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Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Wo der Hund begraben liegt
Год выпуска 0
isbn 9788711461457
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
«Ein Schwejk hat immerhin eine Chance, daß er als letzter lacht. Was kommen muß, kommt auch ohne dich, und wenn es bei uns passiert, seid ihr schon längst vergessen! Sei bescheiden, und in einem Jahr wirst du hier dein eigenes Theater haben wie ich, du wirst für dein Volk hundertmal mehr tun können als jetzt!»
Wir tranken aus. Die Vorstellung mußte schon lange zu Ende sein, doch Vladlen erschien noch immer nicht.
«Was kannst du im Theater für dein Volk tun, lieber Oleg, wenn nicht einmal deine Schauspieler auf dich hören dürfen, wenn du sie anhältst, einen alten Freund zu begrüßen?»
«Vladlen wird kommen!» donnerte er.
Der Ober zitterte schon. Ein Cognac folgte dem anderen. Er schüttete sie in seine Kehle, als wären es Münzen, die eine lebenswichtige Fernsprechverbindung im Gange halten sollten. Das ganze noble Lokal schaute schockiert und gebannt zu. Ich sprach selbstverständlich so leise, wie unter solchen Umständen überhaupt möglich.
«Oleg, ich habe schon ein tausendjähriges Reich überlebt, es dauerte ganze sechs Jahre; eures wird sicher wesentlich länger dauern, aber irgendwer wird auch diesmal überleben, solange wir es schaffen, daß diese Gesellschaft ihr historisches Gedächtnis nicht verliert!»
Der Fahrer kam herein.
«Genosse Davydov hat sich erkältet, er mußte ins Hotel ...»
Als stürbe er auf der Bühne nach einem heroischen Duell, schloß mein Gegenüber die Augen und sank langsam von seinem Stuhl auf den Teppich. Drei Kellner und der Fahrer trugen ihn die steile Treppe hinab wie die vier Hauptleute den toten Hamlet.
Ich kam auf die Art, die mich mein Vater mühsam gelehrt hatte, auf eigenen Beinen nach Hause, fiel erst hinter der Wohnungstür um und schlief dann zwölf Stunden wie ein Klotz. Eine Woche später begann eine vernichtende Pressekampagne gegen mich. Auf der Neujahrskarte sehen Zet und ich jedoch aus wie nach einem erfolgreichen Jahr. Du, mein unverzichtbarer Dackel, im Barett, das uns Peter Striebeck, mein Fernseh-August August, zu Weihnachten aus Hamburg geschickt hatte, ähnelst einem Hunde-Märtyrer.
Dir war beschieden, es in der Tat zu werden.
9
Böhmen, Vorfrühling 1973
Unser Kampf um das Leben des Wellensittichs war bisher nur insoweit erfolgreich, als er noch am Leben war. Deine Fangzähne jedoch, mein vogelfeindlicher Dackel, zerrten weiter am Gitter, und es schien, als würde er immer und ewig nur zu den Zeiten deines Gassigehens ausfliegen können. In solchen Situationen kommt die Phantasie zu Wort: Wir entschlossen uns, ihm das Sprechen beizubringen.
Einerseits versprachen wir uns Freude davon, zum anderen Nutzen: Vielleicht beginnst du ihn dann zu schätzen? Die Aktion, «Pygmalion» genannt, wurde hauptsächlich von mir betrieben. Wegen Ausdauer und Konsequenz – so Zet über sich selbst – würde man sie nie bestrafen können. Ich redete mit der mir angeborenen Beharrlichkeit auf ihn ein. Zwei Sätze, die die Barriere des Sprechens öffnen sollten, wiederholte ich hauptsächlich in toten Zeiten, etwa während ich eine Telephonnummer wählte und auf Anschluß wartete. Oft wunderte sich der Angerufene, wenn er zuallererst von mir den Kampfruf meines Theater-August hörte:
«Das ist prrrrima!»
Daß unser Telephon abgehört wird, haben wir immer für selbstverständlich gehalten. In der Tschechoslowakei dachte sich das jeder, doch nicht einmal Spitzentechnik kann einen lebendigen Auswerter ersetzen. In acht Stunden Arbeitszeit kann er höchstens acht Stunden Aufzeichnungen abhören: Für «hot hearing» sind also drei Tagesschichten erforderlich. Deshalb ist nur ein Bruchteil der Bevölkerung abhörbar, und davon nur der Bruchteil eines Bruchteils heiß.
Bis zum Ende dieses Februars konnte ich annehmen, nicht dazuzugehören. Ich war schon fast der letzte, den des Doktor Husáks Macht noch nicht der Polizei freigegeben hatte. Meine Premieren und Veröffentlichungen erreichten gerade jetzt einen Kulminationspunkt. Das Tagebuch eines Konterrevolutionärs und das Weissbuch in Sachen Adam Juráček erschienen in einem Dutzend Sprachen. Für das Tagebuch bot man aus Hollywood meinem Verleger 500000 Dollar und eine Starbesetzung an, womit leider die Bedingung verknüpft war, gegen das Drehbuch keine Einwände zu erheben. Die Gefahr, daß unter meinem Namen ein plumper Kalter-Krieg-Schinken entstehen könnte, überwog sowohl die Habgier als auch die Neugier, wie Zet von Mia Farrow und ich von Dustin Hoffman dargestellt werden würden. Den Roman Weiss-Buch über den armen Studienrat, der es allein Kraft seines Willens schaffte, auf der Zimmerdecke spazierenzugehen, was man ihm mit geballter Staatsgewalt erst dann aus dem Kopf schlug, als bereits die gesamte Menschheit auf der Decke spazierte, plante das Zdf als aufwendigen Fernsehfilm. Bei der Uraufführung in Düsseldorf erlebte der Arme Mörder vierzig Vorhänge. Anfang März meldete sich telephonisch ein Produzent vom Broadway.
Unmittelbar danach besuchte ich unsere Sprengelärztin, um mir von ihr etwas gegen Aphthen verschreiben zu lassen. Ich bin ein Kind der Wirtschaftskrise und Kriegsunterernährung, und ich litt schon immer unter allen möglichen Erscheinungsformen von Vitaminmangel. Sie verschrieb mir irgend etwas zum Gurgeln. Ich gurgelte und erfüllte dabei einen Teil meiner Tagespflichten. Zu denen gehörte seit vorigem Herbst auch die Aufsicht bei der Renovierung unseres kleinen Hauses in Sázava, wobei ich mich mit Zet abwechselte. Als ob wir geahnt hätten, daß diese leichte, bei Frost unbeheizbare Villa aus dünnem Beton und Glas einmal unser letzter Stützpunkt in Böhmen sein würde.
Am Donnerstag, dem 1. März, übernahm Zet den Außendienst. Ich durfte in unserer kleinen Stadtwohnung auf dem Hradschin bleiben, korrigierte die englische Fassung des August, lehrte den Gefiederten sprechen und machte beim Telephonieren mit meinem liebsten Freund Alexander einen unschuldigen Witz. Auf die Frage, wie es mir gehe, antwortete ich, sehr gut, wenn man meine Maul- und Klauenseuche nicht rechne; deshalb sei Zet heute an meiner Statt aufs Land gefahren, damit ich das Vieh nicht anstecke.
Gegen fünf Uhr nachmittags ging leicht die Türglocke. Zet, die alle Formen des Alarms haßt, vom unschuldigen Teekessel bis zum für sie unheimlichen Wecker, hatte schon vor vielen Jahren in Nürnberg für bescheidene Devisen ein zartklingendes Engelsläuten gekauft. Es war angenehm, doch verwirrend wie ein Irrlicht im Moor, genauso zärtlich würde es auch den Teufel ankündigen.
Das Guckloch benutzte ich erst nach meiner ersten Verhaftung, jetzt öffnete ich noch in bürgerlicher Unschuld die Tür und starrte auf drei Männer in weißen Kitteln. Der Älteste stellte sich mir als Dr. Drašar vor, Haupthygieniker der Hauptstadt. Er erklärte mir, er müsse mich aufgrund seiner gesetzlichen Vollmacht untersuchen lassen, ob ich nicht Infektionsträger sei.
Es war das fünfte Jahre nach der Invasion, das Regime log wieder, daß sich die Balken bogen, und ich glaubte ihnen kein Wort. Mir lief es kalt den Rücken hinunter: Die Männer schienen aus dem Irrenhaus in Bohnice zu kommen. Ich kämpfte um Zeit, bat um die Ausweise. Statt mich zu packen, wühlten sie verwirrt in den Taschen, an sich ein beruhigendes Zeichen. Einzig Dr. Drašar fand ein derart zweifelhaftes Dokument, daß er schon wieder fast vertrauenswürdig wirkte: einen Kantinenausweis des Krankenhauses «Na Bulovce».
Dann sprach er noch die Worte «Maul- und Klauenseuche» aus, und mir ging ein Licht auf. Noch keine fünf Stunden waren seit meinem telephonischen Scherz vergangen. Wer ihn alarmiert habe, wollte ich wissen. Er sagte, die Meldung sei aus der Gemeinde Sázava gekommen, wo man wahrscheinlich um die Viehbestände fürchte. Jedenfalls sei er amtlich befugt, mich mitzunehmen, und ich hätte sicherlich soviel Verantwortungsgefühl, um freiwillig mitzukommen. An Sachen brauche ich nichts, es ginge ja bloß um einen Test, ich käme umgehend zurück.
Die Lüge dieses Gesundheitssheriffs enthüllte ich erst im Käfig. Es war die wenig bekannte Infektionsstation des Großspitals, deren Gitter und Panzerglas besonders gefährliche Bazillenträger vom Leben isolieren sollten. Die mir zugedachte Ansteckungsgefahr genügte zur Isolation ersten Grades. Zu der abgeschlossenen Einheit, bestehend aus Schlafzimmer, Vorzimmer, Bad und Wc, gehörte auch eine Leibschwester, die gleichzeitig für strenge Diätverpflegung und Sauberhaltung sorgte. Nach jedem Besuch bei ihren Patienten mußte sie sich offenbar einer Desinfektion unterziehen – jedenfalls