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Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Wo der Hund begraben liegt
Год выпуска 0
isbn 9788711461457
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Auch die besten Freunde fragten mich verlegen, warum mir an diesem blöden Dienstrang so viel liege. Weil er meiner ist, sagte ich ihnen, einer meiner erdienten Bürgermale, und weil ich diese aufgeblähte Macht von Anfang an daran gewöhnen will, daß ich in dieser verlorenen Schlacht beabsichtige, zumindest meinen privaten Graben zu verteidigen und voll hinter jeder meiner Entscheidungen und meinem Wort zu stehen. Nach den trotzigen Mittagessen im Schriftstellerklub war dies mein zweiter wichtiger Schritt zu mir selbst in dieser sumpfigen Zeit.
Weihnachten nahte, und wir wollten wieder unter dem Weihnachtsbaum als Hauptgeschenk einen Hund finden. In Gedanken umrundeten Zet und ich den ganzen Hundeplaneten und gelangten abermals bei euch Dackeln an. Wie der Herr, so’s Gescherr, also auch der Köter. Uns lockte nach wie vor die eigensinnige Individualität und Treue, die Anspruch auf absolute Liebe erhebt. Irgendwer verwies uns an den Züchter Ingenieur Novák.
Zu der Zeit trugst du schon den stolzen Namen Edison Venor als Sohn der in der Zucht berühmten Pandora Venor, deren Großvater Dust 11. sogar dreimal Champion des Cacib war, dieses internationalen Hundeschönheitswettbewerbs, und väterlicherseits als Sohn des nicht weniger glorreichen Kasper von der Kettwigshöhe, des Nachkommen eines angesehenen Quartetts von Großeltern: Muck von der Dachsluft, Exe von der Hornchenbande, Batzel vom Falknerhaus und Daxi von der Forst-Brickwedde. Ein Hundeadel par excellence!
Der Glanz all dieser Titel fiel auch auf uns, als wir dich am 18. Dezember auf meinen alten, vom Vater ererbten Schreibtisch stellten. Sofort hast du auf die frische erste Seite meines Romans Die Henkerin gepinkelt, den ich dann neben dir dein ganzes Leben lang schreiben sollte. Als wir sie getrocknet hatten, kam der Photograph Štěpán, und wir stießen auf dich an. Nach der zweiten Flasche Sauvignon überkam uns die Lust, den Freunden in aller Welt zum neuen Jahr das in Böhmen traditionelle P. F. – pour féliciter – zu schicken, damit sie sehen konnten, wie wir den nationalen Polarwinter meisterten. Du paßtest glatt in den Trichter des uralten Grammophons, ein Geschenk des Moskauer Theaters «Sovremennik», als es seinen Autor noch lieben durfte.
Die Angewohnheit, jährlich eine photographische Nachricht über den Stand unseres gemeinsamen Lebens zu versenden, ist uns allen dreien geblieben. Daß sie zu den Stützpfeilern eines memoiromans werden sollten, wußten nicht einmal die Sterne.
5
Böhmen, Winter-Sommer 1972
Siebenmal schneller als der Mensch lebt angeblich der Hund, siebenmal intensiver war unsere Freude an dir. Noch führte uns dein zittriges Kriechen vom Tatort unweigerlich zu den Pfützen auf dem Teppich, noch durften wir dich schütteln und an der Nackenhaut anheben, von der du soviel Reserve hattest, daß zu zweimal hineingepaßt hättest, noch liebtest du Milch mit geschlagenem Eigelb, an der du ein Jahr später verachtungsvoll vorbeigehen wirst, von verwesenden Knochen angezogen, noch entdecktest du die Geheimnisse der Spiegel und Treppen, noch machtest du beim Pinkeln die Beine breit wie ein Hundefräulein, doch deine Gene meldeten schon die vielhundertjährige Erfahrung der Sippe.
Schon begannst du dich auf deiner Decke in konzentrischen Kreisen zum Schlaf zu legen, mit denen dein Urvater das Steppengras niedertrat. Schon bemühtest du dich, in unsere steinharten Holzpfosten mit den weichen Pfoten eine Höhle zu graben wie deine Urmutter, als sie in der Taiga der Frost überfiel. Schon zeigte sich deine Eigenwilligkeit und deine Empfindlichkeit für Beleidigungen, dein zwiespältiges Bedürfnis nach Freiheit und Abhängigkeit, was in deinen rätselhaften Vorfahren die unerbittlichen Kämpfe auf Leben und Tod hervorbrachten, die ihr bis heute in dunklen und unbekannten Labyrinthen der Erdlöcher mit schrecklichen Gegnern ohne die Hilfe der Herren führt.
Du wurdest plötzlich zur Attraktion unseres Heims. In der Rangordnung der Lebewesen stiegst du schnell zu den höchsten Säugetieren auf. Unsere Freunde, die nicht gedemütigte crème de la crème des tschechischen Geistes, nahmen dich unter sich auf, sie erkannten die sich entwickelnde Hundepersönlichkeit. An deinem ersten Silvester, als wir es nicht sahen, stellten sie dir die Gläser mit dem letzten Tropfen Sekt auf den Boden. Deine gierige Zunge leckte sie auf höchsten Glanz, dann hast du zwei Tage geschlafen und nie wieder Alkohol angerührt. Allein in dieser Hinsicht bliebst du ein eingeschworener Griesgram.
Du hast uns Licht gebracht in das Jahr, in dem endgültig das Dunkel ausbrach. Doktor Husák war möglicherweise im Jahre 1968, als er noch mit der Gloriole des Reformators Interviews in gutem Deutsch gab, aufrichtig überzeugt, daß die gepanzerte Normalisierung nicht das Ende der Reformen bedeute, sondern die konsequente Überwindung der blutigen fünfziger Jahre. Er selbst war um ein Haar dem Strick entgangen, an dem Rudolf Slánský gestorben war.
Beide gehörten zu jenen brillanten Intellektuellen, die, empört über die Unfähigkeit des Kapitalismus, die Welt von Kriegen und Armut zu befreien, und begeistert von der Ouvertüre des sowjetischen Versuchs, sich weltweit an die Stelle der Linken stellten. In den relativ aufgeklärten Verhältnissen der Vorkriegsrepublik mußten auch sie als Kommunisten die Regeln des demokratischen Spiels einhalten und wurden deshalb auch selbst respektiert. Die Repressionen hatten ihre gesetzlichen Grenzen, ließen sich leicht ertragen und bescherten den jungen Revolutionären das süße Gefühl des Märtyrertums.
Die sträfliche Naivität der westlichen Verbündeten, die unter dem Druck ihrer Pazifisten dem Nazi-Drachen mit dem Palmzweig entgegentraten und glaubten, ihn mit dem Bissen der Sudeten zu sättigen, entfesselte Krieg und Terror ohnegleichen. Die führenden tschechischen Kommunisten emigrierten entweder oder haben sich an der Seite der Demokraten an dem ungleichen Kampf gegen die Okkupanten beteiligt, der zumeist im Konzentrationslager oder auf dem Richtplatz endete. Die Masse der Mitglieder überlebte in der Masse der Bevölkerung für den üblichen Preis abgestufter Kollaboration.
Rudolf Slánský und seine Frau Josefa, bis heute «Špaček», der Spatz, genannt, verlebten die Kriegsjahre als Redakteure des Moskauer Rundfunksenders für die besetzte Tschechoslowakei. Sie zweifelten nicht daran, daß die Vorkriegsprozesse den Sowjetstaat vor der fünften Kolonne von Spionen und Verrätern gerettet hatten. Bald sollten sie darüber mehr wissen. Der Münchner Verrat und das allzulange Warten auf die zweite Front der Westalliierten bewirkten, daß nach dem Abzug der verbündeten Armeen aus der Tschechoslowakei in den ersten und letzten freien Wahlen die Linke gewann. Als die Kommunisten im Februar 1948 nach der unklugen Demission demokratischer Politiker die Macht gekonnt an sich rissen, war Rudolf Slánský bereits Generalsekretär der Partei, neben Gottwald der Mächtigste der Mächtigen. Wenn die Archive in Zukunft vielleicht einmal geöffnet werden, wird die Frage zu beantworten sein, in welchem Maße er selbst dazu verholfen hat, die hysterische Spionomanie zu entfesseln, mit deren Hilfe im frisch stalinisierten Mitteleuropa die innerparteilichen Machtkämpfe ausgetragen wurden. Sicher ist, daß er eines ihrer höchstgestellten Opfer wurde.
Am Vorabend des dritten Jahrestags der Machtübernahme war er zusammen mit seiner Frau, die zufälligerweise Geburtstag hatte, zu einem Staatsbankett geladen. Die führenden Genossen, die sie ihr Leben lang begleitet hatten, gratulierten ihr besonders herzlich. Von der Burg wurde das Paar in seiner Staatskarosse plötzlich von einem fremden Fahrer chauffiert. Die riesige Villa war ohne Strom – genau so, wie es später Jan Procházka in seinem Drehbuch Das Ohr beschreibt. In der dunklen Halle wurden sie von einem Zivilkommando überfallen. Als man die Frau mit der Pistole auf die Toilette drängte, bat sie: «Lassen Sie mich mit den Kindern sterben!»
Noch in der Wochenendhütte am Rande Prags, wo sie dann Rudolf junior und ihre kleine Tochter verschreckt fand, glaubte sie wochenlang, in den Händen imperialistischer Geheimdienste zu sein, welche die Regierung aller Werktätigen erpressen wollten. Die Wahrheit begriff sie erst, als sie mit den beiden Kindern in eine befestigte Herrschaftsvilla mitten im Herzen Böhmens überführt wurde. Der junge Rudi, der ein Vierteljahrhundert später in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen wird, ging viele Monate nicht zur Schule. Niemand wagte ihn zu vermissen. Für ihn war sein Vater wie vom Erdboden verschluckt.
Ein Jahr später, im Sommer, vergaß irgendein pflichtvergessener Wächter, die Zeitung zu verbrennen, in die ein schlampiger Metzger die Fleischlieferung eingewickelt hatte. Aus den blutgetränkten Seiten erfuhren sie die blutige