der blaublütigen Herzogin bis zu dem Dorfschäfer, leidenschaftlich die Lehre des verstorbenen Bischofs von Ypern, dass es dem Menschen vorherbestimmt sei, ob er einmal selig werde, verfocht und bestritt. So grübelte auch jetzt dieser einfache Bürgersmann über seinem Becher Landwein.

      „Wenn nach dem Kirchenvater Augustinus die Erbsünde von Geschlecht zu Geschlecht sich fortpflanzt und dem Menschen die eigene Kraft zum Guten fehlt, dass er nur durch Gottes Gnade erlöst werden kann . . .“

      „Verzeiht einen Augenblick!“ Der Ritter von Rimburg erhob sich und trat vor das Haus. Er spähte ungeduldig, ob noch nicht das Handpferd vom Schloss Crocq käme, an Stelle seines Rappen, der drüben mitten auf dem Weg in der Sonne alle vier Beine zum Himmel streckte. Aber es war noch nichts zu sehen, als der vierschrötige Herbergswirt, der von einer kopfschüttelnden Betrachtung des toten Gauls zurückkam. Sein rotes Gesicht schimmerte sehr ernst über der grünen Schürze.

      „Euer Gnaden sind mehr, als hochdero Rock anzeigt!“ sprach er gedämpft und ehrerbietig.

      „Ich bin nichts als ein Soldat von Fortüne!“

      „Seht den aufgetriebenen Leib des Pferds!“ der, besorgte Graukopf wandte sich dem Kadaver zu. „Es ist vergiftet. Irgendeine Hand hat heute morgen Mutterkorn in den Hafer gemengt. Ihr habt Feinde im Land, gnädiger Herr!“

      Der Ritter von Rimburg zuckte die Achseln.

      „Mag sein!“ sagte er. „Ich erwarte jeden Augenblick ein neues Pferd, um hinüber zu dem Vizegrafen Mont-Crocq auf sein Schloss zu reiten . . .“

      Der Wirt riss die Augen auf.

      „Zu dem Herrn Vizegrafen? Da müssen Euer Gnaden sich nach Versailles bequemen! Der Herr Vizegraf lebt am Hof. Er hat alle Schlösser und Güter an den Generalpächter Meister Yvernat verpfändet. Soweit Ihr seht, saugt Meister Yvernat das Land aus und treibt dem Bauern die letzte Rub aus dem Stall!“

      „Und das Schloss Crocq?“

      „Steht leer, Herr . . .“ Ein Zögern in der heiseren Kehle des Wirts. „Wenn nicht Meister Yvernat vielleicht für Gäste sorgt. Ich weiss es nicht. Ich will lieber den Bösen am Schwanz zupfen als mit Meister Yvernat ein Hühnchen pflücken. Er steckt mit allerhand Volk unter einer Decke und braucht sich um die Gesetze nicht zu kümmern. Denn es gibt weit und breit keine Parlamentsrichter und keinen Strassenmarschall, den er nicht bestochen hat!“

      In tiefem Nachdenken kehrte der Ritter von Rimburg in die Wirtsstube zurück. Dort zog ihn der freimütige, blondbärtige Bürgersmann alsbald von neuem in das Glaubensgespräch.

      „. . . wenn der Mensch keinen eigenen Willen hat, sich zwischen Bösem und Gutem zu entscheiden“, versetzte er eifrig, „so ist es ihm vorbestimmt, ob er sündigen wird oder nicht! Er ist nicht mehr verantwortlich für das, was

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