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wurden. Zweitens wurde ein klares Bekenntnis zum sozial-politischen Handeln abgelegt und dieses mit der Pflicht des Christen zur Nächstenliebe begründet. Drittens wurden die strukturellen Verwerfungen Indiens beklagt und wurde die Verpflichtung auf sich genommen, sich für gerechte Strukturen einzusetzen. Damit waren wichtige Eckpfeiler eines transformatorischen Missionsverständnisses vordefiniert. In Madras wurde deutlich, dass sich auch in Asien ein evangelikales Segment gebildet hatte, dessen Theologie radikaler Natur war. Es unterschied sich schon wenige Jahre nach Lausanne erheblich von der Theologie der Evangelikalen im Westen.

      Von Lausanne gelangten entscheidende Impulse auch nach Afrika. 45 der über 400 afrikanischen Delegierten in Lausanne versammelten sich während der Konferenz zu einem informellen Austausch und begannen mit den Vorbereitungen für einen afrikanischen Folgekongress. Der Lausanner Kongress hatte „die afrikanischen Teilnehmer darin bestärkt, die Evangelisation in Afrika voranzutreiben, aber diesmal durch Afrikaner, auf afrikanische Art und bezogen auf aktuelle Nöte, Fragen und Herausforderungen dieses Kontinents“ (Kapteina 2001, 112).

      Die in Lausanne angeregte afrikanische Konferenz fand 1976 als Pan African Christian Leadership Assembly in Nairobi statt. Im Zentrum der Konferenz stand die Suche nach der Bedeutung des Evangeliums für den afrikanischen Kontext. Die Teilnehmer „suchten primär nach Gegenwartsrelevanz der christlichen Verkündigung und konzentrierten sich daher mehr auf die Identitätsthematik des modernen Afrikaners. Sie wollten mit der Übersetzungsaufgabe der Theologie ernst machen und widmeten daher Themen kontextueller Theologie einen weiten Raum … [Es] fand eine erste theologische Einbeziehung der inneren und äußeren Umwelterfahrung des modernen Afrikaners in die Afrikanische Evangelikale Theologie statt“ (Kapteina 2001, 125–126).

      Nairobi war für die Evangelikalen Afrikas ein wichtiger Kongress. Er ermöglichte einen konstruktiven Austausch zwischen westlichen, afrikanischen und lateinamerikanischen Evangelikalen und man scheute auch den Dialog mit ökumenischen Theologen nicht. Die Anstiftung zur gesellschaftlichen Relevanz ging in Nairobi und auch bei späteren afrikanischen Kongressen zu wesentlichen Teilen von radikalen Theologen Lateinamerikas aus. Sie regten dazu an, eine auf Transformation ausgerichtete Missionspraxis zu entwickeln. So forderte Orlando Costas an einem der Folgekongresse, der South African Christian Leadership Assembly 1979 im südafrikanischen Pretoria: „Um Christus in unseren jeweiligen Situationen der Unterdrückung zu inkarnieren, muss die Kirche als Ganzes und durch ihre Mitglieder in diese Situationen eintauchen und für ihre Transformation arbeiten, denn Christus kam nicht in die Welt um die Dinge zu belassen wie sie waren, sondern um eine neue Lebensweise zu bringen“ (Adeyemo 1979, 6). Diese Forderung fiel in Afrika und in der Zwei-Drittel-Welt überhaupt auf fruchtbaren Boden.

       Der Westen

      Im Westen wurde den sozialen und gesellschaftlichen Fragen weniger Aufmerksamkeit geschenkt als in der Zwei-Drittel-Welt. Vor allem aber führten sie zu etlichen Kontroversen, die in den nächsten Jahren die evangelikale Bewegung beschäftigen sollten.

      Die weiteren Absätze sprechen sich für einen einfachen Lebensstil und für konkrete Nächstenliebe aus. Die Beschäftigung mit der sozialen Verantwortung in Lausanne hatte das soziale Gewissen der Evangelikalen im Westen nachhaltig wachgerüttelt. Der massive Reichtum des Westens wurde als Schuld und als missionarische Verpflichtung empfunden. Allerdings gehen ganze Passagen weit über das eigentliche Thema der Konferenz hinaus. In Abschnitt 7 über Gerechtigkeit und Politik heißt es:

      Armut und übermäßiger Wohlstand, Militarismus und Rüstungsindustrie und die ungerechte Verteilung von Kapitel, Land und Rohstoffen werden bestimmt von Macht und Ohnmacht. Ohne eine Veränderung der Machtverhältnisse durch strukturellen Wandel können diese Probleme nicht gelöst werden. Die christliche Kirche ist zusammen mit dem ganzen Rest der Gesellschaft unvermeidlich in politisches Geschehen mit einbezogen, welches ja die „Kunst des Zusammenlebens“ ausmacht. Diener Christi müssen Gottes Herrschaft mit ihrem politischen, sozialen und wirtschaftlichen Einsatz und in ihrer Liebe zum Nächsten zum Ausdruck bringen durch ihre Mitarbeit an politischen Prozessen.

      Noch nie war im Westen eine Konferenz mit so radikalen Ergebnissen zu Ende gegangen. Entsprechend unterschiedlich waren die Reaktionen auf die Londoner Verpflichtung: „Von den Teilnehmern wurde die Konferenz als historischer Wendepunkt im sozialen Bewusstsein der evangelikalen Bewegung gepriesen. Die Ergebnisse lösten jedoch bei der Leitung der Lausanner Bewegung nicht geringe Bestürzung aus“ (Berneburg 1997, 101). Vor allem der Mangel an Ausgleich zwischen evangelistischem und sozialem Dienst zugunsten des sozial-politischen Engagements stieß auf Ablehnung. Die sozialpolitische Schlagseite der Londoner Verpfichtung und die gegensätzlichen Reaktionen auf das Dokument ließen in der evangelikalen Bewegung eine Kluft in der Frage des Missionsverständnisses zu Tage treten:

      Der Vergleich zwischen Lateinamerika, Asien und Afrika einerseits und dem Westen anderseits zeigt, dass in den unmittelbar auf Lausanne folgenden Jahren die evangelikale Theologie in der Zwei-Drittel-Welt sich auf eine radikale Position zubewegte, während man im Westen dieser Entwicklung abwartend bis ablehnend gegenüberstand. Die radikalen Impulse von Lausanne hatten eine unumkehrbare Entwicklung innerhalb der evangelikalen Bewegung in Richtung einer vermehrten Beschäftigung mit sozial-politischen Fragen und deren Einbezug in die Missionstheorie in Gang gesetzt. (Hardmeier 2008, 43)

      Nach der Konsultation in Hoddesdon war klar, dass sich die evangelikale Bewegung um eine schnelle und gründliche Klärung ihres Missionsverständnisses bemühen musste.

       Pattaya (1980)

      Die erste Gelegenheit sich mit der brennenden Frage der Einordnung der sozialen Verantwortung in den Missionsauftrag zu befassen, hatte die evangelikale Bewegung am Weltevangelisationskongress in Pattaya, Thailand. Die Verantwortlichen des Kongresses erkannten die Zeichen der Zeit jedoch nicht und stürzten die evangelikale Bewegung damit in eine veritable Krise. In der Vorbereitungsphase des Kongresses wurde die soziale Frage bewusst ausgeklammert (Steuernagel 1988, 188–189) und strategische Überlegungen in den Mittelpunkt gerückt.

       Die Sondererklärung

      Die Vertreter eines ganzheitlichen Missionsverständnisses fühlten sich durch die Ausklammerung der sozialen Frage übergangen und ließen als Reaktion auf ihre Zurücksetzung eine Sondererklärung zirkulieren, die innerhalb eines Tages von einem Drittel der Teilnehmer unterzeichnet wurde. In der Erklärung wurde bemängelt, dass dem Umstand nicht genügend Rechnung getragen wurde, dass in der Lausanner Verpflichtung nebst der Evangelisation auch die politische und soziale Betätigung zur christlichen Pflicht gerechnet wurde:

      Es ist jedoch eine Tatsache, dass, abgesehen von einigen wenigen edlen und lobenswerten Bemühungen, das Lausanner Komitee für Weltevangelisation sich nicht ernsthaft mit den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fragestellungen in vielen Teilen der Welt beschäftigt hat, die ein großer Stein des Anstoßes für die Verkündigung des Evangeliums sind. Dies wird sehr deutlich hier in Pattaya. (Costas 1987, 15–16)

      Konkret wurde bemängelt, dass man sich zwar einigen sozialen Problemen annahm, aber nicht bereit schien, sich mit den strukturellen

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