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Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Wo der Hund begraben liegt
Год выпуска 0
isbn 9788711461457
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Nachts traf ich sie dann in der «Viola» wieder, der berühmten Poesie-Weinstube, umgeben von Altersgenossen. Sie sprach mich von selbst an. Es dauerte recht lange, bis ich erkannte, daß sie, obwohl von allen umschwärmt, zu niemandem gehörte. Ich sprang über meinen Schatten und lud sie zu mir nach Hause ein. Beim ersten Mal blieb sie nur drei Tage. Mein Nachscheidungs-Appartement hatte vierzehn Quadratmeter. Als sie fortging, war es gemütlich wie eine Turnhalle.
In meinem Tagebuch eines Konterrevolutionärs, jener dreiundzwanzig Jahre dauernden Wanderung von Panzer zu Panzer, habe ich meinen schicksalhaften Lieben statt Namen Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge gegeben, keineswegs, um sie darauf zu reduzieren, sondern im Gegenteil, um ihre Dominanz in den einzelnen Akten meines Lebens noch stärker hervortreten zu lassen. Das bis heute schlanke Mädchen war damals das fünfte Jahr mit mir zusammen und bekam seltsamerweise von Anfang an den Buchstaben Z. War das nun Ausdruck einer vorübergehenden Müdigkeit und Skepsis, dauerte unser beider Kampf um die Freiheit ohne den anderen noch so lange, sie blieb schließlich Zet und wird es auch hier bleiben.
Von ihr bekam ich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre deinen Vorgänger. Er kam mit einer Schleife und einer Visitenkarte unter dem Weihnachtsbaum hervorgekrochen: Adam von der Schwarzen Mühle. Daß sich mir von ihm so wenig eingeprägt hat, ist vielleicht die Folge dessen, daß wir damals noch getrennt wohnten und andererseits lange gemeinsame Arbeitsreisen in die zu jener Zeit sich mehr und mehr öffnende Welt unternahmen. Dabei haben wir Adam so häufig bei einer Pflegerin untergebracht, bis wir es nicht mehr wagten, ihn ihrer Liebe zu entreißen. Doch wozu die Ausflüchte: Wir waren einfach noch nicht reif für euch Dackel.
Mit Zet führte ich die entscheidenden Auseinandersetzungen meines Lebens über Gott, Kaiser und Menschen. Das schliff uns beide. Sie verriet mir, wie sehr sie beim Schreiben meines Briefes an Novotný über meine Naivität entsetzt war. Für ihre Begriffe konnte kein normaler Mensch hoffen, in den unermeßlichen Sumpf Bewegung bringen zu können. Als dann jedoch zu Allerseelen 1969 die Falle der Grenzen zuklappte, kehrte sie ohne Zögern mit mir in den Käfig zurück, und ihre steigende Teilnahme an einem ebenso ungleichen wie unerläßlichen Kampf setzte sie schließlich jener Bedrohung aus, die den Namen Marcel Malkus tragen sollte.
Unser freier Fall dauerte, trotz steter Beschleunigung, immerhin zehn Jahre. Auch eine absolute Macht, die sich auf die Bajonette einer Großmacht stützt, benötigt viel Zeit, ehe sie den ganzen Organismus eines Staates und einer Gesellschaft durchdrungen hat. Der Prager Frühling blühte nicht von den Krokussen bis zu den Zwetschgen des Jahres 1968, sondern fast dreizehn Jahre, seit jener denkwürdigen Nacht, in der auf einer geheimen Sitzung des xx. Parteitags der sowjetischen Kommunisten Nikita Chruschtschow die Flasche öffnete, aus der der Dschin herausschoß. Jetzt ist er wieder drinnen. Er drängt sich dort mit dem Geist von Helsinki.
Der hinterhältige Schlag der verbrüderten Verbündeten, der keineswegs im Interesse des bedrohten Sozialismus geführt worden war, sondern im Interesse der bedrohten Stalinisten, lähmte Millionen Menschen, die gerade in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft mit der schlechteren Vergangenheit abgerechnet hatten, häufig genug mit ihrer eigenen. Ein Volk, das aufrichtig versucht hat, anständig zu werden, kann man nicht in einem Tag, in einem Monat, ja nicht einmal in einem Jahr gänzlich demoralisieren.
Deshalb durfte ich noch fünfzehn Monate nach dem Einmarsch durch Europa reisen. Eine der Stützen des Prager Frühlings, die sich später schnell auf die Seite von Dr. Husák schlug, nutzte sogar meine Theaterreisen zu geheimen Kontakten mit Ota Šik in der Schweiz. Sie garantierte ihm die Fortsetzung seiner Wirtschaftsreformen, wenn er zurückkehren würde. Ich weiß bis heute nicht, ob das Angebot ein Luftschloß war oder eine Falle. Umgekehrt freilich lag der Sinn dieser löchrigen Grenze darin, so viele der populären Volkstribunen wie möglich von selbst in die Emigration zu treiben. Erst als dem Regime aufging, daß sie fast alle blieben, während der Exodus Fachkräfte wegschwemmte, wurde sie über Nacht dichtgemacht.
Am Vorabend von Allerseelen 1969 sollte ich nach Finnland fliegen, wo soeben mein Tagebuch erschienen war. Als ich vor unserem Hause, unter dem riesigen, handgetriebenen S, das von dem Erbauer, Erzbischof von Selm, auch die Fürsten von Schwarzenberg übernehmen konnten, das Taxi besteigen wollte, liefen vom anderen Ende des Hradschinplatzes, wo die oberste Paßbehörde im Toskana-Palais residierte, zwei wild gestikulierende Herren auf mich zu. Einen Moment dachte ich, sie wollten in die Stadt mitgenommen werden, und machte schon den Mund auf, um ihnen zu erklären, daß ich in die Gegenrichtung, zum Flughafen, unterwegs sei. Sie jedoch fragten mich so höflich, wie es ihre Atemnot erlaubte:
«Würden Sie so nett sein und uns Ihren Reisepaß zur Aufbewahrung aushändigen? Er wurde einstweilen für ungültig erklärt ...!»
Trotzdem war es noch im Februar 1970 möglich, daß die tschechischen Schriftsteller unter dem Vorsitz Jaroslav Seiferts das Angebot des neuen Regimes, für die bloße Loyalitätserklärung und die Billigung der «Bruderhilfe» des Warschauer Paktes in ihrer Verbandstätigkeit fortfahren und sich des materiellen Füllhorns – des Literaturfonds – weiter bedienen zu dürfen, in geheimen Wahlen fast einstimmig ablehnten. Den aufgelösten Verband mußten dann Graphomanen mit einigen Lyrikern neu gründen, deren Scham nicht ausreichte, der Angst oder der Versuchung entgegenzutreten.
Und noch im Juli 1970 wurde ein Prozeß gegen das Haupt der Dogmatiker im Parlament, Vilém Nový, geführt, der mich und drei andere Männer des erfrorenen Frühlings beschuldigte, dem Studenten Jan Palach die Existenz einer kalten Flamme eingeredet und so seine Selbstverbrennung verschuldet zu haben. Die höheren Justizbehörden konnten einen so brennenden Fall noch nicht auf Eis legen, doch schickten sie bereits eine gehorsame Richterin, die die Klage abwies, als einer der Mitkläger, der leicht lenkbare olympische Läufer Emil Zátopek, vor kurzem noch eifriger Reformkommunist, sich plötzlich zu der Mutterpartei bekannte und den Angeklagten um Verzeihung bat. Wer nicht mehr laufen kann, kann immer noch mitschwimmen.
Doch spätestens am 21. April war jedem, der nicht die Absicht hatte, nachzugeben, auch der Preis klar, die Luxussteuer, die auf jeden Versuch, in der Wahrheit zu leben, erhoben wurde. An diesem Abend strahlte Jan Zelenkas Fernsehen eine schaurige Premiere aus. Die Sendung Zeugnis von der Seine wurde angeblich vom moralischen Teil der tschechoslowakischen Emigration in Frankreich als Dokument des ekelhaften Treibens und Schacherns der geschlagenen Reformer geliefert. Allein diese Konstruktion war eine Fanfare aller zukünftigen, grenzenlosen Schamlosigkeiten. Präsentiert wurden heimlich aufgenommene und nach Bedarf manipulierte Aufnahmen von Privatgesprächen des Literaturwissenschaftlers Václav Černýs mit dem Schriftsteller Jan Procházka. Dieser geniale Drehbuchautor, dessen bester Film Das Ohr gerade verboten worden war, versuchte, der Massenlüge in einer Art entgegenzutreten, die eines Don Quichotte würdig gewesen wäre. Tag und Nacht tippte er sein Protestschreiben ab, das er Verwandten, Freunden, Kollegen, Schauspielern, Kellnern in seinen Restaurants, Verkäufern, seinem Schneider, seinem Zahnarzt und schließlich Dutzenden unbekannter Leute zusandte.
Einundvierzig Jahre alt, ein Kerl wie ein Baum, Bauer von Herkunft und Charakter, setzte er für seine Ehre buchstäblich seine ganze körperliche und seelische Kraft ein. Im April noch war er kerngesund, im Sommer wurde er das erste Mal operiert, im Herbst ein zweites und drittes Mal, im Winter folgte die vierte Operation.
Die Verhaftungen begannen. Kontakt mit den Gefangenen war nur Ehepartnern erlaubt. Trotz Abneigung gegen einen solchen Akt beschlossen Zet und ich zu heiraten. Was der Mensch der entarteten Macht nicht alles verdankt! Und als sich abzeichnete, daß es bloß bei meinen Kindern aus meiner ersten Ehe bleiben sollte, beschlossen wir, uns einen neuen Hund zuzulegen.
3
Böhmen, Winter 1970/71
Wir heirateten Silvester 1970 in Karlsbad. Zet hatte die Prozedur auf ihren Mädchennamen bestellt. Unmittelbar vor der Hochzeit demaskierte ein Anonymer aus Prag den glücklichen Bräutigam. Er warnte die Behörden, daß