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ansetzen und sie möglichst verhindern. Am Missionskongress in Wheaton 1983 wurde das Transformationskonzept in die evangelikale Missionstheorie eingebracht. Mission und Entwicklungshilfe sollten sich nicht länger nur auf Verkündigung und Hilfeleistungen beschränken, sondern auf die Umwandlung (Transformation) der Gesellschaft hinarbeiten und Strukturen verändern. Nicht mehr nur der einzelne Mensch in seiner Verlorenheit und in seiner sozialen Not stand im Fokus des missionarischen Geschehens, sondern die gesamte Gesellschaft.

      Während der Gedanke der Transformation in der Zwei-Drittel-Welt in der Folge immer stärker zum missionarischen Ziel avancierte, wurde diese Neuorientierung von den Evangelikalen im Westen mit Vorbehalten aufgenommen. Es wurde die Befürchtung geäußert, das historische Ziel der Mission – die Rettung von Menschen – könnte aus den Augen verloren werden. Und tatsächlich war nach Wheaton die Rettung von Seelen und der Aufbau der Kirche für viele Evangelikale nicht mehr das einzige Ziel der Mission. Der Missionsauftrag wurde um den Transformationsgedanken erweitert und dieser vor allem in den Ländern des Südens in der Praxis erprobt.

       Inkarnation

      Am Ende der 1980er Jahre wurde der Transformationsgedanke durch den Inkarnationsgedanken ergänzt. Am größten evangelikalen Missionskongress seit Lausanne, in Manila 1989, setzte sich die Überzeugung durch, dass Mission inkarnatorisch sein muss. Als Missionsbegründung wurde nicht mehr nur Mt 28 beigezogen, sondern es wurde früher angesetzt bei der Inkarnation (Menschwerdung) Christi. So wie Christus sich den Nöten der Menschen annahm und ihnen diente, müsse der missionarische Dienst in klarem Bezug zu den sozialen Nöten der Menschen bestehen. Es kam zu einer christologischen Begründung der Mission, die sich nicht nur auf das Kreuz und die Auferstehung berief, sondern das gesamte Leben Jesu als Modell der Mission begriff. Auf diese Weise bekam die evangelikale Mission eine ganzheitlichere Färbung, ohne dass die Priorität der Verkündung aufgegeben wurde. Im Manila-Manifest, dem Schlussdokument des Kongresses, heißt es:

      Die Evangelisation ist vorrangig, weil es uns im Sinn des Evangeliums in erster Linie darum geht, dass alle Menschen Gelegenheit erhalten, Jesus Christus als Herrn und Retter anzunehmen. Aber Jesus hat das Reich Gottes nicht nur verkündigt, sondern er hat die Ankunft des Reiches durch Werke der Barmherzigkeit und durch Vollmacht unter Beweis gestellt. Wir sind heute zu einem ähnlichen Miteinander von Wort und Tat aufgerufen … Unsere fortwährende Verpflichtung zu sozialem Handeln ist nicht eine Verwechslung des Reiches Gottes mit einer christianisierten Gesellschaft. Sie ist vielmehr eine Anerkennung der Tatsache, dass das biblische Evangelium unausweichlich soziale Folgerungen hat. Wahre Mission muss immer „inkarnatorisch“ sein. Darum müssen wir demütig Zugang suchen zu der Welt anderer Menschen, indem wir uns mit ihrer sozialen Wirklichkeit identifizieren, mit ihrer Trauer und ihrem Leid, mit ihrem Ringen um Gerechtigkeit gegen Unterdrückungsmächte. Dies kann nicht ohne persönliche Opfer geschehen. (Manila Manifest 1989, Abschnitt 2, Absatz 4)

      Ich werde die Entwicklung des Missionsverständnisses in der evangelikalen Bewegung in Kapitel 2 im Detail nachzeichnen. Für den Augenblick reicht es wenn wir feststellen, dass die veränderte Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu gewichtigen Veränderungen im evangelikalen Missionsverständnis geführt hat.

       global

      Die Globalisierung ist ein Phänomen mit nachhaltigen Auswirkungen auf das Missionsverständnis. Die globale Welt offenbart immer mehr soziale Verwerfungen, und durch die Medien flimmern sie in unsere Stuben. Der Klimawandel verändert das Denken der Menschen und verdüstert unsere Zukunftsperspektive. Das Bewusstsein steigt, dass wir uns einer Überbeanspruchung der Erde schuldig machen, die das Fortbestehen künftiger Generationen in Frage stellt. Und der exzessive Reichtum von einigen wenigen und die Armut eines großen Teils der Menschheit werden zunehmend als nicht hinnehmbar empfunden.

      Diese globalen Herausforderungen führen dazu, dass viele Christen nicht mehr zufrieden sind mit den traditionellen Antworten auf die Frage, wozu der Christ und die Kirche in der Welt sind. Sie suchen nach einem neuen Paradigma – einem neuen biblischen Verständnisrahmen – um die Aufgabe der Kirche zu definieren. Sie tun dies, weil sie erkennen, dass die alten Denkmuster und die herkömmlichen theologischen Positionen nicht mehr ausreichen. Im Westen ist ein neues Interesse an der Gesellschaftsrelevanz des Glaubens und der sozialethischen Aufgabe der Kirche entstanden. Diese neue Suche ist zu begrüßen. Wenn sich die Welt verändert, muss sich auch die Mission verändern, denn in der Mission geben Christen Antworten auf die Nöte der Welt. Sie weisen auf den Gott hin, dessen Heilswille nicht nur dem einzelnen Menschen gilt, sondern die ganze Schöpfung umfasst.

      Die in diesem Kapitel beschriebenen kulturellen, hermeneutischen, missiologischen und globalen Veränderungen haben dazu geführt, dass heute Mission zunehmend als Transformation verstanden wird. Transformation bedeutet, dass die Missionstätigkeit darauf zielt, den einzelnen Menschen und die gesamte ihn umgebende Lebenswirklichkeit umzuwandeln und in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes zu bringen.

      Wenn wir von einer transformationsorientierten Mission sprechen, meinen wir eine Mission, die persönliche, kulturelle, soziale, gesellschaftliche, politische und ökologische Elemente einschließt. Alle diese Bereiche sollen unter die gute Herrschaft Gottes kommen und seinem Heil zugeführt werden. Mission ist so verstanden nicht etwas, das einzelne Christen tun, wenn sie in einem fernen Land aus dem Flugzeug steigen. Mission beginnt schon früher bei der Aufgabe des einzelnen Christen in seiner Umgebung und mit dem Auftrag der lokalen Kirche in ihrer Stadt oder Region. Mission ist nicht ein geografischer Begriff, sondern findet immer und überall statt. Dieses Missionsverständnis wird auch als ganzheitlich bezeichnet. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Gott ganzheitliches Heil will und die Mission sich dieser Ganzheit verpflichten sollte.

      Damit ist auch die Frage nach der Identität und dem Auftrag der Kirche in ihrem Umfeld berührt. Wenn die Mission die soziale Verantwortung einschließt, wenn sie inkarnatorischen Charakter haben muss und zur Transformation drängt, gilt das auch für die Kirche in ihrem Umfeld. Mission ist dann nicht nur das, wofür die Kirche Personal oder Finanzen zur Verfügung stellt. Mission ist so gesehen nichts anderes als die Identität der Kirche selbst. Kirche ist Mission. Ihr Einsatz für gerechte Verhältnisse in der Welt, ihre dienende Zuwendung zu bedürftigen Menschen in ihrem Umfeld, das Gebet für die eigene Stadt oder das Dorf, die Verkündigung des Evangeliums auf verständliche Weise – all das ist ihre Mission. In einer postmodernen Gesellschaft ist dies die Kirche der Zukunft.

      Die Veränderungen, die ich in diesem Kapitel beschrieben habe zeigen an, dass in der evangelikalen Bewegung am Ende des 20. Jahrhunderts ein erweitertes Verständnis von Mission entstand. Dieses neue Verständnis wird Auswirkungen auf die missionarische Praxis, das Leben der Kirche und den einzelnen Christen haben. Die Stoßrichtung dieser Veränderung ist erstaunlich einheitlich. Es geht darum, dass die Kirche sich auf ihre missionarische Aufgabe besinnt und durch gesellschaftsrelevante Taten die Welt umwandelt. Mit diesem Buch will ich aufzeigen, wie die weltweite evangelikale Bewegung auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Missionsverständnis ist. Es geht um eine biblische Begründung des Auftrags der Kirche

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