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Kirche ist Mission. Roland Hardmeier
Читать онлайн.Название Kirche ist Mission
Год выпуска 0
isbn 9783862567577
Автор произведения Roland Hardmeier
Жанр Документальная литература
Серия Edition IGW
Издательство Bookwire
missiologisch
Die angedeuteten kulturellen und hermeneutischen Veränderungen, haben seit den 1960er Jahren zu einer veränderten evangelikalen Missionstheorie geführt. Diese Veränderung kann in den Stichworten Evangelisation, soziale Verantwortung, Transformation und Inkarnation zusammengefasst werden. Sie beschreiben Stadien einer unumkehrbaren Entwicklung, die Anstoß zu einem Missionsverständnis gegeben haben, das auf der gesamten Botschaft der Bibel beruht.
Evangelisation
Bis in die 1960er Jahre setzten die Evangelikalen Mission weitgehend mit Evangelisation gleich. Es gab zahlreiche soziale Tätigkeiten im Umfeld der Mission, aber dieser Einsatz wurde nicht als missionarische Verpflichtung verstanden, sondern der Pflicht der Nächstenliebe zugeordnet. Soziale Verantwortung wurde nicht in erster Linie als Aufgabe der Kirche und der Mission gesehen, sondern als individuelle Pflicht einzelner Christen.
Die Evangelisation wurde als die vorrangige Aufgabe der Kirche verstanden. Es gab noch keine theologische Integration der sozialen Verpflichtung in den Missionsauftrag. Man befand sich im Grunde genommen immer noch auf dem Terrain von Edinburgh, wo Mission als Verkündigung im Vordergrund stand. So sagte Billy Graham an einem Kongress über Evangelisation in Berlin 1966, dass die soziale Verantwortung unter anderem deshalb wichtig sei, weil sie eine Brücke zur Evangelisation bildet (Johnston 1984, 162–163). Die soziale Verantwortung besaß, wie diese Aussage von Billy Graham zeigt, zu jenem Zeitpunkt keine eigenständige missionarische Legitimation. Mission wurde als die verbale Verkündigung der Heilstatsache von Golgata und dem Ruf zum Glauben definiert und diese Aufgabe wurde als das einzige Ziel der Mission betrachtet.
Zweifellos war es wichtig, dass sich die Evangelikalen zur Evangelisation bekannten und darauf bestanden, dass das Heil einzig in Christus zu finden ist. In den ökumenischen Theologien war dieses Ziel zu jenem Zeitpunkt weitgehend aufgegeben worden, und den sozialen Aufgaben wurde vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Wenige Jahre vor Berlin hatte die ökumenische Bewegung eine Humanisierung und Politisierung des Heilsbegriffs eingeleitet. Von diesem Umstand her waren die Ängste der Evangelikalen vor der Preisgabe der Mission als Evangelisation verständlich. Die Veränderungen in der ökumenischen Missionstheologie und das Bewusstsein weltweiter sozialer Nöte blieben dennoch nicht ohne Auswirkungen auf die Evangelikalen und ihr Missionsverständnis.
Mitte der 1960er Jahre erwachte das soziale Gewissen der Evangelikalen wieder, das in der frühen evangelikalen Bewegung des 18. und 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle gespielt hatte. In jene Zeit fiel, zusammen mit großen evangelistischen Bemühungen, eine intensive soziale Tätigkeit der Evangelikalen (Tidball 1999, 261–267). Dabei spielten so bekannte Namen wie John Wesley, William Wilberforce, Charles Finney und Jonathan Edwards eine wichtige Rolle. Sie alle hatten ein traditionelles Evangelisationsverständnis, gleichzeitig war die soziale Betätigung, bis hin zum politischen Einsatz einzelner, ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Die soziale Tätigkeit kam auch auf struktureller Ebene zum Ausdruck. So hatte die Evangelische Allianz, die 1846 in London gegründet wurde, von Anfang an eine soziale Agenda. Sie wurde namentlich auch deshalb gegründet, um für das Recht auf Religionsfreiheit auch für die Angehörigen anderer Religionen einzutreten (Randall und Hilborn 2001, 45–70).
Mit dem Aufkommen des protestantischen Fundamentalismus in Nordamerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts zerbrach in der so genannten „großen Wende“ das Miteinander von Evangelisation und sozialer Aktion. Edinburgh lag nur einige Jahre zurück, aber die Situation hatte sich für die Kirche bereits verschlechtert. Vom Geist der Aufklärung beflügelt, begannen liberale Ideologien wie der Darwinismus und die Bibelkritik ihren Marsch durch die theologischen Institutionen. Die Evangelikalen mobilisierten im Kampf gegen den Liberalismus ihre Kräfte für die Verteidigung des Glaubens und die Selbsterhaltung. Eine zunehmend pessimistische Weltsicht als Folge des Ersten Weltkriegs verstärkte den Trend zum Rückzug aus der gesellschaftlichen Verantwortung. In der Folge konzentrierte man sich auf die Evangelisation als alleinige Aufgabe der Kirche. Man sah in der Welt ein sinkendes Schiff, aus dem die letzten Seelen zu retten waren – ein Bild, das auf den Evangelisten und Erweckungsprediger Dwight Moody zurückgeht und bis heute den Missionsgedanken der Evangelikalen prägt.
Soziale Verantwortung
In den 1970er Jahren versuchten die Evangelikalen an das sozialethische Erbe der frühen evangelikalen Bewegung anzuknüpfen. Am Lausanner Kongress für Weltevangelisation 1974 begann die moderne evangelikale Bewegung sich erstmals gründlich mit der sozialen Aufgabe zu befassen. Das Verhältnis zwischen Verkündigung und sozialer Verantwortung wurde in die missionstheologische Diskussion aufgenommen und die soziale Verantwortung im Schlussdokument des Kongresses, in der Lausanner Verpflichtung, wie folgt beschrieben (Artikel 5):
Wir bekräftigen, dass Gott zugleich der Schöpfer und Richter aller Menschen ist. Wir müssen deshalb seine Sorge um Gerechtigkeit und Versöhnung in der ganzen menschlichen Gesellschaft teilen. Sie zielt auf die Befreiung der Menschen von jeder Art von Unterdrückung. Da die Menschen nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, besitzt jedermann, ungeachtet seiner Rasse, Religion, Farbe, Kultur, Klasse, seines Geschlechts oder Alters, eine angeborene Würde. Darum soll er nicht ausgebeutet, sondern anerkannt und gefördert werden. Wir tun Buße für dieses unser Versäumnis und dafür, dass wir manchmal Evangelisation und soziale Verantwortung als sich gegenseitig ausschließend angesehen haben. Versöhnung zwischen Menschen ist nicht gleichzeitig Versöhnung mit Gott, soziale Aktion ist nicht Evangelisation, politische Befreiung ist nicht Heil. Dennoch bekräftigen wir, dass Evangelisation und soziale wie politische Betätigung gleichermaßen zu unserer Pflicht als Christen gehören. Denn beide sind notwendige Ausdrucksformen unserer Lehre von Gott und dem Menschen, unserer Liebe zum Nächsten und unserem Gehorsam gegenüber Jesus Christus. Die Botschaft des Heils schließt die Botschaft des Gerichts über jede Form der Entfremdung, Unterdrückung und Diskriminierung ein. Wir sollen uns nicht scheuen, Bosheit und Unrecht anzuprangern, wo immer sie existieren. Wenn Menschen Christus annehmen, kommen sie durch Wiedergeburt in sein Reich. Sie müssen versuchen, seine Gerechtigkeit nicht nur darzustellen, sondern sie inmitten einer ungerechten Welt auch auszubreiten. Das Heil, das wir für uns beanspruchen, soll uns in unserer gesamten persönlichen und sozialen Verantwortung verändern. Glaube ohne Werke ist tot.
Seit der Niederschrift dieses Artikels ist die soziale Verantwortung aus der evangelikalen Mission nicht mehr wegzudenken. Freilich geschah dies nicht ohne Widerspruch und unter heftigen Auseinandersetzungen. Die Frage nach der Einordnung der sozialen Verantwortung in den Missionsauftrag führte in der Folge zu beträchtlichen Spannungen in der evangelikalen Bewegung. Die späten 1970er Jahre waren durch offen geführte Kontroversen in dieser Frage geprägt, und erst Anfang der 1980er Jahre gelang es, sich auf einen Konsens zu verständigen.
Transformation
In den frühen 1980er Jahren gelangte das Thema der Transformation auf die Tagesliste der Evangelikalen. Unterdessen hatte sich der Konsens verfestigt, dass zur Aufgabe des Christen in der Welt die soziale Verantwortung gehört. Dies führte zur Frage, wie der sozialen Gerechtigkeit auf struktureller