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zu diskutieren. Mission ohne soziale Verantwortung war unter den Evangelikalen nicht mehr denkbar.

      Die Gute Nachricht besteht darin, dass Gott sein Königreich der Gerechtigkeit und des Friedens durch die Menschwerdung, den Dienst, den Sühnetod und die Auferstehung seines Sohnes Jesus Christus errichtet hat. Das Reich Gottes erfüllt das Ziel der Schöpfung Gottes, indem es der Menschheit und der ganzen Schöpfung Ganzheit verleiht. Im Reich Gottes erhalten die Menschen allein aus Gnade einen neuen Status vor Gott und den Menschen, eine neue Würde und einen neuen Wert als Töchter und Söhne, und sie werden bevollmächtigt durch seinen Geist, Haushalter der Schöpfung zu sein und sich in einer neuen Gemeinschaft gegenseitig zu dienen. Das Reich Gottes wird in einem neuen Himmel und einer neuen Erde seine Vollendung erst dann erfahren, wenn Jesus wiederkommt. Diejenigen, die materiell arm sind oder ohnmächtig und sich von dieser Guten Nachricht ansprechen lassen und darauf antworten, werden durch den Heiligen Geist bevollmächtigt, und ihnen wird von anderen Gliedern der Gemeinde des Reiches Gottes gedient werden, damit sie ihr ganzes Menschsein als Haushalter der Schöpfung Gottes erfahren und erleben. Die Nicht-Armen, die arm im Geiste werden, empfangen wahre Würde, die ihren falschen Stolz auf ihre Reichtümer ersetzt und sie befreit, wirklich menschlich werden zu können mit einer Leidenschaft für Gerechtigkeit für die Armen. Sie müssen sich auf die Kraft des Geistes Gottes verlassen, der sie befähigt, zu dienen statt zu kontrollieren. Sie kommen in eine neue Familie, die sie annimmt aufgrund dessen, was sie sind und nicht aufgrund irgendwelcher Leistungen, die sie erbracht haben – in materieller Hinsicht oder hinsichtlich ihres Status. Die Aufgabe der Evangelisation unter der Mehrheit der unerreichten Armen wird in erster Linie von denen ausgeführt werden, die selber arm sind, mit angemessener Unterstützung von wirtschaftlich Bessergestellten, die geistlich arm sind. (Samuel 1990, 151)

      Dieses Statement widerspiegelt das umfassende Missionsverständnis gut, wie es sich als Folge von Lausanne I entwickelte: Das Reich Gottes ist eine grundlegende theologische Kategorie für die Mission der Kirche. Die Menschen werden aus Gnade gerecht, aber es geht auch darum, dass sie gute Haushalter der Schöpfung Gottes sein können. Und die Armen spielen eine missiologische Schlüsselrolle.

      Seit Lausanne I sind die sozialen Nöte der Menschen eskaliert, und die Möglichkeiten, diesen Nöten zu begegnen, sind geringer geworden. Wenn wir die Menschen mit den Augen Jesu sehen, dann erfordert die Verkündigung und Veranschaulichung des ganzen Evangeliums, dass die evangelikalen Christen sich zusammentun und gemeinsam vorgehen, um

      • mit denjenigen Aspekten der Guten Nachricht zu beginnen, die einen direkten Bezug zu den Nöten und Hoffnungen der Menschen haben.

      • dafür zu sorgen, dass die den Menschen von Gott gegebene Kraft freigesetzt werden kann, damit sie ihre christliche Theologie und christlichen Werte innerhalb ihrer eigenen Kultur und ihrer Lebenszusammenhänge entwickeln können.

      • überall, wo es nur möglich ist, mit anderen Christen zusammenzuwirken, um die Weltevangelisation und das soziale Engagement weiterzubringen und voranzutreiben, ohne dabei die Einladung zu unterschlagen, dass wir Jesus folgen sollen.

      • teilzuhaben am prophetischen Dienst, der sich auf eine ordentliche Sozialanalyse der Zusammenhänge stützt, in denen die Gute Nachricht verkündet werden soll.

      • sich klarzumachen, dass die Quelle von einem Großteil des Geldes, das zur Weltevangelisation eingesetzt wird, dem exzessiven Reichtum der Ersten Welt entspringt, von dem wiederum ein Großteil aus Zinszahlungen der armen Länder stammt. Lassen Sie uns die Gelder nicht benutzen, um arme Menschen einzusperren, sie zu beschwichtigen oder zu frustrieren. Arbeiten Sie auf eine rasche Lösung des weltweiten Schuldenproblems hin, das manche christliche Beteiligung in der Entwicklungsarbeit zum Scheitern bringt.

      • deutlich zu machen, dass Gott eine gute Regierung gefällt, besonders wenn sie Flüchtlinge aufnimmt, und dass er Gericht hält über jene, die ständig das Böse belohnen, insbesondere diejenigen, die mit Gewalt die Hoffnungen der Menschen auf Frieden und Gerechtigkeit zunichte machen. (Samuel 1990, 151–152)

       Quo Vadis?

      Der Bericht des Social Concern Track bringt deutlich zum Ausdruck, dass das radikale Segment in der evangelikalen Bewegung unterdessen gut etabliert war. Aber nicht alle sprangen auf diesen Zug auf. In Manila wurde deutlich, dass sich die evangelikale Bewegung in mindestens zwei Lager geteilt hatte: Auf der einen Seite sind diejenigen, die sich der Welt zuwenden und die soziale Verantwortung in den Missionsauftrag integrieren mit dem Ziel der Transformation. Speerspitze dieses Lagers sind die radikalen Evangelikalen. Auf der anderen Seite sind jene, die am traditionellen Missionsverständnis festhalten und mehr auf Evangelisation und numerisches Wachstum der Kirche ausgerichtet sind. Diese beiden Lager sind in ihren Positionen nicht völlig miteinander zu vereinen. Sie sind sich aber darin eins, dass die Verkündigung des Evangeliums, seine Demonstration durch Taten der Barmherzigkeit und der Aufbau der Kirche evangelikale Kernaufgabe ist.

      Der Zwiespalt in der evangelikalen Bewegung zeigt sich am Manila Manifest, der Abschlusserklärung des Kongresses. Einerseits wird die Vorrangigkeit der Verkündigung herausgestrichen: „Die Evangelisation ist vorrangig, weil es uns im Sinn des Evangeliums in erster Linie darum geht, dass alle Menschen Gelegenheit erhalten, Jesus Christus als Herrn und Retter anzunehmen“ (Manila Manifest 1989, Abschnitt 2, Absatz 4). Anderseits wird im selben Absatz festgehalten: „Wahre Mission muss immer inkarnatorisch sein.“ Inkarnatorische Mission bedeutet, dass wir „demütig Zugang suchen zu der Welt anderer Menschen, indem wir uns mit ihrer sozialen Wirklichkeit identifizieren, mit ihrer Trauer und ihrem Leid, mit ihrem Ringen um Gerechtigkeit und gegen Unterdrückungsmächte“ (ebd.). Doch gerade an diesem Punkt tat man sich schwer. Kurz vor dem Kongress hatte sich das chinesische Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens ereignet, was die Teilnahme chinesischer Christen am Kongress verunmöglichte. Leighton Ford (1990, 303) bedauerte diesen Umstand in seiner Eröffnungsrede zwar – verurteilt wurde das Massaker aber nicht. Auch am Ende des Kongresses erfolgte keine Reaktion, obwohl man sich im Manila Manifest (Abschnitt 1, Absatz 9) dazu verpflichtete, Unterdrückung zu verurteilen.

      Manila brachte einen bemerkenswerten Prozess zum Abschluss. Es war unbestritten, dass Mission die soziale Verantwortung einschließt und durch Wort und Tat geschehen muss. Dieser Standpunkt ist von der evangelikalen Bewegung seit Manila nicht mehr hinterfragt worden. Andere Punkte blieben umstritten. Mission als Transformation hatte sich in Wheaton durchsetzen können, aber es war eine offene Frage, ob die dort gelegte Grundlage reichen würde, um die evangelikale Mission auf transformatorischen Kurs zu bringen. Radikale Elemente wie die prophetische Verwerfung von Ungerechtigkeit waren diskutiert, in der Praxis aber noch nicht erprobt worden. Und immer noch gab es eine beträchtliche Zahl von hauptsächlich westlichen Evangelikalen, welche die Weltzugewandheit der evangelikalen Mission als Gefahr sahen und lieber zur traditionellen Mission zurückgekehrt wären. Nach Manila war die Frage offen, wohin die Mission der weltweiten evangelikalen Bewegung sich entwickeln würde.

       Manila bis Gegenwart

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