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«Schweizer Methode» zur Einführung des Korporatismus ein, die in Opposition zum faschistischen Korporatismus Italiens stehen sollte. Sein Standpunkt: «Der Staat soll den Korporationen ihr Eigenleben lassen und sich darauf beschränken, nur in aussergewöhnlichen Fällen schlichtend einzugreifen».[41] Anfangs der Dreissigerjahre schossen in der Westschweiz unter der Bezeichnung «Les amis de la Corporation» entsprechende Fördervereine und -verbände wie Pilze aus dem Boden.

      Der katholische Ursprung der korporatistischen Idee konnte die Calvinisten nicht davon abhalten, ebenfalls entsprechende Organisationen aufzubauen. So entstand gegen Ende der 1920er bis Ende des Zweiten Weltkriegs in Genf ein komplexes Netz von Berufsverbänden und Dachorganisationen, die durch wiederholte Namensänderungen ein für Aussenstehende schwer überschaubares Gefüge bildeten.

      Zwischen 1926 und 1930 wurden in Genf fünf Korporationen gegründet. 1932 konstituierte sich die Dachorganisation «Fédération genevoise des corporations» mit dem Ziel, die korporatistische Doktrin geschlossen und nachhaltig umzusetzen. 1938 zählten die entsprechenden Berufsorganisationen des Kantons bereits 13 250 Mitglieder, 1 150 Unternehmer eingeschlossen. Die «Fédération genevoise des corporations» löste sich 1946 auf; ihr Arbeitgeberflügel wirkt indessen bis heute weiter und nennt sich «Fédération des entreprises romandes Genève». Parallel dazu entwickelte sich aus dem 1928 gegründeten Arbeitgeberverband die «Groupe patronal interprofessionel», die sich später mit dem christlich orientierten Gewerkschaftsverband «Groupe des syndicats chrétiens de Genève» unter der Neubezeichnung «Fédération des Syndicats Patronaux (FSP)» zusammenschloss. Diese verwaltete verschiedene soziale Institutionen und machte sich vor allem in der Unterstützung der einzelnen Berufsverbände beim Aushandeln von Rahmenverträgen mit den Gewerkschaften stark.[42]

      Im Waadtland ging der Korporatismus eigene Wege, die vom jungen Rechtsanwalt Marcel Regamey erschlossen wurden. Sein Modell sah vier kantonale Kammern vor: eine für die Landwirtschaft und den Weinbau, die zweite für Handwerk und Handel, die dritte für die Industrie und eine weitere für Freiberufliche. «Die vier vereinigten Kammern bilden die Staaten der Waadt», hielt Regamey in seiner Postille Ordre et Tradition fest.[43] In der Folge des Arbeitsfriedens vereinten sich die Waadtländer Arbeitgeberorganisationen im Oktober 1940 zu den «Groupements patronaux de la Fédération vaudoise des corporations».

      Eine wichtige korporatistische Rolle spielte auf nationaler Ebene der schon 1880 formell als Gewerbeverein ins Leben gerufene «Schweizerische Gewerbeverband». Nach Ende des Ersten Weltkriegs brachte sich diese Organisation bis 1942 regelmässig auf Bundesebene ein. Jakob Scheidegger, ein von 1897 bis 1915 als Präsident des Gewerbevereins tätiger Berner Schuhfabrikant, zeigte sich im Dialog mit den Arbeiterorganisationen noch kompromissbereit und förderte ein Kranken- und Unfallversicherungsgesetz. Sein Nachfolger Hans Tschumi war in sozialpolitischen Fragen hingegen ziemlich unnachgiebig. Ein definitiver Kurswechsel erfolgte 1943 unter dem Präsidium von Paul Gysler. Der Verband zeigte sich von seiner strikt freisinnigen Seite und verzichtete fortan auf staatliche Beihilfe.

      Die korporatistischen Bemühungen der Verbände, auch auf Bundesebene eingreifen zu können, blieben nicht ohne Früchte. 1933 brachte der freisinnige Bundesrat Edmund Schulthess, Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, in einem Exposé seine Ansichten zur Rolle der Verbände zur Sprache: «Vielleicht wäre es auch geboten, die Berufsverbände neben den Kantonen als Mitwirkende in der Bundesverfassung zu nennen. Immer zahlreicher werden die Postulate, welche eine korporative Eingliederung dieser Verbände in das System der staatlichen Verwaltung fordern. Schon anlässlich der Diskussion des Art. 34ter spielte die Frage der Bildung von Berufsgenossenschaften und die Übertragung von öffentlich-rechtlichen Funktionen an diese eine nicht unerhebliche Rolle. Seit dem Krieg und speziell seit Einführung des faschistischen Regimes in Italien wurde der Gedanke erneut lebhaft propagiert. «[…] Besonders in Zeiten der Krisis ist ja die in der Verfassung nicht vorgesehene Bildung von Zwangssyndikaten unumgänglich und solche Zwangsorganisationen können mit unter das Corporationen- oder Berufsverbandsystem gerechnet werden.»[44]

      In den 1930er Jahren überbordeten in der Westschweiz entsprechende Berufsverbände unter der Bezeichnung «Les amis de la corporation», die den Untergang der Korporationen jedoch nicht aufzuhalten vermochten. Ein letzter Versuch, eine korporatistische Ordnung in der Schweiz zu etablieren, unternahm 1941 der Berner Architekt Friedrich Stalder. Mit Unterstützung von Oscar de Chastonay, einem konservativen Walliser Grossrat, Gonzague de Reynold und der «Ligue vaudoise» lancierte er eine Initiative, um die Macht des Bundesrates zu stärken, die Kantone durch die Einrichtung einer «Tagsatzung» vertreten zu lassen und den Nationalrat durch eine Handwerkskammer zu ersetzen, die auf nationaler Ebene alle Berufsverbände paritätisch vertreten sollte. Stalder brachte nur einen Fünftel der für die Initiative erforderlichen Unterschriften zusammen. Das klägliche Scheitern dieser Initiative liess die letzten Hoffnungen der Korporatisten schwinden.

      Mit der heute als Public Affairs bezeichneten Politikkontaktarbeit übten immer mehr korporatistische Organisationen einen strategischen und kommunikativen Einfluss auf die politischen Entscheidungsprozesse der Schweiz aus. Initianten entsprechender Massnahmen waren zumeist auch führende Repräsentanten der nach dem Ersten Weltkrieg entstandenen Erneuerungsbewegungen, die im Zusammenhang mit der Ablehnung der Volksinitiative zur Totalrevision der Bundesverfassung im September 1935 einen gesellschaftlich starken Auftrieb hatten, weil sie ihre vermeintlichen politischen und wirtschaftlichen Problemlösungen populistisch zu kommunizierten wussten. Als publikumswirksame Massnahme erwiesen sich auch die von zahlreichen Akteuren organisierten Vortragsreihen und Rhetorikkurse in öffentlichen Lokalen. In der vergleichsweise noch schwach mediatisierten Gesellschaft wurden diese Veranstaltungen rege besucht und übten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf soziale Prozesse aus.

      Als manipulative und wirkungsvolle Multiplikatorin wirkte nach 1917 die vom Publizisten Samuel Haas initiierte national-bürgerliche «Schweizer Mittelpresse (SMP)». Sie wurde als Konkurrenz der seit 1885 bestehenden «Schweizerischen Depeschenagentur (SDA)» gegründet. In den Dreissigerjahren liebäugelte diese Presseagentur sowohl in personeller wie in inhaltlicher Hinsicht mit faschistischen bzw. nationalsozialistischen Strömungen. Um 1933, zur Zeit des Frontenfrühlings, stand sie dem «Bund für Volk und Heimat» besonders nahe. Nach 1938 verbreitete die SMP rund 250 antisowjetische Medienberichte aus der Feder des Exilrussen Iwan Iljin, den sie nach Lust und Laune mit den Pseudonymen Peter Just, P.J., Hans Grau, Walter Tannen oder Anonymus zeichnete. Präsident der SMP war der Glarner Textilindustrielle Caspar Jenny. Am 2. August 1940 empfahl dieser dem Bundesrat, für Pressefragen Samuel Haas beizuziehen, obwohl er wisse, dass dieser «bei den mehr oder weniger volksfrontkranken Journalisten und Politikern nicht beliebt» sei. Der Bundesrat ging auf dieses Begehren nicht ein. Der bürgerliche Nationalrat und spätere Bundesrat Markus Feldmann hatte am 25. Juni 1940 in seinem Tagebuch vermerkt, dass die SMP einen Artikel von «absolut faschistischer Tendenz» verfasst habe.[45]

      Die SMP als Vorgängerin der «Schweizerischen Politischen Korrespondenz (SPK)» belieferte mit ihren Pressemeldungen bis 1947 praktisch alle kleineren Medien, die sich keine eigenen Korrespondenten leisten konnten.

      Am 28. Mai 1933 wurde im Hotel «Löwen» in Langenthal der ultrarechte, christliche «Bund für Volk und Heimat (BVH)» konstituiert, der sich in erster Linie dem Kampf gegen das Freimaurertum verschrieben hatte. Weitere Feindbilder des Vereins waren der Bolschewismus, die Gewerkschaften und der Parlamentarismus. Er verstand sich als patriotischer Zusammenschluss Gleichgesinnter, die dem Föderalismus und dem Manchester-Liberalismus anhingen. Dennoch war die Organisation nicht frei von politischen Konflikten. Sehr schnell öffnete sich ein Spannungsfeld zwischen der wirtschaftspolitisch zentrierten Zürcher Gruppe und der den frontistischen Erneuerungsbewegungen zugeneigten Berner Gruppe. An der Gründungsversammlung sprach Samuel Haas gegen die Erteilung des Schweizer Bürgerrechts an «wesens- und artfremde Elemente» und gegen das «demagogische, staatsfeindliche Auftreten der Verteidiger im Prozess gegen den Genfer Sozialisten Léon Nicole.» An der Gründungsversammlung wurde die provisorische, achtköpfige Bundesobmannschaft gewählt. Obwohl der Genfer Oberstdivisionär Guillaume Favre und der Waadtländer Nationalrat Pierre Rochat zu diesem Führungsgremium gehörten, das von einflussreichen Persönlichkeiten wie Louis E. C. Dapples, Verwaltungsratspräsident der Nestlé & Anglo Swiss Condensed Milk Co., und vom Schokoladenfabrikanten

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