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Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Wo der Hund begraben liegt
Год выпуска 0
isbn 9788711461457
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Zur Morgenvisite kam höchstpersönlich der große Häuptling, Hauptepidemologe der Čssr, Professor Kredba. Die Einleitung klang hoffnungsvoll: Die menschliche Form der Maul- und Klauenseuche, deren ich verdächtigt war, würde mir größeren Ruhm einbringen als mein ganzes Œuvre; es handele sich um eine rein theoretische Krankheit, die bislang noch kein einziges Mal registriert wurde. Der Schluß war deprimierend: Wir müßten trotzdem hier bleiben. Warum? Die strenge Spielregel: Jeder Verdacht mußte lückenlos durch negative Laborversuche ausgeschlossen werden. Und wer hatte diesen so fragwürdigen Verdacht ausgesprochen? Die Spur verlor sich im Dickicht der Hygieneämter. Unser Speichel wurde irgendwelchen entfernt grasenden Kühen eingeimpft, und wir waren verurteilt zu warten, was mit ihnen geschähe.
Ein Luxusgefängnis ist nicht weniger Gefängnis, es kann um so unerträglicher sein. Der Traum des Häftlings – die Internierung mit einem geliebten Wesen – verwandelt sich rasch in einen Alptraum. Ohne den Sauerstoff der Freiheit erstickt auch die innigste Beziehung. Prag unter dem Fenster glich einer Fata Morgana. Wir teilten das sterile Aquarium vierundzwanzig Stunden täglich, gesund wie Fische – meine Aphthen waren längst verschwunden –, und waren inzwischen auch schon informiert, daß der einzige tschechische Aussätzige hier jahrelang vegetieren mußte, bevor er in einem geheimen sowjetischen Leprosorium aufgenommen worden war.
Nach einer Woche sprach uns der zunehmend grantiger werdende Professor plötzlich gesund. Offenbar wollte er seinen guten Namen nicht länger aufs Spiel setzen. Während des Abschieds wurde er dringend ans Telephon gerufen. Er zog es vor, nicht mehr zurückzukehren. Das Gesundheitsministerium verbot nämlich ausdrücklich unsere Entlassung. Allmählich verloren wir Humor und Sprache. Wir hörten auf, Würfel zu spielen, Kreuzworträtsel zu lösen, Radio zu hören, fast auch zu lesen. Zum ersten Mal im Leben nahm ich Schlaftabletten.
In der neunten Nacht hatte ich aus lauter Verzweiflung eine Idee. Am Morgen erstattete ich Meldung: In Sázava sollte am Samstag der alljährliche große Ball stattfinden, und da ich dort in der kritischen Zeit bei den Umbauverhandlungen mit etlichen Stadtfunktionären persönlich zusammengetroffen war, hielte ich es für meine Pflicht, präventiv zu melden, daß diese ein Gesundheitsrisiko darstellten.
Der erste Assistent begriff das sofort und hetzte blitzschnell den Kreishygieniker auf. Dem blieb nichts anderes übrig, als der Gemeinde zu erklären, es sei ein Gebot der Stunde, öffentliche Veranstaltungen abzusetzen, solange unsere Untersuchung nicht beendet sei. Es geschah, wie gehofft.
Zusammen mit der Glaswerkbelegschaft lehnten sich auch die Frauen der Funktionäre auf, die schon ihre Kleider nähen und sich beim Friseur hatten anmelden lassen. Am Samstag früh bekamen wir eines unserer besten Zeugnisse ans Bett gebracht:
«Der Verdacht, das Ehepaar J. M. und P. K. sei an Maul- und Klauenseuche erkrankt, hat sich nicht erhärtet, was durch einen Versuch am Tier als bewiesen gilt.»
Wir aßen in dem einzigen, dafür jedoch luxuriösen Prager China-Restaurant zu Mittag die würzigsten Speisen, fuhren nach Sázava, um den tanzhungrigen Freunden die frohe Botschaft zu verkünden, und dann ging es gleich zu dem guten Nachbarn, Dr. Pilař, um dich abzuholen, mein verdatterter Dackel. Du warst über unser so langes Verschwinden äußerst beleidigt. Zet versuchte, dir die Entschuldigung einzukraulen. Ich konnte mich nicht richtig freuen. Mir kam der Gedanke, daß sich jemand unserer persönlich angenommen hatte, den auch Phantasie trieb. Mich bedrückte deren Abartigkeit.
10
Böhmen, Sommer 1973
Lange schien es, als würdest du im Kampf um das Revier siegen, auf das sich der Dackelgeist richtet wie der des Menschen auf die Sterne. Was dem Menschen das Paradies, ist dem Dackel das Bett. Wehe dem, der sich eures Zitterns erbarmt und euch ein Eckchen überläßt. Nie mehr wird er euch daraus vertreiben. Ich war unerbittlich, doch kaum verließ ich das Haus, wurde Zets liebenswürdiges Herz weich. In Sázava, wo wir nach der Renovierung den ganzen Sommer verbrachten, verlorst du selbst den Kampf, als du nach dem ersten Regen auf das denkwürdige Kanapée in der Halle sprangst. Das Menetekel der schlammigen Feldwege bewirkte, daß Zet mir in diesem Punkt schweren Herzens nachgab.
Unsere immer häufigeren Aufenthalte auf dem Lande bereicherte die immer enger werdende Freundschaft mit dem Nachbarn, Dr. Jiří Pilař. Nachdem im Februar 1945 eine verirrte alliierte Bombe, für Dresden bestimmt, sein Prager Haus mit seinen Eltern darin ausgelöscht hatte, beendete die kommunistische Machtübernahme drei Jahre später seine Anwaltskarriere. Aus dem Sommerhäuschen am Ende von Sázava wurde die letzte Zuflucht. Als sich Anfang der Siebziger gerade dort seine geliebte Frau in einer Anwandlung von Schwermut das Leben nahm, schien auch ihm seine weitere Existenz sinnlos zu sein.
Reges Treiben in unserem Haus, das früher neun Monate im Jahre leer stand, riß ihn aus der Lethargie. Er konnte wieder nützlich sein, als Kenner, Berater und Helfer. Unsere illustren Gäste, deren Bücher er von früher bewunderte, liebten seine Bildung und Noblesse, mit der er, im hohen Alter und allein, seine Schicksalschläge zu meistern wußte.
Bald bat er sich aus, daß unser Zoo, wann immer wir nur kurz weg mußten, bei ihm hausen durfte. Dich hat er geradezu vergöttert, weil du seine Beete vor den allesfressenden Wildkaninchen schütztest, mein Rauhhaarwaldgendarm.
Die Pioniere der Macht hatten schon im Frühjahr die wichtigste Brücke gesprengt, die mich noch mit der anderen Welt verband. Ihre zwei Pfeiler waren meine beiden Verleger.
Eric Spiess vom Bärenreiter-Verlag in Kassel war einer der ersten Deutschen, die nach dem Ende des Kalten Krieges gen Osten losfuhren, diesmal jedoch, um die zerrissenen Fäden der europäischen Kultur wieder zusammenzuknüpfen. Von Natur eher philosophisch als kaufmännisch veranlagt, empfand er selber Freude an dem tschechischen Theater mit dessen Mischung von Elementarem und Unmittelbarem, Poetischem und Politischem, Witzigem und trotzdem Todernstem. Mit den ersten Übersetzungen meiner Stücke hat er wie ein Handelsreisender fast alle westdeutschen Bühnen besucht, er wurde der Pate ihres Erfolgs. Mit der Zeit avancierte er vom bloßen Vertreter des Werks zum Vertreter der existenziellen Interessen, sowohl meiner als auch anderer tschechischen Bühnenautoren.
Ähnlich der Luzerner Schwabe Jürgen Braunschweiger. Sein jegliche Konjunktur überdauerndes Interesse am «Prager Frühling» hat mich dazu gebracht, mein erstes Prosawerk zu schreiben; den romanartigen Erinnerungen Aus dem Tagebuch eines Konterrevolutionärs folgten drei Romane. Im stillen Dienst einer persönlichen Freundschaft hat er mit der Zeit im Westen Werke von Vaculík, Kliment, Klíma, Gruša und Kriseová herausgebracht, mit immer größeren Schwierigkeiten, wie vor allem die deutschsprachige Welt immer mehr den gescheiterten Reformversuch verkannte oder verdrängte.
Seine zierliche Frau, Liz, von uns allen Lízinka genannt, spielte dabei die Rolle einer modernen Taube Noahs. Sie hat uns unermüdlich auf unserem im Packeis treibenden Schiff besucht und von den Verhältnissen der übrigen Welt berichtet, von der hohen Politik bis zu den Niederungen von Mode und Klatsch. Sie war es auch, die mir einmal eine geräumige lederne Jagdtasche schenkte; ich rätselte lange darüber, wozu ich sie wohl benützen sollte. Bei meiner allerersten Festnahme packte ich alle Utensilien hinein, und sie wurde zu meinem wichtigsten Accessoir.
Als man jetzt allen dreien zur gleichen Zeit die Einreisevisa verweigerte, begann für mich der wirkliche Belagerungszustand. Die Ungesetzlichkeiten hatten ein solches Maß angenommen, daß ich mich genötigt sah, sie dem neuen Kulturminister Klusák ausführlich darzulegen. Er war der Schwiegersohn des Staatspräsidenten Svoboda. Ihm hatte ich, im Jahre 1949 das gleiche Coupé des Zuges aus Moskau teilend, in Ostpolen geholfen, eine Reihe schwerer Kuriersäcke vom Breitspurbahnsteig auf den europäischen zu schleppen. Jetzt hustete er auf meine Last. Nach dreimaligem Mahnen schickte ich den Brief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dank ihrer Korrespondenten