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Linke glaubte im Korporatismus technokratisch-politökonomischer Ausrichtung einen Ausweg aus dem herrschenden Manchester-Liberalismus zu finden, der als Ursache der Krise gebrandmarkt wurde. Im rechten Lager begrüsste man den Korporatismus hingegen als befreiende Alternative zum Kommunismus und Kapitalismus. Eine eigenständige Ausprägung dieser planwirtschaftlichen Organisationsform mit einer herrschaftsstrategischen Prägung bildete sich im italienischen Faschismus heraus. Im Gegensatz zum liberalen Korporatismus entstand unter Mussolini ein ausgesprochen autoritärer Korporatismus. Die nationalsozialistische Diktatur übernahm dieses Modell später und nannte es «Volksgemeinschaft».

      Grundsätzlich hegten alle Erneuerungsbewegungen der Zwischenkriegszeit ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Schweizer Staat und betrachteten ihn als buchstäblich regierungsschwach. Sie stellten sowohl die direkte wie die indirekte Demokratie genauso infrage wie auch die liberale oder sozialistische Wirtschaftsordnung, die sie als Ursache der sozialen Malaise sahen. Praktisch alle Westschweizer Erneuerungsbewegungen hegten deshalb mehr oder weniger unausgegorene ständestaatlich-ideologische Vorstellungen. Was die rechtsextremen Romands anstrebten, war ein autoritärer Korporatismus, der sich wie folgt definieren lässt:

      Korporatismus ist dann gegeben, wenn im Rahmen des kapitalistischen Systems die Zusammenarbeit des Unternehmertums und der Arbeiterschaft mit der Absicht organisiert wird, Fehler und Missbräuche des Systems zu korrigieren. Die Korporation entspricht einer öffentlichen Gruppierung, in der Arbeitgeber und Arbeiter paritätisch vertreten sind, um Produktpreise und Einkommen anzuordnen, statt diese durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage im freien Markt spielen zu lassen. Mit anderen Worten: Der Korporatismus entspricht dem Willen, eine «Kooperation der Klassen» einzuführen, die den Arbeitern die Möglichkeit zum Streiken nimmt und die Wirtschaft mit Unterstützung von staatlichen Berufsorganisationen lenkt.[26]

      Im Gegensatz zum liberalen Korporatismus, der die Zwangsmitgliedschaft bei den Berufsverbänden ablehnt, blendet der autoritäre Korporatismus demokratische Spielregeln aus – insbesondere das allgemeine Wahlrecht. Die Grundidee dieses Konzepts stützten die Katholisch-Konservativen vor allem auf die von Papst Leo XIII. verfasste Enzyklika Rerum Novarum von 1881 ab, die die organisierte Arbeiterschaft und deren Gewerkschaften als eine korporative Gruppe der Gesellschaft anerkannte.[27] Sie kritisierten aber das liberale Wirtschaftssystem, weil es die Eigenverantwortung und eine maximale Freiheit des Einzelnen über gottgegebene Normen setzte. Zudem stand die Hochachtung der Wirtschaftswissenschaften in krassem Widerspruch zum katholischen Wertesystem, das qualitativ-philanthropische über quantitativ-ökonomische Werte erhob. Noch kategorischer lehnten die Katholisch-Konservativen den Sozialismus ab, den sie undifferenziert unter Bolschewismus, Kommunismus, Gottlosigkeit, Judentum und Freimaurertum subsumierten. Eine klare Trennung zwischen Sozialismus und Liberalismus vollzogen sie ebenfalls nicht, zumal sie den Liberalismus als Ursache des Sozialismus betrachteten. «Erst der Kapitalismus habe das soziale Chaos hervorgebracht und die Menschen proletarisiert. Aus dieser Optik war der Sozialismus die logische Konsequenz aus dem Fiasko des ökonomischen Liberalismus», schreibt Markus Hodel 1994 in seiner Dissertation Die Schweizerische Konservative Volkspartei 1918 – 1929.[28]

      Die Westschweizer Faschisten hegten eine unverhohlene Bewunderung für Mussolini und seinen autoritären Korporatismus. Doch zwischen der Hochachtung der Schweizer Faschisten gegenüber dem italienischen Vorzeigemodell und ihren eigenen politischen Ambitionen bestand insofern ein krasser Widerspruch, als Mussolini einen staatlich zentrierten Korporatismus erzwang, während die Schweizer Faschisten fast durchweg gegen den Etatismus waren und föderalistische Lösungen anstrebten.

      Corporativismo all’italiana

      Im italienischen Faschismus bildete sich eine eigenständige Variante der planwirtschaftlichen Organisationsform heraus. 1920 hatte der nationalistische Kriegstreiber und Dichter Gabriele D’Annunzio, Principe di Montenevoso, in der von seinen Legionären besetzten Hafenstadt Fiume (heute Rijeka) die «Carta del Carnero» verkündet, die eine Art protofaschistische Gründungsakte des italienischen Korporatismus war. Diese Verfassung trug die unverkennbare Handschrift des Utopisten Alceste De Ambris. Dieser Weggefährte D’Annunzios war weder ein Parteigänger Mussolinis noch ein Angehöriger der konservativen Militärs, sondern ein Anarchosyndikalist. Die Verfassung für das neue, kurzlebige Staatsgebilde Carnero im heutigen Kroatien wurde von Mussolini zwar verworfen, weil sie zu viel liberales, sozialistisches und anarchistisches Gedankengut enthielt. Einzelne Strukturelemente, die sich auf den Korporatismus bezogen, wurden jedoch vom faschistischen Regime vereinnahmt. D’Annunzio hatte neun Korporationen für einzelne Berufsgattungen wie Arbeiter, Arbeitgeber, Kader, Lehrer, Studenten, Seeleute und Künstler geplant. Eine zehnte Korporation war für den «neuen Menschen» vorgesehen. Inhaltliche Merkmale dieser auf die Zukunftsfiktion ausgerichteten Korporation hatten D’Annunzio und De Ambris aber wohlweislich offen gelassen.

      Der Kulturphilosoph Julius Evola, ein Vordenker des italienischen Faschismus, fand für den Korporatismus folgende Worte: «Der Geist des Korporativismus (das politische Bestreben, den Staat durch Schaffung von berufsständischen Verbänden zu erneuern), war im Wesentlichen der einer Arbeitsgemeinschaft und einer schöpferischen Solidarität, deren feste Angelpunkte die Prinzipien der Sachkenntnis, der Qualifikation und der natürlichen Hierarchie waren, wobei sich das Ganze durch aktives Über-der-Person-Stehen, Selbstlosigkeit und Würde auszeichnete.»[29]

      Anfang der Zwanzigerjahre war die italienische Wirtschaft infolge des Ersten Weltkriegs am Boden. Die geringen Weltmarktpreise liessen den Export von Landwirtschaftsprodukten verkümmern, die italienische Lira sank zusehends und die Inflation galoppierte. Die zwangsläufige Folge war eine drastische Erhöhung der Lebenskosten. Der 1922 von Mussolini gegründete «Partito Nazionale Fascista (PNF)» (Nationale Faschistische Partei) veranlasste eine Reihe von drastischen Massnahmen zur Erhöhung der Produktion, zur Förderung des Binnenkonsums und zur Stützung der Währung. Zu diesem Massnahmenpaket gehörte die «Bonifica integrale» genannte Urbarmachung von landwirtschaftlich ungenutzten Gegenden wie die pontinischen Sümpfe südlich von Rom und die toskanische Maremma, Düngemittelsubventionen und die Mechanisierung der Landwirtschaft. Die gesamte italienische Wirtschaft wurde in 22 Korporationen aufgesplittert, die von der übergeordneten «Camera dei Fasci e delle Corporazioni» vertreten werden mussten. Damit entstand eine bürokratisch aufgeblähte staatsmonopolistische Plangesellschaft, die eine Einheitsgewerkschaft im Rücken hatte. Anleihen für diesen vermeintlich modernen Kapitalismus fand Mussolini beim brasilianischen Diktator Getúlio Vargas, der 1930 die Macht durch einen Militärputsch an sich gerissen hatte und das Land mit eiserner Faust regierte.[30] Die Grundidee des Korporatismus war zwar in der nationalistischen Tradition Italiens verwurzelt, wurde aber auch mit den ehemals sozialistischen Überzeugungen Mussolinis verquickt, der sich des Eigenverständnisses und der Rolle der sozialen Klassen bewusst war und diese dem Wohl des Nationalstaats gewaltsam unterordnen wollte.

      Mussolini reduzierte den Korporatismus auf eine für ihn typische, holzschnittartige Definition: «Der Faschismus sollte Korporatismus heissen, weil er die perfekte Verschmelzung der Macht der Regierung und der Konzerne ist.»[31] Er gab sich der Illusion hin, alle Unzulänglichkeiten des Kapitalismus durch staatlich gelenkte Körperschaften korrigieren zu können und somit den kommunistischen Tendenzen der Arbeiterschaft eine einzigartige, machtvolle Alternative entgegenzusetzen. Der Korporatismus sollte den konfliktreichen, marxistisch motivierten Klassenkampf verhindern und ihn durch friedliche Verhandlungen zwischen den Korporationen ersetzen. Der fatale Irrtum dieser ideologisch verbrämten Idee war die Überzeugung, dass alle Bürger des Landes gemeinsame Interessen und Anliegen hätten und sich somit für das Gemeinwohl geschlossen engagieren würden.

      Da Mussolini als «Capo del Governo» mit seiner Partei über die parlamentarische Mehrheit verfügte und von König Vittorio Emanuele III. gestützt wurde, konnte er sein Korporatismus-Konzept bereits Anfang 1925 durchsetzen und seinem Regime alle Gewerkschaften unterwerfen. Um Italien in der Getreideproduktion autark zu machen, zwang er die landwirtschaftlichen Korporationen zu einem Kraftakt und rief zur «Battaglia del grano» auf. «In fünf bis zehn Jahren wird Italien wirtschaftlich vom Auslande unabhängig sein. Bis dahin ist die Weizenschlacht zu schlagen, und im Übrigen ist zu schweigen»[32], deklarierte Mussolini auf seine gewohnt markige Weise. Die protektionistische und vor

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