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Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Wo der Hund begraben liegt
Год выпуска 0
isbn 9788711461457
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Sommer 1973 endete damit, daß uns eines Nachts zu Hause eine heisere, fremde Stimme weckte.
«Jenko, rrraus aus den Federrrn! Pavle, rrran an die Arrrbeit! Das ist prrrima, prrrrima, prrrrrima!!»
Wir waren alle erschrocken, du wohl am meisten, mein sprachloser Dackel. Im Käfig plusterte sich unser Vogel. Heimlich hatte ihn auch Zet in die Kur genommen. Jetzt fand er die Sprache. Weil er eine ähnliche Stimme hatte wie der Schauspieler Taub, unser alter Freund, tauften wir ihn sofort Valtrr.
11
Böhmen, Herbst 1973
Das Sprachwunder veränderte die Verhältnisse in unserer Familie vollständig. Während deine vergeblichen Attacken gegen die Singvögel, deren dichtes Auffliegen dich schon immer verrückt machte, im allgemeinen andauerten, hatte unser Valtrr von der Nacht an, in der er zum ersten Male sprach, deinen mächtigen und andauernden Respekt erworben.
Die menschliche Sprache war für dich sicherlich Lautmalerei wie die deine für uns, nur aus ihrer Stärke und Farbe konntest du wohl entnehmen, was man von dir ungefähr wollte und wie deine Sache stand, ob wir freundlich schnurrten, unwirsch brummten oder böse bellten. Unsere Hände besiegelten den Stand der Beziehungen durch Streicheln, Kraulen oder Tätscheln. Der blaugelbe Vogel, der zwar in der Sprache der Herren redete, jedoch wie ein elektronischer Roboter, auf einem einzigen Ton, mußte dir wie ein besonders gefährliches Exemplar unserer Gattung vorkommen, vielleicht wie wiederum uns ein Geheimpolizist. Du konntest dir denken, er bespitzele dich während unserer Abwesenheit.
Die Birken vor dem Haus in Sázava waren über Nacht gelb meliert. Mit der Schreibmaschine mußte ich vom Rasen nach oben ziehen in mein kleines Zimmer mit dem blauen Teppich, der vom Fußboden über die Wände bis zur Decke reichte. Er wickelte mich in einen privaten Himmel ein, wie sich das so reizvoll die Architektin Helena ausgedacht hatte, eine Cousine Zets, die in den vergangenen Monaten mit ebenso einfachen wie fast bühnenwirksamen Einfällen unserem ehrwürdigen «Bauhaus» zu seinem fünfundvierzigsten Geburtstag ein zweites Leben einhauchte. Noch lieber schrieb ich in der Halle, wohin aus der Küche liebliche Düfte drangen. Dort war dein Hauptstandort, natürlich! Wenn jedoch ausnahmsweise Zet schriftstellerte und ich den Kochlöffel schwang, bliebst du auch bei ihr, mein ewig ungesättigter Dackel. Du wußtest, bei mir fällt nichts ab: Meine Sorgen um dein Rückgrat konnten keine Bettleraugen trösten.
Wir heizten schon den Kamin, den schönsten, den ich je irgendwo gesehen habe. Ihn hatte Helenas Mitschüler, der Architekt Pavel Bílek, entworfen und in diesem Frühjahr eigenhändig aufgebaut. Wer konnte ahnen, daß uns die beiden sieben Jahre später am Wiener Graben unser neues Heim samt neuem Kamin erbauen würden? Ach, die Refrains meines Lebens, sie nehmen kein Ende! Das Feuer loderte auf einem runden Bett inmitten der halbrunden Halle, unter einem riesigen weißen Betonzylinder, der so versteckt in der Decke verankert war, daß er in der Luft zu schweben schien; ein fast unsichtbares Stahlnetz hielt auch die wildeste Flamme sicher am Zügel. In einer derart passenden Umgebung beendete ich den Einakter Brand im Souterrain, in dem es um Brandstifter von Amts wegen geht. Bald sollten wir sie erleben.
Auf dem Höhepunkt seiner persönlichen Krise raffte sich der öffentlich vergewaltigte Ota Filip zu einer ehrenwerten Tat auf. Aus seiner Ostrauer Belagerung schmuggelte er einen Brief heraus, in dem er sich bei Ludvík Vaculík und mir entschuldigte. Er bestätigte darin ausdrücklich, daß gerade wir zwei für sein Versagen freundschaftliches Verständnis zeigten, während die Staatssicherheit ihn zu seinen Erfindungen gezwungen hatte. Für sie stellte der Brief, von dem sie hintenherum erfahren hatte, eine Gefahr dar: Ihre Obrigkeit konnte sie der Pfuscherei beschuldigen.
Zuerst nahmen sie Vaculík in die Mangel. Er und seine Frau wurden nachdrücklich aufgefordert, das Original – die Möglichkeit, originalgetreue Kopien anzufertigen, gab es damals in Prag nicht – freiwillig herauszurücken. Dann wurde deren Wohnung einer Hausdurchsuchung unterzogen, ebenso gründlich wie ergebnislos.
Am Sonntag, dem 7. Oktober, posierten wir unserem Freund Štěpán für unseren photographischen Neujahrsgruß 1974, frühzeitig und doch spät: Den Zustand unseres Lebens schien uns am ehesten steigendes Wasser zu versinnbildlichen, jedoch war der Fluß Sázava, in den wir zu diesem Zweck in Abendkleidung stiegen, schon verflucht kalt. Auf den Photos ist es an deiner verzweifelten Haltung zu sehen, mein schüttelfrostiger Dackel. Am Abend fuhren wir nach Prag und gleich zur «Goldenen Birne». Wir mußten uns dort zweifach wärmen.
Am Fluß, unterhalb des Abhangs, hundert Meter von uns entfernt, hatte rein zufällig mein älterer Cousin, mit dem ich von klein an aufgewachsen bin und den ich sehr mochte, sich ein Häuschen gebaut. Inzwischen war er Dozent der medizinischen Fakultät mit hervorragenden Arbeiten aus der Gastroenterologie. Er stand, ebenfalls Kommunist, jahrelang an der Spitze der Reformbemühungen in der Fakultät wie auch im Universitätskrankenhaus und war nach dem Einmarsch der Armeen logischerweise einer der ersten Kaltgestellten. An diesem Nachmittag teilte uns seine Frau und Mitarbeiterin mit, sie brächen die Beziehungen zu uns «vorläufig» ab. Daß sie sich zugunsten zukünftiger Patienten ihrer Urbindungen entledigten, konnte der Verstand verarbeiten, nicht jedoch das Herz. Es hat wehgetan und war nicht hinunterzuspülen.
Am Montag mittag, als man Vaculík nach einem weiteren Verhör mit dem Versprechen entlassen hatte, ihn bald wieder zu holen, hat er mich besucht. Auf vielen Zettelchen, die wir sofort in dem kleinen Hradschiner Kamin verbrannten – im Polizeireich sind Kamine nicht Luxus, sondern Dinge des täglichen Gebrauchs, mehr noch als Toiletten, weil sie nicht verstopfen –, hatten wir uns aufgeschrieben, wo wir den so sehr gesuchten Brief endgültig verstecken würden, den jetzt Martina, meine treue Freundin, provisorisch und ohne Kenntnis des Inhalts – das hat sie sich immer vorbehalten – verwahrte. Er hatte nicht nur den Wert der Wahrheit, sondern vielleicht sogar den eines Lebens: Er dokumentierte, daß Ota Filip niemals an Selbstmord gedacht hatte.
In unseren papierenen Dialog hinein läutete das Telephon. Jemand rief an, etwas brenne, dann war die Verbindung unterbrochen. Wegen meines flammigen Einakters hielt ich das für irgendeines Freundes dummen Witz. Erneutes Klingeln. Ich erkannte die Stimme unserer Nachbarin aus Sázava: Unser Haus brannte.
Als ich mit Zet am Garten vorfuhr, in dem es von Feuerwehrleuten und Polizisten nur so wimmelte, war schon alles vorbei. Das Sommerheim hatte uns die alte Mutter der Nachbarin gerettet, die aus Gewohnheit überprüfte, ob wir ordentlich abgeschlossen hatten. Sie verbrannte sich die Hand an der Klinke, die Tür war schon durchgeglüht. Das Feuer, das den Teppich im Korridor und im Treppenhaus bereits zerstört hatte, hatte sich noch nicht durch die Schwellen der Zimmer, der Küche und der Halle durchgefressen. Die Nachbarin selbst konnte es noch vor dem Eintreffen der Feuerwehr mit einer nassen Decke ersticken und so das Haus auch vor Wasser retten.
Anwesend waren eigenartigerweise nicht nur Kriminalbeamte aus der Kreisstadt, sondern auch die Prager. Sie präsentierten uns ihre Hypothese, das Feuer sei durch veraltete Elektroinstallationen entstanden, gingen aber schnell darüber hinweg, als der Techniker unseren Einwand bestätigte: Bei der kürzlich erfolgten Renovierung waren die ursprünglichen Leitungen durch brandneue, in den Mauern verlegte ersetzt worden. Prompt wechselten sie zur Theorie des Landstreichers über: Er sei durch das Fenster in die Speisekammer eingedrungen, wo er eine Flasche Wein umgestoßen habe; da er durch die starke Tür nicht weiter gekommen sei, habe er von außen das Fenster zum Korridor geöffnet und anscheinend aus Rache unbekanntes Zündmaterial hineingeworfen.
Auf unsere laienhafte Frage, warum denn keine Abdrücke genommen oder Hunde eingesetzt wurden, antworteten sie, die Retter hätten alle Spuren zerstört. Ohne Kommentar ließen sie meinen Hinweis auf eine wirklich rätselhafte Erscheinung: Die Scherben eines großen, frisch verglasten Theaterplakats aus Luzern, wo unlängst So eine Liebe bei den Musikfestwochen aufgeführt worden war, lagen nicht dort, wohin sie infolge des Brandes hätten hinfallen müssen, sondern mehr als einen Meter weiter entfernt an einer anderen Wand, an der vorher