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belehrte den Verblüfften, welche Ehre eine Mchat-Aufführung für die gesamte Tschechoslowakei darstelle und verlangte die Aufhebung der Verleumdung. Antonín Novotný, der blitzschnell kontaktierte Kpč-Generalsekretär, ordnete an, dem prominenten Fürsprecher umgehend zu entsprechen.

      Die Nachricht von dieser Intervention hielt das Prager Parteisekretariat jahrelang in nervösem Respekt vor meinen Beziehungen zur Sowjetunion. Ich beließ es dabei, obwohl sich gleich nach der ersten Generalprobe in Moskau das auch für mich unheimliche Rätsel rasch geklärt hatte: Die hervorragende Hauptdarstellerin küßte mich in den Kulissen voll Freude über den sich anbahnenden Erfolg und stellte sich vor: Golovko. Ihr drohte eine Rolle zu entgehen, die für sie wie geschaffen war, und so hatte sie eben ihren einflußreichen Gatten eingeschaltet.

      Nun spielte also das Mchat in Prag ein Stück, in dem auch Vladlen Davydov auftrat, ein alter Freund, der in der Dritten Schwester vierhundertmal agiert hatte, ehe Prag – ein ganzes Jahr nach der August-Invasion – endlich das Verbot durchsetzte. Im neuen Oberkommando des Warschauer Pakts hatte niemand mehr eine schauspielernde Ehefrau aufzuweisen, statt dessen bekleidete jetzt als neuer Mchat-Direktor Oleg Jefremov, ehemals Chef der berühmten Jungbühne «Sovremennik», den höchsten Rang im sowjetischen Theaterwesen. Das erste Mal nach 1968 kam er jetzt in meine Heimatstadt.

      Ich wäre gern in eine Aufführung gegangen, wie ich auch nach der Okkupation weiter russischen Wodka getrunken habe, den in den Restaurants jene Patrioten aufs Parkett gossen, die dann als erste umgefallen sind. Ich bin gegen jeden hysterischen Boykott – die ihn am eifrigsten ausrufen, kriechen noch eifriger zu Kreuze. Eintrittskarten gab es jetzt nur für solche, die Reue gezeigt hatten und nicht hingingen, um zu sehen, sondern um gesehen zu werden, wie bei den Mai-Umzügen mit kontrollierter Präsenz. Meist konnten sie nicht einmal Russisch und schliefen reihenweise wie die Schwalben auf den Telephonleitungen.

      Ich langweilte mich also in der «Viola» bei den jungen Poeten, die wieder ins Pubertäre zurückgedrängt wurden, und hoffte dabei, Havel oder Landovský würden auftauchen, damit das Leben wieder sinnvoll würde. In der Pause nickte mir vom Eingang her Jindra, der stadtbekannte Portier, zu:

      «Pavel, die Russen kommen Sie holen!»

      Doch sofort schwächte er die dramatische Mitteilung ab:

      «Aber der Herr kommt mir irgendwie bekannt vor ...»

      Kein Wunder. Es war der größere der beiden berühmten Moskauer Olegs, die in den sechziger Jahren sogar die im Erfolg schwimmenden tschechischen Jungfilmer mit dem grausam poetischen Film Leuchte, mein Stern, leuchte! über das Schicksal von Künstlern im Bürgerkrieg hingerissen hatten. Oleg Jefremov und Oleg Tabakov waren in jener Zeit als führende Köpfe des «Sovromennik» die Spitzenmänner des sowjetischen Theaters. Als sie Mitte der sechziger Jahre auf Tournee nach Prag kamen, brachten sie mir aus dem Flugzeug als Geschenk eben jenes Oma-Grammophon, aus dem du auf unserer ersten Neujahrskarte herausgekrochen kamst, mein damals frisch gebackener Dackel.

      Nun stand der ältere Oleg in seiner ganzen Größe an der kleinen Garderobe der «Viola», neben ihm Zet und noch zwei andere, höchst verlegene Menschen. Mit denen war er zu uns gekommen, hatte Zet aus dem Bett geholt und nicht eher Ruhe gegeben, bis sie mich aufgetrieben hatten. Die beiden anderen waren ein Fahrer und eine Dolmetscherin des tschechischen Kulturministeriums, das schon seit vier Jahren so tat, als ob ich nicht mehr lebte. Er umarmte mich und sagte mit knarrendem Baß:

      «Du weißt, daß ich die Panzer nicht geschickt habe. Wo können wir in Ruhe miteinander sprechen? Und etwas zu ...?»

      Mit dem Zeigefinger klopfte er durstig an seine Kehle. Die staatliche Limousine brachte uns ins «Olympia», mein Schicksalslokal. Den Sessel am ersten Tisch neben der verglasten Küche hatte mir einst mein Vater vermacht. Dort haben wir alle großen Familienereignisse gefeiert: Geburten, Hochzeiten, Begräbnisse. Auch das seine. Die Kellner erschraken. Sie waren es nicht mehr gewöhnt, daß hier jemand mit mir Russisch sprach.

      Ich bedauerte, daß ich Vladlen Davydov nicht sehen würde.

      «Warum nicht?»

      «Weil er sich sicher nicht traut.»

      «Warum sollte er sich nicht trauen?»

      «Weil er nicht Jefremov heißt!»

      «Aber Jefremov wird es ihm befehlen!»

      Herrisch schickte er die Dolmetscherin mit dem Fahrer ins Theater. Sie sollten Davydov herbringen, sobald er sich abgeschminkt habe. Ich stellte mir vor, was für einen Alarm die beiden schlagen würden.

      «Cognac?» fragte ich überflüssigerweise.

      «Einen doppelten!» sagte er, als er das Glas sah.

      Wir tranken in russischer Art auf ex, und schon winkte er der Bedienung nach einem zweiten.

      «Pavel, nimm dich zusammen!»

      «Wieso?»

      Wieder tranken wir aus.

      «Du sollst aufhören!»

      «Womit denn?»

      «Stell dich nicht dumm, das weißt du doch!»

      «Und du weißt ganz genau, um was es hier gegangen ist!»

      «Das weiß ich!»

      «Hier gab es keine Konterrevolution!»

      «Das weiß ich!»

      «Es war doch ein Versuch, den Sozialismus endlich bewohnbar zu machen, nachdem er gerade bei euch, Oleg, in einen totalitären Wahnsinn entartete, um dann, nach einem kurzen Tauwetter, im geist- und güterlosen Bürokratismus zu verkümmern!»

      «Das alles weiß ich selbst und besser!»

      Wir tranken aus. Zet schaute uns an, als ob wir wahnsinnig wären.

      «Was willst du also von mir, Oleg?»

      «Du sollst warten. Schreiben!»

      «Über was denn?»

      «Das ist gleichgültig, es gibt Tausende von Themen, in einem Jahr werde ich dich im Mchat spielen, wenn du nur aufhörst, dich wie ein beleidigter Junge zu benehmen!»

      «Und wie stellst du dir das vor, über was genau soll ich schreiben?»

      Wir tranken aus.

      «Ach», winkte er mit der Hand, groß wie eine Schaufel, «über alles, nur nicht über sie. Gogol und Tschechow haben auch nicht über den Zaren geschrieben, und jeder hat sie verstanden!»

      «Oleg, wir leben nicht in der Zeit eines müden Despotismus, verstehst du nicht, daß ich der Lüge beipflichten müßte?»

      «Dann pflichte ihr eben bei, einstweilen! Sei nicht so hochmütig! Es sind Eismänner an der Macht, Pavel, wer nicht auf gut russisch zu überwintern weiß, der wird erfrieren! Du lebst in einer Gefahrenzone, die Metropole wird dich zunichte machen, hast du denn keine Angst?»

      «Doch, die habe ich. Die größte Angst habe ich jedoch vor der eigenen Angst. Ich will mit meiner eigenen Seele in Frieden zu Ende leben!»

      «Spucken soll man auf deine Seele!» dröhnte sein Baß durch das ganze Lokal.

      Der bleiche Geschäftsführer trieb die Zwei-Mann-Kapelle, die gerade pausierte, auf das Podium zurück, einen lauten Csárdás zu spielen.

      «Mein Gott, Oleg, es ist doch auch für euch, auch für dich wichtig! Unser Reformversuch war und bleibt der einzige Weg, den eines Tages ihr gehen könntet, willst du, daß die letzten, die hier noch offen zu ihm stehen, ihn leugnen? Ach, Freund, ich habe nicht erwartet, daß du mich ermuntern würdest, aber warum willst du mich unbedingt entmutigen??»

      «Im Gegenteil! Ich will dir Mut einflößen, nicht den Märtyrer zu spielen, sondern dich demütig in den Dienst deines Volkes zu stellen, um wieder neue Schleichwege zu entdecken, für die ihr Tschechen weltberühmt geworden seid.»

      «Wenn du den Schwejk meinst, so wurde er schon längst ein Alibi für alle, die sich mit

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